Tichys Einblick
BVerfG zu einrichtungsbezogener Impfpflicht

„Wir können den Grundrechtsschutz in Deutschland vergessen“

Argumente wie beispielsweise die überbewertete Schutzwirkung der mRNA-Impfungen und ihre unterschätzten Nebenwirkungen wurden jetzt vom Verfassungsgericht allesamt vom Tisch gewischt. Anwalt Uwe Lipinski im Gespräch mit Holger Douglas.

imago Images/Stockhoff

Eine Impfpflicht im Gesundheitswesen sei rechtmäßig. Das erklärte das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag und wies sämtliche Beschwerden gegen das sogenannte Infektionsschutzgesetz zurück. Dieses immerhin höchste deutsche Gericht unter seinem Präsidenten, dem ehemaligen CDU Bundestagsabgeordneten Harbarth, wischte sämtliche Beschwerden vor allem gegen die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht vom Tisch. Es führte die scheinbar unantastbaren Aussagen der beiden tonangebenden Institute, Robert-Koch- und Paul-Ehrlich-Institut ins Feld, die nach Auffassung des Verfassungsgerichtes die wissenschaftlich korrekten Grundlagen liefern würden.

Sogenannte vulnerable Menschen vor einer Infektion zu schützen, verfolge einen legitimen Zweck, meinte das Verfassungsgericht, ohne zu prüfen, ob die sogenannte Impfung mit einer gentechnischen Substanz dies auch erfülle. Nebenwirkungen der neuen Impfstoffe spielten keine Rolle, auch nicht, dass diese nicht nach geltenden Regeln ausreichend getestet und untersucht wurden. An der Impfung Verstorbene sind demnach billigend in Kauf zu nehmen, gewissermaßen Kollateralschäden.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung und mündliche Verhandlung fand nicht statt. Dr. Uwe Lipinski ist Rechtsanwalt in Heidelberg und vertritt 57 Personen, die sich vor dem Verfassungsgericht gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht wehren wollten, darunter Ärzte, Zahnärzte, Hebammen, Medizinstudenten, Reinigungspersonal verbeamtete Rettungssanitäter. Die sind alle Ungeimpfte und wollen dies auch bleiben und haben deswegen geklagt. Ihn hat der Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes überrascht. Sein wesentliches Ergebnis: ‚Wir können den Grundrechtsschutz in Deutschland vergessen.‘

Er hatte gehofft, dass sich das Bundesverfassungsgericht zumindest im Hauptsacheverfahren wirklich mit allen Argumenten fundiert auseinandersetzt: »Und das ist, mit Verlaub, noch nicht einmal ansatzweise geschehen. Der Beschluss umfasst zwar knapp 99 Seiten, da könnte man auf den ersten Blick denken, ‚ja, da müssen die doch eigentlich auf alles eingegangen sein‘. Das relativiert sich aber, wenn man bedenkt, dass da allein fünf bis zehn Seiten dabei sind, auf denen das Verfassungsgericht über die damals im Dezember und jetzt seit März geltenden Rechtsnormen wörtlich wiedergibt. Im Ergebnis ist auf sehr, sehr viele Einwände überhaupt nicht eingegangen worden. Die findet man auch nicht im Beschluss.«

Das Verfassungsgericht schreibe praktisch wortwörtlich immer nur das Paul-Ehrlich-Institut ab und sagt, die seien halt so kompetent. »Wenn die sagen, ernsthafte Nebenwirkungen sind nur so extrem selten, dann ist das quasi ein Gottesurteil.«

Lipinski habe sich nie träumen lassen, dass das Bundesverfassungsgericht auch im Hauptsacheverfahren den alten ehernen juristischen Grundsatz aufgehoben hat, Leben gegen Leben aufzurechnen. Bisher galt: »Leben gegen Leben ist nicht abwägbar«. Doch: »Nach diesem Urteil ist es jetzt abwägbar.«

Das gab es noch nie, dass mit einem nicht nach den geltenden medizinischen Standards getesteter Impfstoff Millionen von Menschen geimpft werden. Auf die Frage: »Was sagt denn dies für Sie über einen Staat aus, der so mit der körperlichen Unversehrtheit seiner Bürger umgeht?« antwortet Lipinski: »Da sprechen Sie einen sehr, sehr wichtigen Punkt an. Ich hätte mir das jedenfalls im Hauptsacheverfahren nicht träumen lassen. Letztlich hat das Verfassungsgericht das bisherige Abwägungsverbot ‚Leben gegen Leben‘, das ja bislang laut Luftsicherheitsurteil des Verfassungsgerichts unzulässig war, aufgehoben. Das Gericht räumt immerhin ein, sogar das Paul-Ehrlich-Institut erkennt ein paar Todesfälle durch die Impfung an – mal unabhängig davon, ob diese Zahl realistisch ist.«
Argumente wie beispielsweise die überbewertete Schutzwirkung der Impfung und die unterschätzten Nebenwirkungen wurden jetzt vom Verfassungsgericht allesamt vom Tisch gewischt.

Lipinski: »Das ist, wenn überhaupt, eine Ergebnis-Jurisprudenz. Man wollte ganz offensichtlich ein bestimmtes Ergebnis haben. Man sagt, OK, ein Musterverfahren wählen wir aus. Das werden wir zumindest überwiegend als zulässig erachten. Aber im Ergebnis weisen wir alles ab.« Die Kläger hatten auch im letzten Schriftsatz eine offizielle Studie der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC vorgelegt mit dem Ergebnis eines katastrophal schlechten Impfschutzes, der zudem sehr schnell nachlasse. An dem fünften Monat schlage er in sein Gegenteil um, in einen sogenannten negativen Impfschutz. »Das heißt, ab da steigt das Risiko für Geimpfte, selber infiziert zu werden.«

»All das finden Sie hier in dem Beschluss nicht. Da kommen Sie nie drauf, dass die Kläger so etwas vorgetragen hätte. Und das ist für mich auch nicht seriöse Wissenschaft.« Argumente müssen vorgetragen werden, und man sollte sich ansatzweise auch mal damit befassen, und nicht einfach so tun, als ob nichts vorgetragen worden wäre.

Jetzt müssen Kliniken, Arztpraxen und andere Einrichtungen in der Pflege den Gesundheitsämtern melden, wenn Mitarbeiter nicht geimpft sind. Danach entscheidet das Gesundheitsamt, ob diejenigen dann weiter arbeiten dürfen – oder nicht. Voraussichtlich tun sie dies je nach Notlage und Mangel an Arbeitskräften. Eine staatliche Willkür?

Lipinski bestätigt: »In der Tat … Immerhin ist das Gericht ansatzweise darauf eingegangen, dass es eine Ermessensnorm gibt, die aber weder aus der Gesetzesbegründung noch zwingend aus der Systematik hervorgeht. Nach welchen Kriterien wird denn dann entschieden? Arzt eins, zwei, vier bekommt ein Tätigkeitsverbot? Arzt drei und vier hören: Nee, euch lassen wir mal für drei Monate noch und dann sehen wir weiter. Arzt fünf und sechs: euch lassen wir vielleicht sogar mal für sechs Monate noch unbehelligt? Wir wissen es nicht.«

»Ich bin gespannt, wie die Verwaltungsgerichte diese vielen oder mutmaßlich relativ vielen Einzelfälle entscheiden werden.«
Lipinski: »Das Problem ist, dass selbst die Verwaltungsgerichte, die bislang etwas regierungskritisch waren, dass die jetzt natürlich alle an diese Entscheidung formal gebunden sind, selbst wenn sie innerlich sagen, das ist ja eine ganz merkwürdige Entscheidung.«

Wichtig werde die Frage, ob dieses Gesetz verlängert wird oder nicht. »Der Beschluss des Verfassungsgerichts stellt an mehreren Stellen darauf ab und sagt so sinngemäß: ‚Na ja, das gilt ja nur bis 31.12.. Die Maskenpflicht wurde im März 2020 beschlossen, und sie gilt zumindest in Teilen des öffentlichen Lebens auch heute noch. Sie wurde immer wieder verlängert, ein bisschen modifiziert. Wenn man bedenkt, dass in den USA teilweise schon die fünfte Impfung verabreicht wird, aber bedenkt, dass Herr Lauterbach sehr klar gesagt hat, dass für ihn die vierte Impfung eigentlich der absolute Mindeststandard ist, dann kann ich mir fast nicht vorstellen, dass dieses bereichsbezogene Impfpflichtgesetz nicht verlängert wird.«

Die Mandanten müssen laut Lipinski jetzt überlegen, ob sie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Dort sitzen wenigstens keine deutschen Richter. Lipinski kommt schließlich zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung. Das Bundesverfassungsgericht misst den beiden Instituten eine erstaunliche Korrektheit und Fehlerfreiheit zu. Beide sind jedoch weisungsabhängige Behörden. Aus Gleichheitsgründen müsse dies jetzt auch für alle anderen Behörden angenommen werden.

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