Wahlkampf ist wie Schlittenfahren: Rasant wird’s auf den letzten Metern. Und der kommende Sonntag könnte überraschend enden.
Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Laut Umfragen wünscht sich das eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Deutschen. Aber wird sie es auch? Die Zweifel wachsen, und der bisher so langweilige Wahlkampf wird zur spannenden Schussfahrt.
Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist die größte Gefahr für Angela Merkel. Es ist eine Partei wie ein Eisberg: Nur die Spitze ist für Meinungsforscher und Wahlbeobachter sichtbar. Wie viele Wähler tatsächlich dann ihr Kreuz bei ihr machen, wenn die Vorhänge der Wahlkabine zugezogen sind, wie viele Nachbarn und Stammtischfreunde die hoch motivierten Anhänger mitziehen, und ob diese Stimmen hauptsächlich der FDP, der CDU oder auch der SPD fehlen, ist ungewiss. Gefährdet ist die FDP. Ihr könnte die AfD jene paar Stimmen entziehen, die zum Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde nötig wären. Der neue Bundestag würde mit einem Einzug der AfD bunter – oder aber graumäusiger, wenn beide, AfD und FDP, an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Dies offenbart den größten innenpolitischen Fehler Merkels: Egal, ob Gesellschafts- und Familienpolitik, Energiewende und Euro – ihre CDU hat den Schulterschluss mit dem bei SPD und Grünen vermuteten Zeitgeist gesucht – und anderes als alternativlos dargestellt. Die AfD macht die Alternative zum Programm und wird so zum Sammelbecken für alle, die die Energiewende für vermurkst halten, denen die Euro-Politik zu leichtfertig erscheint und denen generell die ganze neu-linke Linie nicht passt. Früher hat es die CDU verstanden, auch wertkonservative Wähler an sich zu binden. Legendär die Maxime von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es keine demokratische Kraft geben. Jetzt ist sie da – vielleicht zu klein zum Leben, aber groß genug, um Merkel aus dem Amt zu jagen.
Denn nach allem, was man derzeit weiß, hat das bürgerliche Lager aus FDP und Union nur einen hauchdünnen Vorsprung gegenüber SPD, Grünen und der Linken. Nun schließt die SPD eine Koalition aus, weil die Linke auf bundespolitischer Ebene unzuverlässig sei. Ich nenne das Rosstäuscherei; schließlich hat mithilfe der Linken die SPD ja auch den Regierungswechsel im Bundesland Nordrhein-Westfalen erzwungen, und immer wieder galt dieses große Land als Modell für den Bund. In Hessen, wo am Sonntag ebenfalls gewählt wird, eiert SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel herum; zuverlässig ausschließen will er die rot-rote Zwangsehe nicht. Wie eine verhuschte Maus, deren Auftauchen im Sterne-Restaurant den Appetit verdirbt, taucht diese Wahrheit in einem Wahlkampf auf, der alles schönredet. Dazu kommt: In diesen Tagen stürzen die Grünen in der Wählergunst ab. Zu selbstgerecht und rechthaberisch tritt die Partei auf, zu weinerlich macht sie jetzt Journalisten für ihr Absacken verantwortlich – ausgerechnet jene Partei, die wie keine andere bisher Liebling der Medien war.
Es ist die ganz große Show, wenn ausgerechnet Gregor Gysi mit seiner gewendeten Mauerpartei den Grünen vorwerfen kann, so viele kleinliche Gebote und muffige Verbote wie mit den Grünen werde es mit den Linken nie geben. Auf die Idee, dass etwas falsch läuft, wenn lebensfrohes Grün zum tristen Spießergrau verwelkt, ist diese Partei ebenso wenig gekommen wie zu einer Entschuldigung bei den Opfern ihrer „Arbeitsgemeinschaft Schwule und Päderasten“: So wenig Selbstkritik war nie. Damit verschiebt sich die Macht im linken Lager – die Linke gewinnt auf Kosten von SPD und Grünen und wird nicht mehr zu ignorieren sein.
In den entscheidenden Tagen, an denen sich die Bürger ihre Wahlabsicht bilden, werden nun sogar Wahlumfragen als Wahlkampfmittel instrumentalisiert. Denn alles ist möglich: Weiter wie bisher, ein Kanzler von links; oder aber Merkel rettet sich in eine Koalition mit der SPD, die dann nur noch irreführend „große“ heißt.
Passen Sie bloß auf, dass dieses Land nicht unter den Schlitten kommt.
(Erschienen auf Wiwo.de am 14.09.2014)