In Südeuropa haben sich neue Parteien herausgebildet, die eher Sammlungsbewegungen gleichen, Syriza in Griechenland, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, Podemos und Ciudadanos in Spanien. In Frankreich konnte ein großer Erfolg, vielleicht sogar der Wahlsieg des Front National nur dadurch verhindert werden, indem aus dem in Unpopularität und in Affären versinkenden Parteiensystem mit viel Aufwand quasi über Nacht die Bewegung „En Marche“ gebildet wurde, die versprach, Frankreich zu modernisieren. Allerdings ist dieser Erfolg vorübergehend, denn dem Pathos müssen Taten folgen, die nicht mehr auf einhellige Begeisterung stoßen werden, weil nun deutlich wird, was der ehemalige Investmentbanker Macron unter Modernisierung versteht.
Nur in Deutschland wird der sinkende Stern Emmanuel Macrons noch poliert in der Hoffnung, dass dieses Strahlen auf die EU übergeht. In Österreich hat ein junger Politiker die altehrwürdige ÖVP erneuert, nur dass diese Modernisierung das ganze Gegenteil von dem ist, was hierzulande von Katrin Göring-Eckhart und von Angela Merkel, von Anton Hofreiter und von Volker Kauder für modern gehalten wird.
Die spätbürgerlichen Gesellschaften Europas verändern sich fundamental in einem Prozess, der keine Gewissheit verschont. Im Grunde hat das alte Links-Rechts-Schema, das immer noch so gut schlechte Dienste leistet, ausgedient und bildet die Konfliktlinien in der Gesellschaft nicht mehr ab, sondern verklärt sie und schafft lediglich Popanze für Eiferer, Ideologen und Journalisten. Wer in den Links-Rechts-Diskurs geht, kämpft mit Gespenstern und lebt in Edgar Allen Poes Welt.
Interessanterweise lässt sich bei den Linken ein ähnliches Phänomen beobachten wie bei der CDU. Nicht nur, dass beide Parteien Wähler an die AfD verlieren, weil sie nicht mehr Politik für ihre Wähler machen oder machen wollen, nicht den Sozialstaat sichern, nicht die innere Sicherheit garantieren und auch die Infrastruktur sträflich vernachlässigen, sondern den Staat zu einem Bundesamt für die Weltsozialhilfe auf Kosten der Bürger, auf Kosten der Familien, auf Kosten der Zukunft derer, die „hier schon länger leben“ umbauen.
Aber gerade diejenigen, auf denen der Staat ruht, die ihn finanzieren, benötigen auch einen handlungsfähigen Staat. Ein handlungsfähiger Staat jedoch, und ein Sozialstaat überdies kann nur ein Nationalstaat sein. Selbst das Ökowohlstandswohlfühlbürgertum, das in schlechter deutscher Tradition sich den allerweltfremdesten Träumen hingibt, braucht den Nationalstaat, den es so sehr verachtet.
Dieser Richtungskampf hat die Linken mit ganzer Heftigkeit erfasst und gipfelt vorerst in dem Versuch Sarah Wagenknechts, eine Linke Sammlungsbewegung zu gründen. Mit anderen Worten, die Linken werden auseinanderfallen, wenn die Parteiführung um Rixinger und Kipping nicht noch einlenkt, weil sie begreift, dass Wagenknechts Sammlungsbewegung Dynamik besitzt, während die Restpartei zur Sekte absinken würde.
Als die Führungsriege der CDU unter Angela Merkel – von Demoskopen überzeugt – zur asymmetrischen Mobilisierung überging und hemmungslos nach links schwenkte, um für sozialdemokratische und Wähler der Grünen attraktiv zu werden, nahm sie ihre Wähler in eine Art Geiselhaft. In der Überzeugung, dass die Wähler der CDU, aber auch viele Parteimitglieder keine Alternative zur CDU haben, weil die anderen Parteien ja noch „linker“ wären, übernahm sie Forderungen der Sozialdemokraten, aber vor allem der Grünen und setzte sie um. Die Konservativen in der Partei wurden marginalisiert. Immer mehr Wähler verloren ihre politische Heimat oder wählten nur noch mit der Faust in der Tasche die Union.
Doch der Linksliberalismus wurde zum Mainstream und blutete geistig aus. Er wird das Opfer seines eigenen Erfolges. Er hat die Gesellschaft nicht liberalisiert, sondern zerbröselt, er hat die Bürger in Monaden verwandelt und jegliche Bindekräfte und Gemeinsamkeiten zugunsten eines Hyperindividualismus aufgelöst. Er bietet keine Lösungen für die Probleme, die er geschaffen hat, und hat der Gesellschaft intellektuell nichts mehr zu bieten.
Not tut ein moderner Konservatismus, der Problemlösungen und Orientierung entwickelt, ein Konservatismus, der die deutsche Gesellschaft erneuern kann, in dessen Zentrum der Bürger als Subjekt der Demokratie und die Familie als Lebensquell der Gesellschaft stehen. Ohne Frage, es ist die Stunde der Konservativen. Ob sie die zu nutzen verstehen, wird man sehen.
Konservative in der Union sehen diese Aufgabe. Ob mit der genügenden Konsequenz lässt sich freilich noch nicht sagen. Aber eines sicher, ob sie es selbst wahrhaben wollen oder nicht, sie verbindet so gut wie nichts mehr mit dem linksliberalen Merkel-Lager. Wie es um die Autorität der Parteivorsitzenden bestellt ist, demonstriert am besten die Tatsache, dass sie bereits eine Partei in der Partei benötigt, einen eigenen „Fan-Klub“ in Gestalt der „Union der Mitte“, die übrigens auch den „Rechtsruck“ verhindern will. Wirklichkeitsblinder geht nimmer, wo doch die CDU seit 2004 immer weiter nach links gedriftet ist. Angela Merkel hat als Bundeskanzlerin wesentliche Forderungen der Grünen verlässlich erfüllt: Abschaffung der Wehrpflicht, Energiewende, Übertragung nationalstaatlicher Kompetenzen nach Brüssel, Ehe für alle, Massenmigration.
War die asymmetrische Mobilisierung als Taktik erfolgreich, scheitert sie nun als Strategie. Zwischen der „Union der Mitte“ auf der einen Seite, die sich als modern und moderat anpreist, wobei sie doch eher hoffnungslos rückständig und linksliberal ist, und der Werteunion auf der anderen Seite bestehen kaum Gemeinsamkeiten.
Wenn die „Union der Mitte“ tatsächlich mittig ist, dann soll sie erklären, wer links von ihr in der Union steht! Dass sie sich in allergrößter Bescheidenheit als „eine Art Impulsgeber“, als eine „Ethikkommission der Union“, sieht, zeigt doch nur, wie sehr sie Fleisch vom Fleisch und Blut vom Blut des Linksliberalismus ist. Wie sollte bei derartiger Selbstüberhöhung, in der man sich zur entscheidenden Instanz erklärt, das Gespräch mit anderen Strömungen in der Partei gelingen? Der hohe Ton der Hypermoral kennt die Wirklichkeit nicht mehr, er begreift sie nicht mehr, sondern entgreift sie. In ihren Phrasen von der „Verrohung der Sprache“, von „proeuropäisch-zukunftszugewandt“ und „nationalistisch-isoliert“ sind die Matadoren der Union der Mitte von ihren grünen Kollegen nicht mehr zu unterscheiden. Auch nicht darin, dass sie Ursache und Wirkung ständig verwechseln, wenn sie nicht einmal verstehen, dass die „Populisten“ die Probleme nicht geschaffen haben, sondern eine Folge der Probleme sind, die der Linksliberalismus dem Land beschert hat.
Verschiedene Kräfte driften, ja treiben sogar in der Union auseinander. Es gelingt der Parteiführung nicht mehr, sie zu integrieren – zu groß sind die objektiven Ursachen für diesen Prozess. So gesehen verliert die Union gerade ihren Status als Volkspartei, weil sie unterschiedliche Interessen und Standpunkte nicht mehr zu vereinen vermag.
So weit ich sehe, hat Angela Merkel ausdrücklich und hocherfreut die Union der Mitte gelobt, während es kein Gespräch mit der Werteunion zu geben scheint, nur eisiges Schweigen. Wie will sie so integrieren?
Es werden in Deutschland neue Parteien und Bewegungen entstehen. Wahrscheinlich auch aus der Union, der als Folge der Werteimplosion die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Richtungen abhanden kam.
Das ist ein ganz normaler Prozess der Demokratisierung, denn die Parteien sind für die Bürger da und nicht umgekehrt. Werden die Interessen der Bürger nicht mehr vertreten, suchen sich die Bürger andere Repräsentanten – das ist ihr gutes, in einer Demokratie sogar verbrieftes Recht.