Man kann dem Zerfall des „besten Deutschlands, das wir je hatten“, buchstäblich zusehen, man kann sagen, dass man dabei gewesen sei wie weiland Goethe bei der Kanonade von Valmy. Man darf den Zerfall der Energiesicherheit, der Wirtschaftskraft, der inneren Sicherheit, der Rechtsstaatlichkeit, nicht nur der demokratischen, überhaupt der Kultur, der Infrastruktur und der Logistik leibhaftig erleben.
Im Frühsommer stand beispielsweise im Raum Stuttgart der gesamte Zugverkehr still wegen eines Oberleitungsschadens. Zur inzwischen alltäglichen Ansage auf den Bahnhöfen, den alltäglichen Ankündigungen auf den Anzeigen gehören die Informationen von Zugausfällen von Regios, ECs, ICs und ICEs. Heute Morgen nun lag in Norddeutschland der gesamte Zugverkehr still. Außer der Deutschen Bahn meldeten auch andere Unternehmen wie Metronom ebenfalls Zugausfälle.
Ursache soll eine Störung am Zugfunk (GSM-R) sein. Das bahninterne Mobilfunknetz dient der Kommunikation zwischen den Lokführern, der Netzleitzentrale und den Fahrdienstleitern. Es informiert beispielsweise über nicht geschlossene Bahnübergänge, über Personen auf der Strecke, also über alle besonderen Vorkommnisse und Gefahren. Deshalb müssen die Züge bei Netzausfall in den nächsten Bahnhof fahren und dort warten, bis die Störung behoben ist. Das GSM-R wird auch genutzt zum Abgleich der Fahrpläne und zur Steuerung der Stellwerke.
Inzwischen ist von Sabotage die Rede. Wenn man so will, kann man es auch Sabotage nennen, wenn Deutschland seit Jahren von der Substanz lebt, Werterhaltungsmaßnahmen in völlig unzureichendem Maße stattfinden, was man im ganzen Land beobachten kann, begonnen beim Zustand der Sanitäranlagen in den Schulen bis zu den Zugausfällen, dem Notstand im öffentlichen Nahverkehr, dem das 9-Euro-Ticket den Rest gegeben hat.
Die Deutsche Bahn ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Unternehmen durch die Politik heruntergewirtschaftet wurde. Als Bild dafür mag Ronald Pofalla dienen, der zur Belohnung für die teils fragwürdigen Dienste, die er seiner großen Kanzlerin geleistet hat, am 1. Januar 2015 Vorstand der Deutschen Bahn, ab 2017 zuständig für Infrastruktur wurde. Der Vermögensbildung dürfte der Wechsel nicht geschadet haben. Nach Angaben des Unternehmens wurde Pofallas Vertrag auf eigenen Wunsch nicht verlängert, sodass seine Tätigkeit Ende April 2022 endete. Damit bewies Profalla wieder sein untrügliches Geschick für das richtige Timing, denn aus der Politik hatte er sich im Januar 2015 verabschiedet – und musste daher seine große Kanzlerin nicht durch die Wirren der Willkommenskultur, in der die deutsche Kultur in Deutschland immer unwillkommener wurde, begleiten, so wie er jetzt nicht den Zusammenbruch der Infrastruktur zu verantworten hat.
Ein Land zerfällt, unser Land zerfällt, vor unseren Augen, täglich mehr, moralisch, substanziell, infrastrukturell, logistisch. In Ungarn wurde ich im Frühjahr von Leuten, die in den 1990er und in den Nullerjahren in Deutschland gelebt und gearbeitet haben, gefragt: Was ist nur aus Deutschland geworden? Es war einmal so ein schönes, ein so liebenswürdiges, tolerantes und gelassenes Land, in dem man sich auf den öffentlichen Nahverkehr wie auf die Sicherheit und Sauberkeit auf den Straßen verlassen konnte.
Seitdem das woke Establishment regiert, von der Energiewende über die Masseneinwanderung in die Sozialsysteme bis zu den diskriminierenden Antidiskriminierungskampagnen, ist es mit der Liebenswürdigkeit und mit der Gelassenheit, mit der Zivilität und Bürgerlichkeit vorbei, herrscht wieder der Kommisston der Moral, wird die Substanz verlebt, drohen Zugausfälle für Regionen, die im Endeffekt das gesamte Land betreffen, explodieren die Preise für alles, besonders für Energie, steht uns ein Winter mit Lieferengpässen, mit Blackouts und fehlendem Gas bevor.
Und auch das ist typisch für das Land: In dem Moment, in dem die Leistungen der Deutschen Bahn zu Zufällen und die Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum letzten großen Abenteuer der Deutschen im 21. Jahrhundert werden, erhöht die Bahn ihre Preise.
Aber auch das ist Deutschland in diesen Tagen: Sparen muss nur das Volk, Maske tragen muss nur das Volk, Wohlstandsverlust hinnehmen muss nur das Volk. Hat Robert Habeck nicht damit geprahlt, dass er gar keine Zeit hat, das viele Geld, das er bekommt, auszugeben?
Auch das ist Deutschland in diesen Tagen, ein Land, das beherrscht wird von einer politischen Klasse, die längst die Verbindung zur Wirklichkeit verloren hat, das eingelullt wird von Medienschaffenden, die gebührensatt eine Welt entwerfen wie einst der Graf Potjomkin Dörfer für die Zarin Katharina.
Der Zugausfall in Norddeutschland heute Morgen ist und wird kein Einzelfall bleiben. Er ist das Menetekel an einer Wand, die vor Menetekel selbst lichterloh in Flammen steht. Wir sollten uns nicht beruhigen und begeuschen, nicht einwiegen und einlullen lassen, nicht als Walten eines unbegreiflichen Fatums hinnehmen, was Menschenwerk ist, was Ideologiewerk ist, was Unfähigkeit ist.
Wie schrieb Heinrich Heine vor fast 200 Jahren 1844 in der Dichtung „Deutschland. Ein Wintermärchen“:
Sie sang vom irdischen Jammerthal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew’gen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eyapopeya vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Heute müsste es vermutlich so lauten:
Sie sang von Klimaneutralität,
Vom Wohlstand, der bald zerronnen,
Vom Radfahren von früh bis spät
Verklärt in ew’gen Wonnen.
Sie gendern das alte Entsagungslied
Das Eyapopeya der Transformation.
Sie träumen von Hass und Hetze
Und feiern das Ende der Nation.
Die Störung wurde gegen 11 Uhr behoben, diese Störung, vorerst. Die nächste wird kommen, das ist so sicher wie die nächste Preiserhöhung.