Zwei Typen von Wanderern, zwei unterschiedliche Herausforderungen: Der Abenteurer und der Ernsthafte. Wie geht man damit um, wenn einem ständig neue Leute ins Haus schneien und dann auch noch Ansprüche stellen?
Beim Abenteurer ist alles mehr oder weniger Zufall, Aufstieg oder Fall, Sieg oder Untergang, alles hängt von den Umständen ab. Wenn es nicht so gut läuft, kann er auch schnell mal wieder weg sein, auf zu neuen Ufern und dem nächsten Abenteuer. Auch der Opa von Donald Trump hat es sich, wie man hört, schliesslich anders überlegt, und wollte zurück in die Alte Heimat, aber man wollte ihn nicht haben. Das Happy End folgte später mit Übernahme eines leitenden Postens in einem „Etablissement“.
Der Abenteurer schert sich nicht darum, ob er irgendwo vielleicht nicht willkommen sein könnte. Für ihn geht es hauptsächlich um den wirtschaftlichen Quickie, nach dem ersten Golf Gti oder der ersten Überweisung an die Daheimgebliebenen wird man schon sehen. Wenn solchen Neubürgern die schnellen Siege und neue Ziele ausgehen, können sie zum Problem werden. Die – leider fast ausgestorbene – Bonner Politikergarde hatte das erkannt und dafür in der Asylkrise der Neunziger schlau „Rückkehrerprämien“ eingeführt, die selbst den grössten Loser noch in die Lage versetzte, bei Rückkunft zu Hause eine Willkommensparty schmeissen und von der schönen, aber leider zu kurzen Zeit in Deutschland schwadronieren zu können.
Der Abenteurer taucht unter, der Ernsthafte taucht ein. Glücksritter bevorzugen die grossen Ballungszentren, bei denen man sich in anonymen Vierteln verläuft und erstmal beim Cousin unterkommen kann. Ernsthafte Auswanderer gehen die Sache planvoller an, und sie gehen dahin, wo es zwar nicht unbedingt einfacher wird, sie aber aufgrund von ähnlichen kulturellen Bedingungen und guter Ausbildung glauben, sich einleben zu können.
Die USA hatten es in den ersten Jahren leicht, mit kurzer Unterbrechung durch den Unabhängigkeitskrieg genoss man einen nicht endenwollenden Strom von Neuankünften aus Europa, meist arbeitsam, immer hungrig und mit genug Anpassungsfähigkeit und Wendigkeit gesegnet, sich überall schnell mit eigener Hände Arbeit ein – und hinaufzuarbeiten.
In den Wilden Westen
Die Abenteurer sind in die unendlichen Weiten des „Wilden Westens“ weitergezogen. Dort gab es niemanden, der auf ererbte Besitzansprüche gepocht hätte, oder sie noch hätte durchsetzen können. Ein paar Generationen nach der Landung des ersten Quakerschiffs an der Ostküste waren den meisten der mehrere Millionen zählenden Ureinwohner die Krankheiten oder der Besitzerstolz der Siedler zum Verhängnis geworden. Den Rest raffte und rafft der Alkohol dahin.
Nicht viel anders sah es im Süden aus, da hatten die Spanier bis zur Niederlage von General Santa Anna – Sie wissen schon, der mit Fort Alamo – noch in den meisten Südstaaten das Sagen und verbreiteten unbarmherzig den Willen der Mutter Kirche und des Königs.
Das Land gehörte niemandem, jede Baracke war ein Erstbezug, die Frage nach Teilhabe, Harmonie und Integration mit älteren Besitzwahrern, die irgendwie auf derselben Stufe oder höher standen, stellte sich nicht. Man konnte seinen Claim abstecken und loslegen.
So wurden alle architektonischen Meisterwerke, technische Errungenschaften, Denkmäler, Sportstätten, öffentliches Eigentum, Rekorde und Zugewinne einer neu geformten Gesellschaft bis in die Siebziger Jahre rein von der weißen Mehrheitsgesellschaft für sich geschaffen und konsequent für sich beansprucht, und sie musste sich vor niemandem rechtfertigen. White America war alternativlos und jeder Neuzuzug hatte sich dem bedingungslos unterzuordnen.
Charles M Schulz‘ einziges farbiges Cartoon-Kind, Franklin Armstrong, wäre ohne die Ermordung Martin-Luther King’s nie in die „Peanuts“ gekommen. Heute wäre er angehalten, mindestens eine Asiatin, einen Hispanic/Latino und mindestens eine Schwarze als Figürchen in seine Cartoons einzuarbeiten. Die USA versuchen in einer gigantischen Anstrengung, aus der schleichenden und durchaus nicht von allen gewünschten Veränderung der Gesellschaft zu mehr Heterogenität eine Tugend und einen Exportschlager zu machen, was bisher glänzend funktioniert. Niemand wird noch bestreiten, dass nur so aus allen Menschen Brüder und Schwestern werden, jede Serie und jeder Blockbuster hat seine Minderheitenvertreter.
E pluribus unum
Diese wie immer spektakuläre, weil „biggest in the world“ Umplanung des US-Modells hin zu mehr Vielfalt und einer regenbogenfarbenen Gesellschaft der Vielen symbolisiert das – bis 1956 gültige- Motto „E pluribus unum“ (danach „in god we trust“), dessen ursprünglicher Kongress-Entwurf auch Deutschland als eines der sechs Ursprungsländer derer, die hier zusammengeschweisst werden sollen, nannte.
Aber es gibt auch in so einer brilliant geführten Kampagne Rückschläge. Eine hierzulande weniger, in den US aber ebenso bekannte wie berüchtigte Kehrseite der Zuwanderung ist die sogenannte „Reconquista“, deren öffentliche Protagonisten sich tatsächlich eine Wiederauferstehung des Mexikos der Spanischen Kolonialzeit mit 41 Staaten, darunter California und Texas, vorstellen könnten. Tatsache, jenseits dieser politisch abstrusen Theorie sind bereits alle automatischen Telefonansagen in den USA zweisprachig: Spanisch / Englisch – ein Beweis für die wirtschaftliche Bedeutung der Spanischsprachigen. Bis zur Übernahme auch nur des Südwestens der USA ist es aber trotz der prominenten Präsidentschaftskandidaten Cruz und Rubio noch weit. Obwohl bei den Geburtenzahlen immer noch vorne, stellen die Latinos zwar mehr als 55 Millionen der 300 Mio US-Bürger, aber nur einen geringen Teil der Bildungs- oder der Wirtschaftselite des Landes.
Eines jedenfalls ist sicher: Mit den ernsthaften Zuwanderern wird es keine Probleme geben, denn ihnen ist offenbar die Selbstbeherrschung gegeben, sich brav einzuordnen, einzugewöhnen und sich freiwillig zu assimilieren. Dass Assimilation gar nicht schlecht sei, schrieb die FAZ noch 2011. Die heutige GroKo in Berlin hat da wieder ein Tabu gefunden. Niemand findet sich, der ähnlich offene Worte fände, wie auch nur 2006 eine Berliner Schuldirektorin, die ja nur sprachliche Anstrengungen forderte.
Zugegeben: Richtig anstrengend ist es, mit seinen hier geborenen Kindern in Deutschland zu leben, und durch Straßen zu gehen, die einfach nichts anderes widerspiegeln als deutsche Geschichte, deutsches Brauchtum und eine deutsche Mehrheitsgesellschaft. Die bevölkert sind von einem nicht ganz einfachen, dafür aber (nur im Geheimen, natürlich) stolzen, peniblen Menschenschlag von Rechthabern, Pfennigfuchsern und Grantlern. An denen nichts, aber auch garnichts mediterran oder cool ist. Da braucht es einen ganzen Mann, um zu seinen Kindern zu sagen: Hier ist es schön, und das ist auch Euer Deutschland ! Nicht den Rasen betreten !
Das ist der Lackmustest dafür, wirklich angekommen zu sein: Ist der jährliche Urlaub im Herkunftsland das schönste Erlebnis, der Aufenthalt im sauer vom Lohn in Deutschland ersparten Häuschen? Findet man wirkliches Glück nur unter den Menschen, die so aussehen wie man selbst und dieselbe Sprache sprechen, nach denselben Riten beten? Dann wäre es höchste Zeit, über die Heimkehr nachzudenken, denn – selbst unterbewusst – wird man sich immer nur nach Hause zurücksehnen und alle Anstrengungen unternehmen, sich parallel ein Ersatz-Zuhause in Deutschland einzurichten. Ja, man könnte sogar ganz unschöne Visionen entwickeln, von einem leeren Deutschland, dem man nun einen neuen, den eigenen Stempel aufdrücken kann. Und alle Altdeutschen könnten sich von da ab immer mehr zu „hässlichen“ Deutschen entwickeln, reduziert auf Schweinswürstel, Pegida und Opferrolle.
Emil Kohleofen ist freier Publizist.