Tichys Einblick
Angekommen in der Schweigespirale

Zerbricht die Ampel nach der Brandenburg-Wahl?

In einer Regierung, die nicht einmal mehr miteinander reden kann, gelten nur noch die Überlebensinstinkte des Einzelnen. Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Wähler in Brandenburg nun die Chance haben, die Ampel abzuwählen.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler

„Die Ampel mag nicht mehr miteinander sprechen. Ein für Mittwoch kommender Woche geplanter Koalitionsausschuss ist abgesagt worden“, berichtet die Welt. Zuvor hatte die Bundesregierung ihre Klausurtagung im Schloss Meseberg verschoben. Geplant war sie für den 3. September. Am 1. September lösten die Wahlen in Sachsen und Thüringen ein politisches Beben aus, allerdings mit Ansage. Denn, dass nicht dieses Ergebnis eintreffen würde, konnte man nur hoffen, wenn man reichlich Regierungscannabis intus oder sich schon eine beträchtliche Zeit aus der Realität verabschiedet hat.

Zwar hatten die Regierungsfraktionen getrennte Klausuren veranstaltet, doch gemeinsame Gespräche fanden und finden offensichtlich nicht statt.

Es hat den Anschein, dass die Ampel nur noch bis zur Brandenburg-Wahl am 22. September existieren könnte. Zu groß sind die Unterschiede, ja, die Gegensätze der drei Parteien, die so tief gehen, dass sie sich inzwischen zum Hass vertieft haben. Keiner kann mehr auch nur einen Schritt gehen, ohne den anderen herauszufordern oder zu verletzen, ob das in der Frage der Wirtschaft, der Migration, der inneren Sicherheit ist. Die Ampel sieht sich nicht einmal mehr in der Lage, einen grundgesetzkonformen Haushalt aufzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass Olaf Scholz augenscheinlich nicht in der Lage ist, die Koalition zu führen.

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Sogar in seiner Partei gehen sie inzwischen deutlich auf Distanz dazu, dass Scholz Kanzlerkandidat wird. Was sagt das über einen Kanzler aus, wenn die eigene Partei ihren Kanzler nicht einmal als befähigt ansieht, Kanzlerkandidat zu werden? Aber nicht nur in der SPD herrscht Streit. Auch bei den Grünen verhärten sich die unterschiedlichen Positionen und ist ein Stellungskrieg ausgebrochen.

Habeck gegen Baerbock, Baerbock gegen Habeck. Man traut es sich kaum zu schreiben, aber Habeck hat in der Frage der inneren Sicherheit und der Migration die realistischere Position im Vergleich zu Baerbock – doch die Fraktionsführungsdamen Dröge und Haßelmann stehen zu Baerbock. Und in der FDP stehen Fraktion und Bundesminister gegen ihre eigene Parteibasis, die lieber heute als morgen die Koalition beenden möchte. So weit und so trist die Situation.

In der Ampel-Regierung ist jetzt offenbar die Schweigespirale ausgebrochen. Man hat sich auch nichts mehr zu sagen. Jedes Wort kann unkontrollierbare Wirkungen provozieren.

Bis jetzt war davon auszugehen, dass bei den aktuellen Umfragewerten keine Partei Neuwahlen anstrebt. Viele Abgeordnete würden ihren Job verlieren, die meisten, wenn nicht alle Minister ebenfalls, wenn Neuwahlen stattfänden. Diäten, Dienstwagen und das süße Gefühl von Macht und eigener Bedeutung wenigstens noch ein Jahr zu behalten, ist der Kitt der Koalition. Doch auch jeder Kitt kann bröckeln.

Prozesse können den Grad erreichen, dass sie nicht mehr zu steuern sind, dass Bremsen versagen und dass man auf Glatteis gerät. Im Politischen wird dieser Zustand erreicht, wenn unter den Akteuren die Panik ausbricht, die durch das mangelnde Vertrauen zum anderen noch hochgetrieben wird, weil sich längst die Stimmung „Rette sich, wer kann“ wie ein Flächenbrand ausbreitet. In einer Regierung, die nicht einmal mehr miteinander reden kann, gelten nur noch die blanken Überlebensinstinkte des Einzelnen.

Ich hatte die Ampel als untot bezeichnet, doch die Tage, an denen ein Leben nach dem Tode möglich ist, reduzieren sich. Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Wähler in Brandenburg nun die Chance haben, die Ampel abzuwählen. Die Ampel könnte in Brandenburg fallen.

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