Das Besondere an Deutschlands Politik ist, dass nicht einmal mehr Selbstverständlichkeiten gelten. Sondern dass das Selbstverständliche als Errungenschaft verkauft wird und die Umkehrung als Normalität.
Ein Einreiseverbot ist kein Einreiseverbot
Denn eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Personen mit Einreiseverbot und nach der Abschiebung abgewiesen werden, wenn sie es wieder probieren, die Grenze zu überschreiten – jetzt wissen wir: es ist eine große Leistung der GroKo aus CDU, CSU und SPD, dass diese Selbstverständlichkeit möglicherweise gleich (?), vielleicht irgendwann(?) demnächst(?) nach einer Übergangsfrist(?) – und dann eben selbstverständlicherweise doch nicht umgesetzt wird.
Große Wörter für das eigene Versagen
Denn dies hätte schon immer gelten müssen. Es ist verräterisch, wie diese Selbstverständlichkeit jetzt großmäulig betont wird – große Wörter für das eigene Versagen.
Aber die Deutschen haben sich an solche Umkehrungen gewöhnt; sie wurden von der Politik und ihren gläubigen Medien dazu erzogen, dies als Errungenschaft zu akzeptieren.
Europa als Chiffre für „Nichts tun“
Dass es dabei in 95 Prozent der Fälle um Wirtschaftsflüchtlinge geht, die vor die Schreibtische der Sozialämter drängen – vergessen. Diese Normalität der Zahlen wird verklärt; jeder, der will, als „Flüchtling“ schön geredet. So wird die Verkehrung des Asylmissbrauchs zur Normalität, und wer dagegen argumentiert, gilt als Asylgegner.
Oder nehmen wir eine weitere „Errungenschaft“ der Regierungschefin Angela Merkel: Sie spricht ständig von europäischen Regelungen, wenn sie keine Regelung will. Denn was Deutschland braucht, eine Kontrolle gegen beliebige Immigration, ist zwischen Italien und Frankreich längst selbstverständlicher Alltag – nur an deutschen Grenzen gilt das als „europafeindlich“. Hier wird Europa in den Mund genommen und missbraucht: EU-Europa-Regelungen als Chiffre für Nichts-Tun?
Und immer weiter Zeit schinden, weil die vergangenen drei Jahre des Nichts-Tuns nicht lange genug gedauert haben? Wie viel Zeit braucht und nimmt sich eine Kanzlerin für die Ordnung des Selbstverständlichen?
Einreise, die niemals zur Ausreise wird
Und eine der irrwitzigen Selbstverständlichkeiten ist, dass, wer auf welchem Weg und mit welchen Verbrechen auch immer nach Deutschland kommt – er kann faktisch seinen Daueraufenthalt, eine monatliche Unterhaltszahlung, Krankenversicherung, Rentenversicherung und Familiennachzug ersitzen. Statt aber solche perverse Selbstverständlichkeiten abzuschaffen – sie werden als Errungenschaft verkauft, wenn die Kanzlerin im Juni 2018 nach massivem Druck erklärt, dass die Migration besser geordnet und – hört! hört! – reduziert werden soll.
Eine Parteivorsitzende, die ihre Partei nicht braucht
Zu den perversen Selbstverständlichkeiten gehört, dass die Kanzlerin und Parteivorsitzende der CDU sich längst nur noch auf SPD und Grüne sowie die Linke stützt – von ein paar Postenjägern in der eigenen Partei abgesehen.
Zur neuen deutschen Umkehrung gehört auch, dass die Kanzlerin einen Innenminister im Amt hält, der sie vorführt, ihre Lächerlichkeiten offenlegt und ihr Ultimaten stellt. Aber Angela Merkel hat nur ein Ziel: Weiter im Kanzleramt wohnen zu dürfen und Regierungschefin zu spielen, die das umgekehrte System aufrechterhält. Ihr geht es um mehr Migration, denn das ist ihr erkennbares Ziel, ein anderes sieht man nicht.
Kontrollverlust, der so nicht genannt werden durfte
Ansonsten hat Seehofer Recht, wenn er sagt, dass man die seit mindestens fünf Jahren laufende und sich verstärkende Migration rechtlich und organisatorisch nicht im Griff hat. Ein jämmerliches Eingeständnis, das nicht besser wird dadurch, dass Seehofer dies für „unerklärlich“ hält. Und für lächerlich „Unerklärliches“ also braucht man so einen Riesenauftritt, um es zu bereinigen? Was für ein Bild wirft das auf die Kanzlerin, die bislang dafür die politische Verantwortung trägt? Da spricht Seehofer von „Schwierigkeiten“ und „schwierigen Sachen“ – sie entstehen nur, wenn Selbstverständlichkeiten auf den Kopf gestellt wurden – und weiter werden. Seehofer hat nicht weniger als das im Detail beschrieben, was hier seit zwei Jahren geschrieben wird: Den Kontrollverlust des Staates.
Seehofer legt ja die Finger in die Wunde – das komplette Versagen der inneren Sicherheit, des Innenministeriums und seiner nachgeordneten Behörden. Allerdings: Sein Vorgänger im Amt heißt Thomas de Maizière, CDU-Politiker. Hat die CSU drei Jahre die Augen zugedrückt, wollte sie nichts hören, nichts sehen? Anders ist die späte Reue nicht zu erklären.
Eine Regierungskrise, nach der es weitergehen soll wie vorher
Und dass Seehofers 63-Punkte-Plan zwar zu einer Regierungskrise führt – aber niemand die 63 Punkte kennen darf: Das ist alles so irrsinnig, dass es wie ein schlechter Witz wirkt.
Da wird man bescheiden. In seiner stockenden Art addiert Horst Seehofer eine Selbstverständlichkeit an die Nächste bis hin zu Details, dass Abschiebung auch per Charterflieger erfolgen kann und nicht nur per Luxus-Linienflug. Man vergisst darüber, dass die CSU Teil der Regierung war.
Trotzdem gewinnt Seehofer Sympathien zurück – für die Rückgewinnung von Selbstverständlichkeiten.
Politik als Hinhaltetaktik zum Machterhalt
Aber man ahnt auch: In den kommenden Wochen wird er von Merkel und ihren Büchsenspannern in den Medien kleingehackt. Die Medien sind Teil ihres Schlachtplans. Die Umkehrung des Selbstverständlichen ist weiterhin Programm und Nachrichtensendung. Rund um die Uhr.
Denn das Selbstverständliche darf nicht selbstverständlich werden. Und so geht der Fortschritt von 62 auf 62,5 Punkte hoch, die allesamt selbstverständlich sind. Angela Merkel will einfach weitermachen wie bisher. Sehenden Auges. Und möglicherweise schafft sie es wieder.
Denn Seehofer hat hier und heute vor dem zurückgeschreckt, was die Bürger von ihm erwarten: Den Bruch der Koalition der Nicht-Willigen. Er will verhandeln, aus Höflichkeit und Stil mit der Kanzlerin reden. Aber Merkel will nur eines: An der Macht bleiben. Die CSU stört nur – deren Verlust in der kommenden Landtagswahl wird ihr eine Freude sein. Nur schwache Partner sind aus ihrer Sicht gute Partner. Auch die CDU ist ihr herzlich egal. Diese Partei war für sie immer nur Instrument, nie innere Überzeugung.
Dadurch, dass sie dies nicht erkennen, verlieren Seehofer und die CSU das Momentum, das für einen Kurswechsel notwendig ist. Seehofer verfestigt nur das Bild, das viele von ihm haben: der ewige Umfaller. Merkel dagegen gewinnt weiter Zeit zum Weiterwursteln, zum Verzögern, zum Kleinhacken notwendiger Maßnahmen, zur weiteren Spaltung Europas und Deutschlands in unversöhnliche Lager.
Nur unverbesserliche Optimisten hoffen darauf, dass Wegschauen und Kompromisse weiter helfen und eine Kanzlerin zur Einsicht bewegen, die sie seit Jahren hätte haben können.
Es werden schnell weniger.