Tichys Einblick
China und der Ukraine-Krieg

Jetzt könnte Xi Jinping als Friedensstifter und großer Gewinner auftreten

Der mächtigste Mann Chinas, Parteichef Xi Jinping, sucht europäische Partner ohne die USA. Erstmals seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine betritt China die internationale Bühne.

Virtueller Gipfel von Xi Jinping mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz am 8. März 2022

IMAGO / Xinhua

Die in Deutschland zurzeit am meisten gestellte Frage lautet: „Wie weit wird Putin gehen? Drückt er mit dem Rücken zur Wand am Ende sogar den roten Knopf?“ Am Ende dieser Woche ist diese Existenzfrage für uns alle mit einem klaren Nein zu beantworten.

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Denn auf der Bühne in diesem Spiel ist unerwartet ein neuer Akteur aufgetreten: Chinas mächtigster Mann, Parteichef Xi, hat als neue Figur die Bühne betreten. In Peking geschieht nichts, ohne zuvor jeden Schritt in die langfristigen Strategien einzubetten. Die Lage ist aus Sicht der mittlerweile nach den USA stärksten Macht der Welt relativ klar: „Freund“ Putin ist in größten Schwierigkeiten. Sein Ukraine-Abenteuer droht zum Fiasko zu werden. Seine stets so hoch gepriesene Armee legt zurzeit vor Kiew den größten Offenbarungseid der Schwäche seit Afghanistan ab. Der Kreml-Herrscher hat die Widerstandskraft der stolzen Ukrainer ebenso unterschätzt wie die Fähigkeit seiner Truppen maßlos überschätzt.

Der britische Nachrichtendienst, der den gesamten russischen Funkverkehr abhört, berichtet über ein heilloses Durcheinander, ein Großversagen der Technik und extreme Nachschubprobleme. Die Erwartung, das leidige Thema Ukraine sei in 48 bis 72 Stunden erledigt, erweist sich als Trugschluss. Was jetzt noch übrig bleibt, sind Massaker an der Zivilbevölkerung und die blinde Zerstörung des Landes. Gewonnen wäre damit für die Russen gar nichts. Eine reine Besetzung des Landes würde nicht zuletzt durch den sich anschließenden Partisanenkampf nicht zu kalkulierende Blutopfer verlangen.

Putins zweites Desaster ist die für ihn unerwartete Geschlossenheit des Westens. Er setzte auf eine seit Schröder und Merkel gewohnte Abneigung gegenüber den Amerikanern und die Interessengegensätze insbesondere mit Frankreich. Der neue US-Präsident Biden wurde als senil und führungsschwach eingeschätzt. Beide Vermutungen erwiesen sich ebenso als falsch. Das Bündnis steht zusammen, und Biden führt.

Als Drittes kommt hinzu, dass die massiven Sanktionen schon jetzt spürbar werden und Russland ins Mark treffen. Selbst ein Sperren der Rohstoffexporte wie Gas und Öl würden – bei allen Unannehmlichkeiten – von der wirtschaftlichen und technologischen Stärke der westlichen Welt durchzustehen sein.

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Was bedeutet das nun alles für die Interessen Pekings? Washington ist für das neue „Reich der Mitte“ der eigentliche Gegner des 21. Jahrhunderts. Ihn zu schwächen, ist Parteichef Xi einen hohen Einsatz wert. Indem er nach dem Treffen mit Scholz und Macron bekräftigt hat, dass nur eine diplomatische Lösung den Ukraine-Konflikt beenden könne, sandte er Putin ein klares Signal, was er von Russland erwarte. In der verzweifelten Lage des Kreml-Chefs, dem als einzige Stütze nur noch China übrig geblieben ist, bleibt nichts anderes, als Xi zu folgen. Zum ersten Mal meldet sich damit China auf der internationalen Bühne zu Wort. Was wären die Folgen?

In der Ukraine kommt es zu einem Ende der Gewalt mit einer gesichtswahrenden Lösung für alle. Wie immer diese auch im Detail aussehen mag, für Putin bliebe die schmähliche Niederlage, für die Europäer erschiene der Chinese plötzlich als Erlöser aus einer äußerst unbequemen Lage. Die Chinesen würden zu einem Partner in Augenhöhe zu Washington. Gleichzeitig könnten die Rohstoffschätze der Russen zu Preisdiktaten Chinas dessen Riesen-Bedürfnisse erfüllen. Eine automatische Abkühlung im transatlantischen Verhältnis wie auf dem Level vor der Ukraine-Krise ist zu erwarten.

Alles in allem eine klare Win-Win-Situation für Peking im Ringen mit Washington um den Platz der Nummer 1 in der Welt. Natürlich würden die chinesischen Kommunisten für diesen „Liebesdienst“ von den Europäern zumindest Neutralität im Falle einer „militärischen Lösung“ der Taiwan-Frage erwarten.

All das kann eintreten, muss aber nicht. Die Möglichkeit dafür aber auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung ist gegeben.

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