Kürzlich bin ich nur knapp dem Tod entronnen. Ich wollte eine Einbahnstraße überqueren, schaute brav nach rechts, woher die Autos und mit ihnen der drohende Tod daher rollen sollte. Aber da war nichts.
Ich trat auf die Straße … und um ein Haar hätte mich ein Lastenfahrrad überrollt. Es kam von links, gemäß einer Ausnahmeregel der Straßenverkehrsordnung selbstverständlich gegen die Einbahnstraßenrichtung. Denn es ist ein Fahrrad, die dürfen das und zwar gerne. Aber tatsächlich war ein schweres Gefährt des Logistik-Dienstleisters mit einem kastenförmigen Aufbau mit hohen Ladevolumen, 500 kg sollen es sein; plus Fahrer mit kräftigen Muskeln. 930 kg wiegt ein VW up; mit viel Sicherheitstechnik. Beide fahren in der Stadt ähnlich schnell. Denn natürlich hat das Lastenfahrrad einen elektrischen Antrieb, aber keinerlei Sicherheitstechnik. Es sah gefährlich aus; denn abstehende Stangen für Rückspiegel, der Lenker und anderen zerklüftete Bauteile hätten mit nach der Kollision aufspießen können.
Das Lastenfahrrad ist damit wohl gefährlicher als ein Up! Autos müssen so gebaut sein, dass bei einem Aufprall der Fußgänger über die Karosserie rollt; Kanten abgerundet, hervorstehende Teile verboten. Natürlich hatte das Fahrzeug kein Nummernschild. Fahrerflucht leicht gemacht!
Einfachere, sehr schicke Modelle für grün-bewegte Eltern sind besonders ökologisch gestaltet – der Lastenkorb ist aus Holz. Beim Aufprall splittert Holz; die Erfahrung zeigt: Holzspieße können lebensgefährlich sein. Eine Knautschzone, beim Auto vorgeschrieben, fehlt. Sicherheitsgurte? Lachhaft. Statt in einem aufprallgeschützten Kindersitz liegen die Kleinen einfach so in der gefährlichen Kiste bei rasendem Tempo. Während sie im PKW mit allen Möglichkeiten geschützt werden – jetzt schleudert es sie durch die Luft, wenn es zum Unfall kommt.
Dumm gelaufen. Nicht nur die letzten Fußgänger wie ich, auch die lieben Kleinen auf dem Weg von oder in die Kita leben also gefährlich. Natürlich braucht der Fahrer oder die Fahrerin keinerlei Ausbildung oder Führerschein, was zu besonders leichtsinnigen bis irrsinnigen Fahrmanövern führt. Es gibt keinen TÜV, der die Bremsen prüft, oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen. Während also Lastenräder den Autos immer ähnlicher werden – die Sicherheitsvorkehrungen sind es nicht.
Vermutlich denken Sie jetzt, dass ich eine Spaßbremse bin. Dabei habe ich doch als Wirtschaftsliberaler immer gegen neue Vorschriften und Regulierungen gekämpft! Und jetzt dieser Text! Bändigt das Lastenfahrrad!
Vielleicht ist es diese unumgängliche Evolution: Alles wird schneller, luxuriöser, schwerer – das Lastenfahrrad ist auf dem Weg zum PKW und Kleinlaster. Oder man kann es auch so lesen: Während die Grünen das Auto verbieten, kommt es von hinten zurück – als Lastenfahrrad. Erinnern Sie sich noch an die Dreirad-Transporter von Piaggio oder Hanomag? Jetzt sind sie wieder da. Nur der Motor knattert nicht, sondern summt. Auch die Materialwahl stimmt. „Ein bisserl Holz, ein bisserl Lack, und fertig ist der Hanomag“, sagte man früher. Der kleine Lloyd wurde liebevoll „Leukoplast-Bomber“ genannt, weil er Plastikteile trug wie sonst nur der Trabi, der deswegen allerdings als lebensgefährlich galt. Die Öko-Bewegung lässt die 50er wieder aufleben. Das „Goggo“ von der Firma Glas aus Dingolfing konnte man ohne Wagenheber anheben. Sein Gewicht entsprach dem der neuen Lastenfahrräder – und es hatte ein Dach! Das kommt bald wieder, weil die juvenilen Fahrradfahrer im Winter den Husten kennenlernen werden, der mit der Feuchtigkeit auch unter den Goretex-Anorak schlüpft. Allerdings schafft es Arbeitsplätze. Für die, die nicht sehr viel mehr zu bieten haben als halbwegs kräftige Beinmuskeln. Deutschland tut etwas für seine neue Unterschicht; erhöht den Mindestlohn für Rikscha-Piloten. Den Mindestlohn jedenfalls haben wir Indien voraus.
Nur ich bin zurückgeblieben, wie in den Gesetzen Darwins: Nur die Fittesten überleben. Ich muss wohl schneller springen lernen, wenn das Lastenfahrrad droht.