Seit das Corona-Virus in unserem Land sein Unwesen treibt, werde ich immer wieder eines Besseren belehrt – dass unser Staatsapparat nämlich doch gar nicht so handlungsunfähig ist wie er immer tut. Die Grenzen zu schließen oder Kriminelle zur Rechenschaft zu ziehen, war früher ein Ding der Unmöglichkeit. Jetzt klappt das ganz wunderbar – zumindest dort, wo es politisch opportun ist. Mir nichts, dir nichts wurde unser ganzes Land dicht gemacht, und bei der Verfolgung und Enttarnung von Corona-Leugnern und Quarantäneverweigerern werden wir auch immer besser. Das geht nach einem Bericht der Welt am Sonntag jetzt sogar so weit, dass hartnäckige Quarantäne-Brecher künftig per Zwangseinweisung in Sammelstellen, Kliniken oder Jugendarrestanstalten untergebracht werden sollen.
Dabei schien egal zu sein, wie gefährlich jemand ist und was er schon alles getan hat – das muss ich bei meiner Arbeit in einem Berliner Betreuungsbüro seit Jahren mit ansehen. Ein Psychotiker, der mit einer Machete durch die Gegend läuft, unseren Briefkasten drangsaliert und an der Klingelanlage mein Leben bedroht? Kein Anlass zur Sorge. Ein divers vorbestrafter, geistig und psychisch eingeschränkter junger Mann, der an U-Bahnsteigen Frauen tritt und schubst? Ebenfalls kein Grund für eine Unterbringung. Bis überhaupt mal einer unserer Klienten wegen seines Gefährdungspotentials per Zwangseinweisung in der psychiatrischen Station eines Berliner Krankenhauses untergebracht wird, müssen umfangreiche Formalitäten erledigt werden. Wir müssen einen Antrag im Amtsgericht stellen, es werden ärztliche Stellungnahmen eingeholt und ein Gutachter beauftragt – erst dann treffen die Amtsträger eine Entscheidung, die im Zweifelsfall immer zugunsten „des Angeklagten“ ausfällt. Wie im Fall eines psychisch kranken Flüchtlings, der sich grade in einer akut exerzierenden depressiven Phase befand und damit drohte sich in die Luft zu sprengen. Sein Sozialarbeiter traute ihm die Tat zu und war der Überzeugung, dass der junge Mann wüsste, wo er sich Sprengstoff besorgen könnte. Trotz engen Kontaktes mit der Polizei und obwohl wir alle Hebel in Bewegung setzten, passierte am Ende was? Richtig: gar nichts.
Psychotische Menschen, die eine ständige und schwere Bedrohung für sich und andere sind, dürfen also ungehindert auf unseren Straßen herumlaufen. Weil man ihre Rechte wahren muss und weil eine Unterbringung sowieso etwas ganz Böses und Menschenverachtendes ist – außer eben bei Quarantäne-Brechern. Dass jetzt ernsthaft Menschen, die auch nur eventuell Träger eines Virus seien könnten, eingesperrt werden sollen, weil sie illegal einkaufen gegangen sind oder aus sonstigen Gründen das Haus verlassen haben, ist völlig abseits von jeglicher Realität oder Verhältnismäßigkeit. Es ist gerade zu lächerlich – gleichzeitig aber auch extrem besorgniserregend. Wenn man daran denkt, wie in Berlin und in vielen anderen Teilen Deutschlands mit echten Gefahren umgegangen wird, drängt sich der Gedanke förmlich auf, dass es hier in Wahrheit darum geht politische Querulanten aus dem Weg zu schaffen, unglaubwürdig zu machen und zu entmündigen – dieselbe Diskussion gab es schließlich schon um „Klima-Leugner“.