Wir sind Zuschauer eines wieder aufgelebten – offenbar realen, nicht nur fürs Publikum vor den Landtagswahlen in Bayern inszenierten – Machtkampfes zwischen Merkel und Seehofer. Der Machtkampf ist der vorläufige Höhepunkt einer unendlich – nicht erst seit dem dem Eklat im Herbst 2015 – geführten Debatte über die Asyl- und Flüchtlingsproblematik.
Das Thema „Asyl“ ist vom Begriff her nicht identisch mit Migration (auch nicht mit Flucht vor Krieg), wird indes – von interessierter Seite unter dem Schlagwort „Festung Europa“ – mit diesen Prozessen vermengt. Asyl und Migration berühren grundlegende Fragen politischer Ethik sowie individueller moralischer Sensibilität. Letztlich geht es gemäß Max Webers Abstraktion um die Divergenz – zugespitzt: um die Antithese – von verantwortungsethischem und gesinnungsethisch motiviertem Handeln. Beide Grundhaltungen implizieren ein dezisionistisches Moment, welches als Machtfrage zum Vorschein kommt. Den Beleg finden wir derzeit erneut in der „Flüchtlingskrise“: in den Auseinandersetzungen zwischen Merkel und Seehofer, zwischen Sahra Wagenkecht und Katja Kipping bei der „Linken“, zwischen Boris Palmer und Karin Göring-Eckardt bei den Grünen, der Partei mit dem deutschen Monopolanspruch auf Weltmoral.
Die Problematik ist nicht neu. Bereits 1989 erklärte der Sozialist Michel Rocard (1930-2016), Premierminister unter Präsident Mitterand: „Wir können nicht das ganze Elend der Welt aufnehmen.“
Was die anhaltende Kontroverse um die von Kanzlerin Merkel im September 2015 ausgelöste, bis heute ungelöste „Flüchtlingskrise“ betrifft, so dreht sich der aktuelle Streit zwischen Seehofer und Merkel um die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Sicherung der nationalen Grenzen (Seehofer) oder um eine “europäische Lösung“ (Merkel) des Andrangs von illegalen Immigranten.
Dass sich die Debatte im Kreise bewegt – eine „Lösung“ ist bis dato aufgrund der bestehenden Rechtslage und des umfassenderen Problemgeflechts blockiert – ist einer Kolumne des früheren SPD-Politikers Ernst Eichengrün zu entnehmen. Eichengrün, von 1982 bis 1991 Vizepräsident des Gesamtdeutschen Instituts, kritisiert die Vorstellung von der „Europäisierung“ des Asylproblems wir folgt:
„Doch gerade bei der geplanten Europäisierung liegt der Hase im Pfeffer: Worauf wollen/können die EU-Staaten sich denn überhaupt einigen?
- Ein vereinheitlichtes europäisches Asylrecht schaffen? Beliebter Vorschlag, aber vorerst nur eine Leerformel, sobald es um Reduzierung des Zustroms geht. Am GG und an der Menschenrechtskonvention führt kein Weg vorbei.
- Dublin III bestätigen oder abschaffen? In beiden Fällen sind die Folgen absehbar. Kann das Problem also nur verschlimmern. Zudem ist Dublin III ja durch das GG gedeckt.
- Schengen modifizieren? Wäre keine Dauer-Lösung, würde hierzulande von den Befürwortern offener Grenzen für alle als Argument scheinheilig missbraucht werden.
- Erneut eine Verteilung der Flüchtlinge auf viele Staaten beschließen? Hat schon mal nicht geklappt.
- Die Grenzsicherung verstärken? Hilft nur marginal. Im Meer kann man keine Zäune aufstellen.
- Fluchtursachen bekämpfen? Hilft, wenn überhaupt nur langfristig. Setzt zudem voraus, dass das weitgehend erfolglose Modell der Entwicklungshilfe reformiert wird. Im übrigen war Berlin ja an Schaffung von Fluchtursachen beteiligt, nämlich an der Kürzung der Mittel für die UNHCR-Lager. (Wäre auch eine Aufgabe für einen Untersuchungsausschuss, festzustellen, ob Berlin sich damals der Folgen bewusst gewesen war.)
- Die sicheren Herkunftsländer bei Abschiebungen festlegen? Wird schon bei uns an Grün und Linksaußen im Bundesrat scheitern.“
Die aufgeführten Punkte erhellen die inneren Widersprüche des von Merkel – nur rhetorisch? – angestrebten Verfahrens. Der Autor hätte noch weitere Aspekte der „Flüchtlingskrise“ hinzufügen können: die verbrecherische Rolle der „Schlepper“, das indirekte – und direkte – Zusammenspiel von Schlepper- und Helferorganisationen, die juristisch betriebene Verschleppung von Asylverfahren, last but not least die spezifisch deutsche „Willkommenskultur“ als pull-Faktor.
Die seit Jahren anhaltende Debatte um Asyl, Flucht, Migration – und Integration – bewegt sich im Kreise. Diejenigen, die sich am lautesten als Protagonisten (vermeintlich) humanitärer Flüchtlingspolitik hervortun, verschlimmern den Teufelskreis, indem sie vorgeben, ihn zu durchbrechen.