Kennen Sie den? – Amputiert ein Chirurg aus Versehen das gesunde Bein und nicht das kranke. – Beschwert sich der Patient vergebens. Der Arzt sagt, es war nur Satire.
Das ist noch kein Witz.
Zum Witz könnte es werden, wenn sich der Patient beschwert und der Chirurg die Beschwerde zurückweist: Der Patient sei ein Rechter und mit seiner Kritik an der OP wolle er nur die AOKs zerstören.
Immer noch nicht lustig? So ungefähr reagiert der WDR auf Kritik an seinem „Umweltsau“-Sau-Projekt: Satire, und Kritiker sind Rechte. Das gilt auch für den gemütvollen Ministerpräsidenten von NRW Armin Laschet – wirklich kein Rundfunkrevolutionär. Laschet warnt die WDR-Belegschaft vor Hybris: „Es kann nicht sein, dass Sie in Deutschland alles kritisieren dürfen, vom Papst abwärts – nur nicht die Beiträge des Westdeutschen Rundfunks.“
Wie antwortet der WDR? Georg Restle, Monitor-Chef: „Offenbar braucht da jemand Nachhilfe. Wer erklärt dem Ministerpräsidenten des Landes NRW @ArminLaschet, was Unabhängigkeit und Staatsferne des ÖRR bedeuten?“
Man darf einen Misthaufen Misthaufen nennen
Die Antwort wäre einfach: Auch ein Ministerpräsident darf Mist zu einem Misthaufen sagen. Und Nachhilfe braucht Georg Restle: Wer im Journalismus mal das falsche Bein abschneidet, sollte sich dafür entschuldigen, und es nicht „Satire“ nennen. Denn es war keine, sondern einfach nur eine schlechte, missbräuchliche Sendung. Und nicht einmal die maximal misslungene Sendung wäre das Problem – Shit Happens. Das Problem ist die komplette Unfähigkeit unterhalb der Ebene des Intendanten, den Fehler als solchen einzugestehen, zu korrigieren und sich zu entschuldigen. Stattdessen werden immer neue Aluhüte aufgesetzt, Verdächtigungen gestreut, Verschwörungstheorien ausgebrütet und Zuschauer beschimpft.
Das Problem des WDR ist nicht ein Fehler, Murks, ein Bock – sondern mangelnde Fehlerkultur. Als ob der Patient schuld sei, dass er das falsche Bein zur Amputation hingehalten habe, und der Chirurg habe nur einen Witz gemacht. Wie kommt es dazu – und was sind die Folgen? Was hier geschieht ist Publikumsbeschimpfung statt Rundfunkprogramm. Wer seine Zuschauer für Tiere hält und so behandeln will, hat seinen Beruf verfehlt. Ohne Vertun. Das Programm muss den Zuschauern gefallen, nicht ein paar festangestellten Aktivisten in eigener Sache.
Eine kleine Rundfunkgeschichte
Ich selbst habe beim Bayerischen Rundfunk gelernt; Filme (ja, es waren noch Filme, keine Videos) gedreht, 12-teilige Folgen wie „Telekolleg Volkswirtschaftslehre“. Die dritten Programme waren damals noch Bildungsprogramme, und den Auftrag haben sie ernst genommen: Man konnte sogar einen Bildungsabschluss erwerben. „ABC der Wirtschaft“ war ein anderes Programm, für das ich Erklärstücke gestalten durfte. Heute klingt es etwas lächerlich. Zu der Zeit gab es auch schon die Restles in den Sendern. Allerdings auf unterschiedlichen Seiten. „Monitor“ und „Panorama“ waren schon damals links, aber aus München sendete „Report München“ tapfer dagegen an. In Ost-Berlin provozierte Lothar Löwe die dortigen Machthaber so lange durch kritische Berichterstattung über den real existierenden Sozialismus, bis sie ihn buchstäblich hinauswarfen.
Aus Berlin Adlershof, genau aus dem Studio, aus dem heute Anne Will sendet, funkte Karl Eduard von Schnitzlers „Schwarzer Kanal“ DDR-Propaganda gen Westen. (Ein Treppenwitz, dass später kritische Rundfunkleute in diesem Studio interniert werden sollten; es waren, Treppenwitz Nummer 2, die tapferen jungen Männer vom Stasi-Wachregiment Felix Dserschinski, die den Befehl verweigerten. Aber das war viel später.) Von Westen sendete Gerhard Löwenthal zurück. Das ZDF wurde in Mainz gegründet, weil Rheinland-Pfalz als schwarze Erblande galt, und die CDU dort den Einfluss suchte, den sie bei den meisten ARD-Sendern nie gewann.
Medienlandschaft – bunt und divers
Nein, die Rundfunklandschaft war nicht perfekt, auch nicht die gedruckten Medien. Aber sie war bunt und divers, wo heute Eintönigkeit vorherrscht. SPIEGEL und STERN waren links, mit „Konkret“ hielt sich die DDR eine eigene Zeitschrift; alle paar Wochen brachte ein graues Männchen den Geldkoffer nach Hamburg, wie Bettina Röhl, die Tochter des Gründers Rainer Röhl und seiner Ehefrau Ulrike Meinhof, sich bildhaft erinnert, um die Druckerei-Rechnung zu bezahlen und den glamourösen Lebensstil der Kommunisten im Westen zu finanzieren. STERN und SPIEGEL publizierten Material aus den Fälscherwerkstätten der Stasi; sie verleumdeten mittels gefälschter Dokumente den damaligen Bundespräsident Heinrich Lübke als KZ-Baumeister; die Hamburger Journaille druckte es begeistert.
Aber DIE WELT hielt dagegen wie auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die sich als Leib- und Magenblatt an der Seite Ludwig Erhards bleibende Verdienste errungen hat. Viel später wurde Focus von Helmut Markwort als Gegenmodell zum SPIEGEL gegründet – erfolgreich. Es gibt keine perfekte Medienwelt, sie ist immer Spiegel der politischen Kämpfe ihrer Zeit. Während sich die Print-Landschaft nach links oder rechts sortierte, sollten die Rundfunkanstalten „Binnenpluralität“ garantieren: Da bei nur einem oder später zwei, drei Kanälen kein Wettbewerb wie bei Zeitungen möglich ist, sollte der Wettbewerb innerhalb der Sender ausgetragen werden. Und er wurde es. Auf jeden Kommentar aus den Rotfunkanstalten WDR und NDR konterte aus München bissig und hart Rudolf Mühlfenzl, mein späterer Chef. Der letzte Chefredakteur der alten Garde, Sigmund Gottlieb, wurde erst vor wenigen Jahren verabschiedet. Er wurde ersetzt, aber nicht beerbt. Heute zählen alerte Glätte und geschmeidige Nähe zum Kanzleramt auch beim BR. Heute ist der Intendant Merkels langjährige Regierungssprecher; und sein Nachfolger als Sprecher ist ein prominenter ZDF-Journalist. So geht das.
Linke will „Drittes Deutsches Fernsehen“
Mächtige Rundfunkanstalten wecken bei Politikern Begehrlichkeiten. Mir wurde das deutlich nach der Wiedervereinigung. Auf Betreiben von Lothar de Maiziere waren Funk und Fernsehen der DDR über den Einigungsvertrag in den Westen gerettet worden. Chef des Ost-Funks wurde allerdings ein Wessi, der „Rundfunkbeautragte der Neuen Länder“: Rudolf Mühlfenzl – ich sein zeichnungsberechtigter Stellvertreter. Wir waren Anhänger des öffentlichen-rechtlichen Systems, weil wir daran glaubten, dass ein Volk eine gemeinsame Öffentlichkeit braucht; ein Lagerfeuer, um das man sich versammelt, eine Informationsquelle, die ausgewogen berichtet, einen Krimi, über den man am nächsten Morgen spricht, eine Talkshow, über die man streitet. Wir glaubten, dass man Stars aus West UND Ost braucht, den Wessis den Osten in die Stube sendet und den Ossis erklärt, wie die ticken. Wir wollten der Wiedervereinigung unseren Dienst leisten. Deshalb haben wir die Rundfunkgesetze kreativ ausgelegt und die ARD sowie das ZDF in der gesamten DDR sichtbar gemacht, auch im Tal der Ahnungslosen, wo bis dahin kein Westen zu sehen war. Im Gegenzug zur Hingabe damals wertvoller Sendefrequenzen machten wir reiche Beute.
Wir erhielten am Abendprogramm der ARD mit über 10 Prozent der Sendezeit, die wir mit Ost-Programmen füllen konnten. Das fing mit dem Sandmännchen an, das aber nicht mehr wie in Ost-Zeiten im NVA-Panzer in die Kinderzimmer rollte, sondern auf dem Schlitten kam; die Entpolitisierung der Propaganda-Sendungen war schwierig und gelang nicht immer. Die Westler staunten, wenn die Ost-Kommissare im klapprigen Wartburg auf Verfolgungsjagd gingen durch die verfallenen Backsteinquartiere von Stendal oder Oranienburg. Wir sendeten die Weihnachtskonzerte aus den Konzerthäusern des Ostberliner Gendarmenmarktes und der Thomaskirche in Leipzig und das Silvesterprogramm „Ein Kessel Buntes“ aus dem Friedrichstadtpalast. Das war alles nicht unumstritten.
Ich habe dem WDR 40 Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchores auf die Gehaltsliste geschwindelt, Friedrich Nowottny, der letzte große Intendant des WDR, ist seither etwas beleidigt, aber sie singen noch immer, so wie das auf ähnliche Trickbetrügerbasis gerettete Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin weiter spielt: Der Osten sollte seinen Anteil haben am Gebührenkuchen, und für die Gefühlswelt bemühten wir uns um die Rechte an „Paul und Paula“ mit der Musik der Puhdys. Der „Kessel Buntes“ mit dem Fernsehballet trieb westdeutsche Programmmacher in den Wahnsinn, aber gefiel in seiner schlichten Altart den Zuschauern.
Der „Sender Freies Berlin“ verneinte jede Zusammenarbeit und wollte aus dem Westen den Osten auch rundfunkmäßig monopolisieren. Wir wollten ihm Stimme geben. Wir wateten bis zum Hals in Stasiverstrickungen. Gremien des WDR verbündeten sich mit den alten Rundfunkmachthabern der DDR, die ja noch da waren, um zusammen mit der SED, die heute „DIE LINKE“ heißt, ein „Drittes Deutsches Fernsehen“ mit Sitz in Adlershof zu gründen als Ausgangspunkt für eine vereinte Linke Partei. Man stelle sich das vor: Der alte Funk der DDR im Westen, als ob die Mauer nicht gefallen wäre – ein Traum für alte Funktionäre aus dem Osten und linke Ideologen aus dem Westen. Rundfunktpolitik ist Machtpolitik. Bis heute. Aber vermutlich war diese Zeit der Wiedervereinigung die letzte große von ARD und ZDF. Seither sind sie mächtig, aber in der Defensive.
„Frequenzbesetzung“ als Strategie
Es folgte die Ausweitung der Frequenzen und Fernsehkanäle, ihren Zweck haben sie spätestens seit den 90ern erfüllt. ARD und ZDF reagierten mit „Frequenzbesetzung“, um die zwar vervielfachten, oder immer noch knappen Frequenzen für sich zu reklamieren. Immer neue Sender und Programme entstanden. 2014 machte der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium eine Rechnung auf, die tendenziell immer noch gilt: „Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten betreiben 22 Fernsehkanäle sowie 67 Radioprogramme und entfalten Aktivitäten im Bereich des Internets. Ein normales Jahr hat 525.600 Minuten. Das Jahr 2012 verzeichnete dem gegenüber 10,2 Millionen Fernsehsendeminuten im Bereich der öffentlich-rechtlichen Sender, was in etwa 19 Fernsehjahren entspricht.“
Es klang wie eine gute Strategie, und sie hat die privaten Sender auch in die Defensive gedrängt. Aber der Preis dafür ist hoch. Die Frequenzbesetzung ist heute der Mühlstein um den Hals der Öffentlich-Rechtlichen. Sie haben sich zerfasert. Statt weniger guter senden sie mittelmäßig bis schlechte Programme, aber dafür viele. Quantität soll Qualität ersetzen und zersetzt die Anstalten von innen. Das Internet bietet beliebig viele Sendekanäle, mehr als man auch mit noch mehr Geld Bestzen könnte, und zwischen denen die Öffis einfach verschwinden. Netflix bietet die besten Filme, oder ist es Amazon, neuerdings Apple-TV? Während die Streaming-Kanäle ständig neue Serien raushauen, reicht es bei den altersschwachen Öffis unter letzter Kraftanstrengung nur zu noch einem Tatort, der so albern ist wie der Vorgänger und so innovativ wie ein Abakus im Apple-Zeitalter. ARD und ZDF haben halbwegs gegen die privaten Sender gewonnen und diese haben sich darauf reduziert nur noch Trash senden zu wollen. Peter Klöppel wirkt bei RTL wie der letzte Mohikaner des ernsthaften News-TVs. Wie lange macht er das noch?
Die Bettpfannen der TV-Landschaft
Das teuerste öffentliche Rundfunksystem der Welt verfüttert bei einzelnen Anstalten wie dem Hessischen Rundfunk schätzungsweise die Hälfte der Einnahmen an die Pensionisten der früheren, der goldenen Jahre. Früher galten die öffentlichen Sender als Verwaltungen mit angeschlossenem Sendebetrieb. Heute sind es Altersheime, in denen meist unterbezahlte freie Mitarbeiter irgendwie den Sendebetrieb aufrechterhalten und Bettpfannen mit den Wiederholungsprogrammen rezyklieren.
Um den Status Quo aufrechtzuerhalten brauchen sie statt derzeit 8,4 mindestens 11 Milliarden. Die Chancen, die zu erhalten, sind mit der Umweltsau gerade im Wald oder im Maisfeld verschwunden. Rundfunkgebühren zu erhöhen – das wird sich wohl keiner mehr trauen. Ihr öffentlich-rechtlicher Charakter verhindert per Definition Reformen. Das angesammelte Bauchfett erdrückt die inneren Organe, aber geht nicht weg, man kennt das. Sie müssten abspecken – Bürokraten entlassen, flexible, innovative Einheiten bilden, Frequenzen aufgeben, liebgewonnene Besitzstände abbauen, ihren Innenstadt-Beton verkaufen; wer betreibt noch Fabriken in Sichtweise des Kölner Doms? Nur der WDR. RTL-Chef Helmut Thoma beschrieb in grauer Vorzeit den Unterschied: „Die investieren in Beton. RTL in Programm“. Der Bayerische Rundfunk ist zu Recht stolz auf eine Verknüpfung von TV, Radio und Internet. Aber dafür mußte erst einmal ein neues Gebäude erstellt werden. Im Zeitalter der Netze funktioniert Vernetzung aber per WLAN, nicht per Linoleum.
Eine Reform, für die es längst zu spät ist
Die vielen Sender mit ihren vielen Intendanten ohne Zuschauer und Programmen ohne Hörer müssten eine Anstalt bilden mit einem Programm, dessen Nachrichten an Schnelligkeit und Faktentiefe nicht zu überbieten ist; mit Talkshows, die fetzen statt mit in Ehren ergrauenden Endlostalkern; mit Sendungen, die die Buntheit und das Leben abbilden in unterschiedlichen Facetten und nicht in grüngetunkter Einheitsfarbe und monotoner Volksbelehrung, die sich als Spruchweisheiten lebensferner Abiturienten mit Rundfunkpraktikum herausstellen. Sie könnten wieder die Fachredakteure aktivieren, die sonst kaum einer mehr hat und die irgendwann resigniert sind vor der Wucht der Politikaktivisten, die heute die Sender beherrschen. Die älteren Journalisten der Öffis sind meist hochqualifiziert; die Jüngeren so einseitig und oberflächlich wie in den Printmedien auch: Haltung zählt, nicht Inhalt; Einseitigkeit wird zum Programm erhoben. Das kann man ändern. Wenn man will. Richtig falsch ist es, die Öffentlichkeit mit einem „Framing-Manual“ behumpsen zu wollen, durch Sprach- und Begriffsmanipulation. Die Zuschauer reagieren empfindlich auf solche Versuche, die Wirklichkeit durch neue Kampüfbegriffe zu verschleiern. Der Ost hat doch den Westen eingeholt: Das peinliche Manual wurde von MDR-Intendantin Karola Wille beauftragt, aus altem SED-Adel stammend und geschult im DDR – Lehrbetrieb. Die Veröffentlichung war der Beginn eines Prozesses, der die Glaubwürdigkeit zerrüttet hat.
Angst greift um sich
ARD und ZDF bräuchten dazu eine Führungsmannschaft, die Konflikte anzettelt und durchsetzt, statt nur ständig um mehr Geld zu betteln bei der Politik wie der Junkie bei seinem Dealer. Denn das macht sie angreifbar, abhängig, süchtig – und das ist Gift für Journalismus und Ideen. Sehr viel weniger wäre sehr viel mehr. Die überkommenden Strukturen müßten aufgebrochen werden, um im Kreativitätswettbewerb bestehen zu können. Denn um Kreativität geht es – nicht um Gebührenmaximierung und dem Festhalten an überkommenen Strukturen: Programm statt Beton.
Die Sender der DDR stellten am 31.12.1991 ihre Programme ein; mit dem „Letzten Walzer“. Irgendwann ist die Zeit auch des weltteuersten und vermeintlich unangreifbaren Programms vorbei, und wenn es so weitergeht, ziemlich bald. Und die ängstlichen, geradezu hysterischen Reaktionen wie auf die richtigen Worte von Armin Laschet zeigen: Die Angst muss riesig sein in den Anstalten. Irgendwie spüren sie, dass es so nicht weitergeht; ihr Pfeifen im Wald ist laut und schauerlich.