Tichys Einblick
Wir brauchen wieder mehr Westen!

Corona als Glücksfall – weil es die Unfähigkeit des Staates gezeigt hat?

Der Mediziner und Publizist Gunter Frank zieht Corona-Bilanz: Wenn schon eine mittelschwere Infektionskrankheit Deutschland ins Chaos stürzen konnte – was wäre erst bei einer ernsthaften Bedrohung?

IMAGO / Horst Galuschka

»Vielleicht wird sich Corona als Glücksfall herausstellen, weil wir von diesem moralistisch inkompetenten Umgang mit einer mittelschweren Infektionserkrankung so massiv getroffen worden sind.« Es komme darauf an, aus dem katastrophalen Fehlern der Coronakrise zu lernen. Die dürften nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Gunter Frank ist seit über 20 Jahren Allgemeinarzt und führt eine eigene Praxis in Heidelberg. Bekannt wurde er durch Bücher über eine bessere Medizin und mehr Selbstbestimmung der Patienten. Er befasst sich mit Ernährung, versucht, zu vermitteln, wie eine ideologiefreie, auf Naturwissenschaften und Erfahrung beruhende Annäherung aussieht. Seit gut einem Jahr machte er sich mit regelmäßigen Beiträgen zur Coronapolitik bei Achgut.com einen Namen als unabhängiger Chronist und zugleich Akteur. Vor allem kritisierte er schon sehr früh die Unverhältnismäßigkeit vieler verhängter Maßnahmen, die dramatische Schäden in Wirtschaft und Gesellschaft anrichteten.

»Der Staatsvirus« heißt sein gerade erschienenes Buch (Gunter Frank: »Der Staatsvirus«, Achgut Edition Berlin 2021). In dem nimmt er die Bedrohung und die Schutzmaßnahmen unter die Lupe. Besonders aufschlussreich ist der Teil, in dem Frank die wirklichen Ursachen des aus dem Ruder gelaufenen Krisenmanagements untersucht. Das Coronavirus scheint in seinem »pandemischen Gang durch die Institutionen eine Mutation erfahren zu haben«, wie Frank schreibt. »Der so entstandene Staatsvirus verbreitet exponentiell Angst und Chaos und lässt kaum noch Raum für Vernunft und Verantwortungsgefühl.« Kritisch werde dies für eine demokratische Gesellschaft, wenn dagegen keine Therapie gefunden wird.

Die durch das Coronavirus ausgelöste Erkrankung stuft er als mittelschwere Infektion ein, die mit dem vorhandenen medizinischen Sachverstand gut behandelt werden könne. Die meisten Covid-Patienten in seiner eigenen Sprechstunde zeigten Hals-, Kopf- und Gliederschmerzen, hohes Fieber mit Husten. Bei manchen entwickelte sich in der zweiten Woche eine beidseitige Lungenentzündung mit Atemnot, die in manchen Fällen zu einer Krankenhauseinweisung führte. Einer seiner Patienten leidet auch nach der akuten Phase an einer monatelangen extremen Schwäche und Konzentrationsmangel. Von Kollegen hörte er, dass sie ebenfalls neurologische Symptome beobachteten. Es scheint so, als dass spätestens nach sechs Monaten die allermeisten Symptome verschwunden sind. Die monatelangen Erfahrungen, so Franke, deuteten an, dass bei Corona häufiger Langzeitfolgen auftreten als bei einer Influenzaerkrankung.

Doch vollkommen wirkungslos und sogar kontraproduktiv sind für ihn die staatlichen Maßnahmen, vor allem die Lockdowns. Hätte es sich, so sagt er im Audio-Gespräch mit TE, tatsächlich um eine extrem tödliche Pandemie gehandelt, so wären die Maßnahmen zu lasch gewesen und vor allem deutlich zu spät gekommen.

Doch der »komplett verkorkste Umgang mit einer Pandemie« enthält für ihn eine Reihe von »glasklaren« Botschaften. »Es gibt ganz glasklare medizinische Lehren, die schon die Grippewelle 2018 uns nachdrücklich gezeigt hat, und die jetzt Corona mit dem Dampfhammer klargemacht hat: Wir haben ein großes Problem im Umgang mit dem Tod, und zwar mit dem Sterben unserer hochbetagten Mitmenschen. Wir lassen es zu, dass diese Menschen am Ende ihres Lebens, wenn sie eben nicht durch Krebs oder Herzinfarkt sterben, sondern wenn sie auch aufgrund vielleicht des besseren Sozialwesens und der Medizin ein hohes Alter erreichen, dass sie ein geschwächtes Immunsystem haben, und dann am Ende ihres Lebens an einem Infekt sterben, den man normalerweise überlebt.«

Für Frank ein Skandal, dass diese Menschen nicht im Kreise ihrer Angehörigen in Würde sterben könnten, nicht durch spezialisierte Pflegekräfte und Mediziner schmerzfrei gehalten würden, sondern dass sie aufgrund eines Pflegemangels – eines katastrophalen Versäumnisses übrigens aller Regierungen der letzten Jahre – dann in die Akutkrankenhäuser verlegt werden. »Doch dort ist man ausgelegt auf Leben retten!« Dann werde um das Leben eines 85-jährigen Patienten gekämpft, multimorbid, auch gar nicht mehr geistig richtig bei Kräften. Er werde auch auf die Intensivabteilung verlegt, dort beatmet, was ihn umbringe; er werde von vermummten Menschen umgeben, könne sich im Falle von Corona nicht von seinen Angehörigen verabschieden. Frank im Gespräch wörtlich: »Es ist ein einsames, ich finde auch grausames Sterben, das wir institutionalisiert haben. Und das ist die Botschaft vom Coronavirus: Wie gehen wir in Zukunft mit diesen Menschen um?«

»Wir haben immer mehr über 80-jährige, die im Winter an Infekten sterben.« Das Immunsystem könne am Ende eines Lebens einen Infekt eben häufig nicht mehr abwehren, was in jüngeren Jahren problemlos möglich war. In jedem Fall müssten Pflegeheime so ausgebaut werden, fordert Frank, dass dort die kranken Menschen ohne Stress fachlich würdig behandelt werden könnten mit vernünftiger palliativer Versorgung. Eine Mammutaufgabe, die jedoch jetzt ohne das gesamte Geld, das bei Corona verbraten wurde, schwierig zu finanzieren sei.

Frank mangelt es dafür aber auch am wissenschaftlichen Fundament: »Dann brauchen Sie Wissenschaftler, und wir haben meiner Recherche nach 18 Professuren für Pflegewissenschaften. Und dann frage ich mich, wie viele haben wir für Genderstudies? 271 Lehrstühle – die was bitte schön machen?«

»Das zeigt die Prioritäten, die wir gesetzt haben in den letzten Jahren, und dann müssen wir ran. Das ist die medizinische Botschaft von Corona.« Frank stellt neben medizinischen auch gesellschaftliche Botschaften heraus. »Die gesellschaftliche Botschaft ist, dass Moralismus keine Probleme löst, sondern sie verschlimmert. Wir müssen endlich wieder anfangen, öffentlich zu streiten, ohne den anderen moralistisch in eine gute oder böse Ecke zu stellen.«

Frank weiter im TE-Gespräch: »Wenn wir die Widerstandskraft erhalten wollen, wenn wir zukunftsfähig sein wollen als Gesellschaft, wenn wir unsere Freiheit erhalten wollen und unseren Wohlstand, müssen wir weg von der Art und Weise, wie wir heute über gesellschaftliche Probleme sprechen. Das hat uns Corona auch mit dem Holzhammer gezeigt.«

Der Treibstoff dieser Entwicklung sei die Angst. Doch die Wirklichkeit lässt sich nicht verstecken. »Wir werden als westliche Gesellschaft unsere Freiheit verlieren und unseren Wohlstand, wenn wir nicht wieder lernen, mit Problemen sachbasiert und vernünftig umzugehen.«

Er zieht einen bemerkenswerten Vergleich: »Wenn man das Ganze einmal als chinesischen Stresstest ansieht – wie widerstandsfähig ist eigentlich der Westen? – dann muss ich sagen: Wir sind kläglich gescheitert! Wenn zum Beispiel in Afrika der Westen und China um Einfluss kämpfen: Wer hat sich denn da als der stabilere Partner erwiesen? Der Westen in seiner Panik, der die ganzen Lieferketten geschrottet und dort Hungersnöte ausgelöst hat?« Schätzungen zufolge seien aufgrund unseres Lockdowns hunderte von Millionen in Hungersnöte gekommen.
Die Wahrheit schätzt Frank als vermutlich viel einfacher ein: »Ich weiß nicht, ob man das als Strategie Chinas sehen kann, oder ob das nicht alles einfach ein Chaos war.«

Was Frank als »Virus der Inkompetenz« bezeichnet, »hat den Westen durchdrungen und hat unsere Immunität massiv geschwächt.«

»Entweder wir finden eine Therapie dagegen oder wir müssen noch weitere bittere Lektionen lernen. Ich weiß nicht, was das dann für unsere Gesellschaft bedeutet?«
»Wir werden den Status verlieren als die Gesellschaft mit der größten Freiheit, dem größten Wohlstand, den besten Sozialsystemen – das wird Vergangenheit sein. Vielleicht war Corona der Schuss vor den Bug, der uns dann doch einmal klargemacht hat, und dass wir, bevor wir noch mehr kaputt machen, die Kurve kriegen. Die nächste Herausforderung steht schon vor der Tür, und die heißt Klima.«

Ihn habe schon irritiert, erzählt Frank gegen Ende des Audio-Gespräches, wie er einst in einer Talkshow mit dem chinesischen Botschafter in Österreichs und zwei Journalisten saß: »Beide haben die Disziplin Asiens gepriesen und den besseren Umgang mit der Krise. Ich habe ein Interview gehört von Frau Merkel, in dem sie sagte, wir brauchen weniger Querdenker und ein bisschen mehr China, dann stünden wir wirtschaftlich besser da. Meine Güte! Sind die noch ganz bei Sinnen! Wenn ich China mit seinem Konformismus sehe, und die alten Bilder der DDR – will ich in einem solchen Land nicht leben. Nein, wir brauchen nicht mehr China, wir brauchen wieder mehr Westen! Wir brauchen das Setzen auf die individuelle Kreativität, auf die Freiheit. Das hat immer die besseren Ergebnisse gebracht, und wir sind aber auf dem Weg, das aufs Spiel zu setzen.«

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