Tichys Einblick
Gesichtsverbrechen

ZDF, 1984 und »Facecrime«

Wenn auch das letzte ihrer Argumente als Lüge entlarvt wurde, greifen Linke den Andersdenkenden wegen seines Gesichtsausdrucks an: »punchable face«, »smug shit« … Orwell sah das 1984 voraus, dort heißt es »Facecrime«.

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Die geringste Kleinigkeit konnte einen verraten. Ein nervöses Zusammenzucken, ein unbewusster Angstblick, die Gewohnheit, vor sich hinzumurmeln – alles, was den Verdacht des Ungewöhnlichen erwecken konnte, oder dass man etwas zu verbergen habe. Einen unpassenden Ausdruck im Gesicht zu zeigen (zum Beispiel ungläubig dreinzuschauen, wenn ein Sieg verkündet wurde), war jedenfalls schon an sich ein strafbares Vergehen. Es gab sogar ein Neusprechwort dafür: Gesichtsverbrechen. – Sie ahnen es: der Einstieg dieses Essays ist eine Passage aus George Orwells 1984, Kapitel 5, und Gesichtsverbrechen heißt im Englischen »face crime«.

Wegen seines Gesichtsausdrucks

Letztes Wochenende steigerte sich die Haltungslinke weltweit in rasenden Hass gegen ein paar Jungen. US-Medien wie CNN, New York Times, Washington Post und natürlich Der Spiegel in Deutschland hatten eine Lüge verbreitet, die den Jungen unterstellte, einen amerikanischen Ureinwohner umstellt und bedrängt zu haben (ich schrieb darüber: US-Medien befeuern Jagd auf Teenager – basierend auf einer Fake News).

Doch dann, wieder einmal, stellte sich das, worauf die Empörung basierte, als eine weitere linke Lüge heraus, und das Fundament des heiligen Hasses gegen ein paar Teenager brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus (oder, anderes Simile: wie jüngst die Karriere des Clinton–Freundes, Trump-Hassers und House-of-Cards-Hauptdarstellers Kevin Spacey).

Als die regressive left merkte, dass die Fakeness ihrer Fake News selbst für ihre Verhältnis arg hoch war, wechselte sie die Angriffszone: sie beschimpfte und bedrohte den Jungen wegen seines Gesichtsausdrucks im Angesicht der Provokation durch den Erwachsenen. (In den Sozialen Medien wird es derzeit unter dem Hashtag #FaceCrime diskutiert.)

Punchable Smugness

In den sozialen Medien wurde das Gesicht des Jungen von vielen tausend Nutzern (teilweise TV-Promis und mit dem blauen Twitter-Verifizierungs-Haken; Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3) als »punchable« bezeichnet (»schlagbar«) – verbunden mit dem Kontext regelmäßiger linker Aufrufe zur Gewalt gegen Andersdenkende (»punch a nazi« etc.) erklärt es, warum es immer häufiger, in den USA wie auch in Deutschland, zu gewalttätigen Übergriffen auf Nicht-Linke und Abweichler kommt.

Eine nur formal abgeschwächte Version des Angriffs auf einen Gesichtsausdruck des Jungen war, dieser sei angeblich »smug« gewesen und somit »shit«; typische Formulierungen jener, die sich für die Guten und Ethischen halten, waren z.B. »smug piece of shit«, »smug rude little maga turd« oder »Smug Smiley McShitface« (die Nähe der Linken zum Verbalfäkalen ist durchaus auffällig).

Auch der Kommentar des US-Comedian Patton Oswalt (fanatischer Trump-Hasser) war in etwa so kreativ, wie man es von linken Comedians heute erwartet: »THIS leering, privileged little shit« (etwa: »DIESES grinsende, privilegierte kleine Stück Scheiße«).

Wo es vulgär gegen Andersdenkende und Abweichler geht, da will Jan Böhmermann vom ZDF auf der Fäkalwelle wenig überraschend mitsurfen – er retweetet die vulgäre Verunglimpfung gegen den Jugendlichen (siehe Screenshot).

Jede eventuelle halbherzige Distanzierung des ZDF von einzelnen Handlungen und Aktionen aus dem Umfeld des prominenten Haltungs-Einpeitschers J. Böhmermann (der mit den NS-Methoden) ist an diesem Punkt nur noch lächerlich (siehe zum Kontext z.B. zeit.de, 10.5.2018) – alle wissen doch, wie er tickt, dieser Herr mit der Freude am Hitler-Kostüm.

Was war also das »Verbrechen« des Jungen, dessen Verhalten sogar der jedes Konservatismus unverdächtige Stefan Niggemeier als »stoisch« bezeichnet?

»Der Student, der im Zentrum des viralen Kurzvideos steht, hat sich dem Mann mit der Trommel nicht provozierend in den Weg gestellt. Er hat stoisch auf einen Mann reagiert, der Trommel schlagend auf ihn zuging.« (Stefan Niggemeier in uebermedien.de, 21.1.2019)

Wir leben in Zeiten, in denen Journalisten und Fanatisierte eine weltweite tatsächliche mediale Hetzjagd gegen einen Teenager anheizen, weil ihnen dessen Gesichtsausdruck als Reaktion auf eine Provokation durch einen erwachsenen Provokateur nicht gefällt. (Mittlerweile korrigieren Linksmedien übrigens auch die Lüge, wonach der Trommler ein Vietnam-Veteran gewesen sein soll, siehe z.B. washingtonpost.com, 22.1.2019 – es ist wieder und wieder dieselbe Masche: man erfindet eine Story, man empört sich, und dann, wenn man erwischt wird, korrigiert man Details wieder, doch die Emotion und der Hass auf Andersdenkende bleiben – Prinzip »es wird schon etwas dran sein«.)

Linksfaschismus

Der Spruch von den »rotlackierten Faschisten«, den »Linksfaschisten«, passt er denn?

Tatsächlich greifen Linke wie jener ZDF-Promi und einige politiknahe NGOs einzelne Gedanken und Methoden des Faschismus auf. Auch das neue faschistische Denken versucht, die Gesellschaft von Andersartigen zu reinigen, man ist bereit, Menschen für die eigene Ideologie zu opfern, man entmenschlicht regelmäßig seine Gegner, man spricht dem Gegner die Menschenwürde ab (z.B. »lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur« von TAZ/Die-Zeit-Kolumnistin Mely Kiyak, siehe achgut.com, 1.12.2016), man verhöhnt Behinderte, wenn sie die »falsche Meinung« haben (wie etwa vom ZDF aus geschehen, siehe achgut.com, 5.2.2018), man erhebt totalitäre Ansprüche (siehe auch Mensch vs. Gehorsam), man gibt sich nicht zufrieden, bis nicht auch der letzte Andersdenkende in seiner sozialen und wirtschaftlichen Existenz vernichtet ist (siehe auch: Meinung, Freiheit und »Konsequenzen«) – und wenn man keine Argumente mehr hat, dann erklärt man den Gesichtsausdruck des Gegners zur Untat – wie Orwell es vorhersah, und wie des ZDF Böhmermann es via Retweet tut.

Selbe Gründe, neues Übel

Ich habe meiner zweiten Essay-Sammlung den Titel »Nie wieder« gegeben. »Nie wieder!«, ein instrumentalisierter Schlachtruf der Blinden, die uns vom Horizont, von Licht und Dunkel erzählen wollen, der Lahmen, die uns das Gehen lehren möchten. Es wird stets davor gewarnt, die alten Fehler zu wiederholen – doch das ist nicht die Gefahr! Nicht, dass sich Damals exakt so wiederholt ist die Gefahr, sondern dass aus denselben Gründen, die zum Damals führten, ein neues Übel passiert. Auch Damals wurde der Gegner anhand seiner Gesichtszüge verächtlich genannt, heute wieder. Damals wurde zur Gewalt gegen Andersdenkende aufgerufen, heute wieder. Damals waren die Rationalen zu Beginn in der Minderheit – wir müssen unser Bestes geben, dass wir es heute nicht wieder sind!

Neue Wege

Aus den alten Gründen passieren heute neue Fehler, angetrieben von jenen, die nie einen Fehler bei sich sehen. Heute weiß man, was man Damals alles hätte besser machen können; im Nachhinein ist man immer klüger, ach – hätten wir nur eine Glaskugel, jetzt schon zu wissen, was wir heute hätten tun sollen! Was ist die richtige Handlung, die richtige Reaktion, wenn die Propagandisten dich für den »falschen« Gesichtsausdruck fertigmachen?

Man möchte den selbsterklärten Guten zurufen: »1984 war als Warnung gedacht, nicht als Anleitung«, doch diese Mahnung fordert den Empfänger zur Reflexion seiner Gedanken und Taten auf, wenn nicht sogar zur Selbstironie – Selbstironie aber ist dem Fanatiker fremd, ist das Wesen der Selbstironie doch die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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