Tichys Einblick
Interview Ralph Thiele:

Flutkatastrophe Ahrtal: »Ein Staat, der so schlecht performt, riskiert seine Existenz«

Ralph Thiele beklagt die miserable Vorbereitung des Staates auf Katastrophen in allen politischen Ebenen. Denn die Ahrtal-Katastrophe wurde erst durch ein multiples Verwaltungsversagen zum Desaster.

IMAGO

»Ein Staat, der so schlecht performt, riskiert seine Existenz.« Das sagt Ralph Thiele, Oberst a.D., er hatte Schlüsselpositionen beim Nato Oberbefehlshaber und im deutschen Verteidigungsministerium inne, ist heute Präsident von EuroDefense Deutschland, CEO von StratBird Consulting und Vorsitzender der politisch-militärischen Gesellschaft zu Berlin. Er hat die Vorgänge und Abläufe bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal intensiv analysiert. Thiele, der in der Gegend wohnt, beklagt die miserable Vorbereitung des Staates auf Katastrophen in allen politischen Ebenen. Denn die Ahrtal-Katastrophe wurde erst durch ein multiples Verwaltungsversagen zum völligen Desaster mit 134 Toten.

Eine solche Katastrophe sagt viel über einen Staat aus, der kaum mehr seinen Vorsorgepflichten nachkommen kann. Dafür bezahlen die Bürger Steuern, übertragen ihm Schutzkompetenzen. Fragen muss man angesichts dessen: Was passiert mit einem Staat, der zusehends unfähig wird und sich nicht willens zeigt?

Aktuell ganz besonders in der Kritik: Anne Spiegel, Bundesfamilienministerin und zum Zeitpunkt der Überflutungen Umweltministerin in Rheinland-Pfalz. Die Vorwürfe: Ihr Ministerium habe die Flutkatastrophe erst verschlafen, dann habe nur das Ansehen der Ministerin eine Rolle gespielt. Aus veröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass sie sich mehr um ihr Image als Ministerin kümmerte und Wert auf gendergerechte Sprache legte als auf schnelle Warnungen vor den Fluten. Sie selbst schrieb in einer SMS wörtlich: „Wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe (…)“. Ihr Team wies sie an: „Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen. Ansonsten Freigabe.“

Unionspolitiker fordern Spiegels Rücktritt als Bundesfamilienministerin. Wer sich in einer existenziellen Krise mehr um das eigene Image, um das Wording und um das Gendern kümmere, der werde gerade jetzt zu einer immensen Belastung für die Bundesregierung, so CSU-Generalsekretär Stephan Mayer.

Doch Spiegels Verhalten ist nur ein Aspekt in der großen Katastrophe »Ahrtal«. Dieses Desaster ist mehr. Es ist zugleich eine Katastrophe des Staates; sie steht für beispielloses Staatsversagen und zeigt, wohin es führt, wenn wichtige Schaltstellen nur noch von Personen besetzt werden, die außer der richtigen Ideologie über sonst keinerlei Kompetenzen mehr verfügen.

Kein Vergleich mehr mit den Leistungen eines Landrates Albert Heising, ein sehr fortschrittlicher Mann. Heising war 1890 der erste Landrat des Kreises Ahrweiler. In seine Amtszeit fielen Investitionen in den Straßen- und Wohnungsbau. Heising ließ mehr als 60 Volksschulen bauen, und er wusste, was eine sichere Stromversorgung bedeutete. Er ließ ebenfalls die meisten Orte im Kreis Ahrweiler elektrifizieren und auch nach verheerenden Hochwassern die Ahr regulieren, Wehranlagen, Wassersperren und Schwellen aufbauen, um den Wasserfluss abzubremsen und die Wucht der Hochwasser zu mildern. Denn Hochwasser an der Ahr sind keine Folge irgendwelcher Klimaveränderungen. Solche verheerenden Hochwasser suchten in Regelmäßigkeit das enge und recht steile Ahrtal heim – so am 16. Januar 1739, am 21. Juli 1804, am 23. Juni 1888, am 13. Juni 1910.

Bereits am 16. August 1348 findet sich ein Hinweis auf Hochwasser der Ahr in einem Kaufvertrag, der eine Sicherungsklausel gegen Landverlust durch Flussbettverlagerung infolge von Hochwasser enthält.

„Solche Querbauwerke stellen unüberwindbare Hindernisse für Fische auf ihrer Wanderung zu Laichplätzen in den Oberläufen dar“, so monierte in unserem Jahrhundert das durch und durch grün besetzte Umweltbundesamt. Kein Gedanke mehr an den Nutzen und Schutz. Diese Bauwerke wurden abgerissen, der „Umbau“ des Tales als umweltpolitische Großtat gefeiert. Anne Spiegel zeigte sich erfreut darüber, dass die Wasserbremsen jetzt beseitigt seien und die Fische freie Fahrt hätten. Allerdings hatte auch das Hochwasser freie Fahrt. „Wo grüne Gedanken wüten, bleibt nichts als verbrannte Erde“, kommentiert ein Leser.

Ausgerechnet in Ahrweiler befindet sich die Katastrophenschutzschule des Bundes. Dort soll ausgebildet werden, wie Katastrophen begegnet werden kann. Doch niemand hat dort wesentliches Interesse an einer Ausbildung, resümiert Thiele. Selbst der frühere Landrat des Landkreises Ahrweiler hatte kein Interesse, seine Verwaltung in dieser Richtung zu schulen.

Es ist ein systemisches Versagen. Die Ahrtal-Katastrophe wurde also erst zum Desaster durch ein multiples Verwaltungsversagen. Sie machte deutlich, wie schwach und unfähig der Staat ist, auf solche Katastrophen angemessen zu reagieren. Ralph Thiele kennt sich mit Risiko-Management und sogenannter Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit eines Systems aus. Er beklagt die miserable Vorbereitung auf die Katastrophe im Ahrtal auf allen politischen Ebenen. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, zum Beispiel habe den Krisenstab in der Flutnacht in der kritischen Phase mehr bei der Arbeit gestört, statt ihn zu unterstützen. Zudem sei Lewentz nicht gut auf den Ernst der Lage vorbereitet gewesen.

Doch zu einem vollständigen Desaster wurde die Unwetterkatastrophe erst durch vollständiges Fehlverhalten von Behörden. Das wird gefährlich für einen Staat; der stellt sich durch schlechtes Handeln selbst in Frage. Es gibt viele professionelle Menschen, die ihr Handwerk verstehen, die aber nicht eingesetzt werden. Ralph Thiele fragt und stellt klar: Warum müssen wir Amateure in solche Jobs senden? Das muss aufhören!


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