Schön sieht es aus im „Gleis“ in Zürich: Glasfassaden lassen viel Licht rein, das auf Perserteppiche fällt, auf chinesische Lampions und auf ein bunt zusammen gewürfeltes Mobiliar. Nur eins gilt im „Gleis“: Zwischen Perserteppichen und chinesischen Lampions ist kein Platz für kulturelle Aneignung. Deswegen lud die Gaststätte den österreichischen Sänger Mario Parizek wieder aus – er trägt als Weißer Dreadlocks. Das gilt unter Linken als „kulturelle Aneignung“.
Weiße, so der identitätspolitische Vorwurf, würden sich die Kultur von Völkern aneignen, die in der Kolonialzeit unterdrückt wurden – ohne sich dabei der Unterdrückung bewusst zu sein. Der kanadische Premierminister Justin Trudeau bat öffentlich um Verzeihung, weil er sich als Jugendlicher orientalisch zurecht gemacht und so einen Kostümball besucht hatte. Der Koch Jamie Oliver sah sich massiver Kritik ausgesetzt, weil er als Weißer im Fernsehen Reis nach einem jamaikanischen Rezept kochte. Und Dreadlocks gelten unter woken, identitätspolitischen Linken als das augenfälligste Merkmal für kulturelle Aneignung. Schon mehere weiße Künstler durften nicht auftreten, weil sie diese Frisur tragen.
So wie nun der Österreicher Mario Parizek am Dienstag im „Gleis“ in Zürich. Der Ausgeladene sprach von einer „mehr oder weniger faschistischen Einstellung“ der Gleis-Verantwortlichen. Denn sie hätten ihn ausgeladen, weil er als Weißer Dreadlocks trage. Dabei sei das Konzert schon vor Monaten ausgemacht worden, wie er dem Schweizer Nachrichtenportal 20 Minuten mitteilte. Die Frisur trage er, seitdem er 13 Jahre alt ist. Er sei in einem „ziemlich rechten Dorf“ aufgewachsen und habe dort mit den Dreadlocks demonstrieren wollen, dass es „auch andere Leute gibt“. Dass ihn nun eine linke Bar auslade, die selbst persisch und chinesisch dekoriert sei, verstehe er nicht.
Wenn sich das Kollektiv eine Haltung erarbeitet, könnten die eigenen Lampions zum Thema werden: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde China von den Kolonialmächten gezwungen, ihnen Opium abzukaufen und damit die Suchtprobleme der eigenen Bevölkerung hinzunehmen. Als es zu einer Rebellion kam, schickten die Kolonialmächte Heere, um den „Boxeraufstand“ blutig niederzuschlagen. Zur gleichen Zeit gab es im deutschsprachigen Raum eine Chinesenwelle. In einer Mischung aus rassistischen Vorurteilen und unterdrückter Sexualität begannen die Deutschsprachigen, von Fernost zu träumen und ihre Häuser chinesisch zu dekorieren – so wie jetzt das Gleis in Zürich. Will das Kollektiv den Bildersturm, kann es also in der eigenen Bar anfangen.
Die Mischung aus Ahnungslosigkeit und Sendungsbewusstsein des Gleis-Teams war eine dankbare Steilvorlage für die Nutzer auf Twitter. Unter dem Hashtag „#dasGleis“ schrieb ein Nutzer: Wer sich bei einem Konzert unwohl fühle, könne ja auch einfach daheim bleiben.
Ein anderer bemerkte, dass sich die Absagen von Konzerten häufen, weil die Sänger Dreadlocks tragen wollen. Daraus schließt er: „Eins ist sicher: linksextreme sind genauso dumm wie die Rechte.“
Ein anderer vermutet scherzhaft: Wenn sich Gäste in einer Bar unwohl fühlen, werde das wohl eher an der Küche liegen – als an den Frisuren der Gäste.