Schockwellen sendete die Bundesnetzagentur aus, als sie entschied, das Genehmigungsverfahren für die neue Erdgasleitung Nord Stream 2 zu stoppen. Der Teil, der über deutsches Gebiet verläuft, wird von einer Firma betrieben, die nicht in Deutschland angesiedelt ist, sondern in der Schweiz. Damit wird es zusehends enger in Sachen Energieversorgung in Deutschland. Das Projekt verzögert sich so.
Jetzt hat US-Präsident Biden im Gespräch mit dem russischen Präsidenten Putin gedroht, Nord Stream 2 zu stoppen, falls Russland in die Ukraine einmarschieren würde. Die US-Regierung hatte bereits erneut Sanktionen gegen eine Reederei und ihr Schiff verhängt, die an der Leitung beteiligt sind. Ebenso betonten die Grünen wiederholt, sie wollten die Gasleitung nicht.
Prof. Dr. Fritz Vahrenholt: »Der Zeitpunkt ist deswegen interessant, weil ich glaube, dass es nicht unbeeinflusst ist von den Koalitionsverhandlungen. Wir wissen ja, dass die Grünen massiv gegen den Anschluss von Nord Stream 2, die Lieferung durch Nord Stream 2 sind. Die Röhre ist voll, sie ist voller Gas. Das Gas steckt schon in der Röhre, sie ist gefüllt, sie braucht nur ein Schieber. Und ich bin wirklich enttäuscht, dass die FDP ins gleiche Horn gestoßen hat.«
Unglaublich sei es, dass ein Antrag vor zwei Monaten gestellt worden sei, und jetzt werde erst gesagt, es müsste eine deutsche Gesellschaft sein. »Das hätte man ja auch vor zwei Monaten sagen können. Also so kompliziert ist das ja nicht!« Der Energieexperte Vahrenholt: »Das heißt, wir sind jetzt darauf angewiesen, dass es vielleicht noch mal gerade gut geht, dass wir überhaupt in der Situation sind, dass wir abhängig sind von dieser Leitung und damit natürlich auch politisch abhängig.« Die Abhängigkeit von Russland sei ganz klar eine Folge der Energiepolitik seit zehn Jahren der Merkelschen Koalitionen.
Gegen Ende des Jahres werden drei weitere Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Damit entsteht eine große Lücke. Die Frage ist, ob in winterlicher Not bei voraussehbaren Energiemangel die Schieber der Gasleitung geöffnet werden.
Vahrenholt: »Ich glaube ganz sicher, dass die Schieber geöffnet werden, weil das Risiko niemand eingehen können wird. Der Ausstieg aus der Kernenergie verschärft es noch mal.« Deutschland ist künftig nicht nur abhängig von Nordstream 2, sondern auch von Stromimporten aus den Kernenergieländern Frankreich, Tschechien, Schweiz, demnächst Polen.
»Das wird uns in den nächsten Jahren auf die Füße fallen«, so Vahrenholt klar. Die Auswirkungen sind bereits jetzt erschreckend. Das bedeutet, dass beispielsweise neue Explorationen nicht mehr stattfinden. Es laufen bereits Klagen gegen zum Beispiel Shell, keine neuen Erdgasfelder und keine neuen Bergwerke mehr zu explorieren, also die Energieversorgung an der Quelle abzuschalten. Allerdings kann die Menschheit nicht auf Kohle als immer noch die mächtigste Energiequelle verzichten. 95 Prozent der Energieversorgung der Welt stammt von Kohle, Öl, Gas, Kernenergie und Wasserkraft, nur 5 Prozent stammen aus Solar und Wind. Vahrenholt: »Jeder, der ein bisschen rechnen kann, weiß, dass dadurch in den nächsten 30 Jahren die 95 Prozent weltweit nicht ersetzbar sein werden.«
»Die amerikanischen Pensionsfonds beispielsweise suchen sich ihre Investitionen nach dieser Nachhaltigkeitsverordnung aus. »Das gleiche gilt für BP und selbst eine Exxon kommt unter Druck, sodass wir am Ende nur noch die drei großen staatlichen Investoren haben, die chinesische Ölgesellschaft, die russischen Öl- und Gasgesellschaften, Gazprom und Rosneft und die arabischen Monarchien, die sich davon nicht beeindrucken lassen, weil sie selber Geld genug haben. Das führt aber am Ende zu Knappheiten.«
»Die Ölpreise sind schon oben, die Gaspreise sind jetzt explodiert, und jetzt sehen wir, dass die Weizenpreise folgen. Und das bedeutet am Ende: Diejenigen, die sich um die Zukunft der Welt Gedanken machen wie in Glasgow, sorgen dafür, dass die Teller der Armen in der Welt schmaler werden, immer kleiner werden.«
»Das Ganze ist eine fürchterliche Entwicklung. Auch in den entwickelten Ländern; hier wird es natürlich so sein, dass die Unterschicht und die wenig Verdienenden von den Nahrungsmittelpreisen am härtesten getroffen werden. Deswegen ist das eine absolut unsoziale und am Ende inhumane, unmenschliche Politik.«
Mittlerweile dämmert das auch der EU-Politik. Sie will nun Kernenergie und sogar effiziente Gaskraftwerke in der Taxonomieverordnung aufnehmen. Dann wäre der Schaden in Europa eingegrenzt und Investitionen in Kernkraft ausserhalb Deutschlands und in Gaskraftwerke in Deutschland wieder unterstützungsfähig.
Mehr im Gespräch mit Fritz Vahrenholt im Podcast.