Ich bin 1953 geboren. Meine soziale Prägung stammt also aus den sechziger und Anfang der siebziger Jahre. Die damalige Zeit war oft noch bestimmt von Männern und Frauen, die den Nationalsozialisten nahe gestanden haben. Die Werteeinstellung dieser Leute war erzkonservativ. Viele, ich kann mich an einige Lehrer erinnern, standen auf Zucht und Ordnung, man sah es ihnen auch schon an. Mobbing in der Schule ging oft von den Lehrern aus; in vielen Schulen gehörten Prügel noch zur Pädagogik. Dabei kam es auch im Gegensatz zu heute zu einer spürbaren Verbrüderung der Schüler, die sich gegen Übergriffe gemeinsam wehrten.
Es gab Klassen, in denen herrschte ein Gleichgewicht des Schreckens: Lehrer, die ihre Schüler tyrannisierten und Schüler, die den Unterricht für die Lehrer zur Hölle machen wollten – was ihnen oft genug gelang. Allerdings mussten wir alle auch damit umgehen, bei Mannschaftssportarten zu den Verlierern zu gehören und dafür auch noch verspottet zu werden. ‚Schule des Lebens‘ nannte man das und da mussten wir alle durch. Ich will das nicht idealisieren. Es war streckenweise grausam ungerecht.
Nichtsdestotrotz folgte ich dem Befehl, zur Bundeswehr zu gehen. Natürlich habe ich wie viele andere versucht bei der Musterung als nicht wehrtauglich zu erscheinen. Hat leider nicht geklappt. Also ging ich zur Bundeswehr und wurde sogar Zeitsoldat, weil ich dadurch die Möglichkeit hatte, in der Nähe von München stationiert zu werden.
Diese Bundeswehrzeit und der später parallel laufende Zivildienst waren, wie ich heute erkenne, aber nicht nutzlos. Weder für viele junge Männer als auch für die Gesamtgesellschaft. Niemand sprach von verlorenen oder gestohlenen Jahren. Durch die damalige Wehrpflicht sparte sich der Staat sehr viel Geld. Man bekam ja als Wehrpflichtiger oder als Zivildienstleistender nur ein Taschengeld. Es gab aber eben genug Männer, die auch die Einrichtungen und Ausrüstungen pflegten und in Ordnung hielten. In der Kranken-, Altenpflege und Behindertenbetreuung gab es genug Wehrdienstverweigerer, die diese zivilen Aufgaben übernahmen. Ich habe das Gefühl, dass ein Teil des heutigen Wohlstandes in Deutschland, auch auf dieser Dienstpflicht, die ja für den Staat sehr kostengünstig war, aufgebaut ist.
Das ist also der Zeitgeist von heute, und die, die diesen Zeitgeist prägen und leben wollen, können nicht akzeptieren, dass viele Menschen, besonders die, die in meinem Alter sind, eventuell zwar ihre Aussagen vorsichtiger formulieren. Wenn sie daran denken. Aber das Gedankengut ist eben gemischt mit unseren Erfahrungen und von der Erziehung des damaligen Zeitgeistes geprägt. Nun ist es üblich geworden, die Geschichte und die Erlebnisse aus heutiger Sicht zu bewerten und abzuurteilen. Da ist dann alles ‚Nazi‘, was nicht in den heutigen Zeitgeist passt.
Vielleicht sollten wir auch mal den Spieß umdrehen. Dann ist vieles, worüber heute geklagt wird, einfach nur weinerliches Getue, lächerliches Selbstmitleid und kindisches Gehabe. Das Leben ist kein Ponyhof. Und wer nicht vom Pferd fallen will, soll im Ponyhof bleiben, bis die Füße am Boden schleifen. Wir hatten unsere liebe Not damit, uns aus der Prüderie zu befreien und einen Blick in den Playboy zu ergattern, der nur unter dem Ladentisch versteckt liegen durfte.
Heute erleben wir eine neue Prüderie, die vielfach noch verklemmter ist als die Verklemmtheit unserer Zeit: Ein falscher Blick, ein falsches Wort und im Ponyhof ist Drama bis hin zur sozialen Existenzvernichtung. Die erotische Spannung war jedenfalls mit hoher Voltzahl ausgestattet und das war nicht nur gut: Es war großartig und ist es noch. Schaut nicht so beschämt auf den Boden. Wollt ihr wirklich so leben?