Tichys Einblick
Skandal um Autobahnbrücke

NRW-Ministerpäsident Wüst in Kritik – Das Elend geht über marode Brücken weit hinaus

Hendrik Wüst fällt eine kaputte Autobahnbrücke auf die Füße. Dabei ist der Zustand der Talbrücke in Rahmede lediglich ein Sinnbild für das zerbröselnde NRW.

IMAGO / Sven Simon

Ministerpräsident Hendrik Wüst steht in der Kritik – wegen einer maroden Autobahnbrücke. Das ist ein schmeichelhafter Vorwurf, wenn man Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist. Denn letztlich sind die Ministerpräsidenten dieses Bundeslandes nur Verwalter einer Konkursmasse. Dass nur 55,5 Prozent der Wähler bei der letzten Landtagswahl ihre Stimme abgegeben haben, zeigt, dass es ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung ähnlich sieht: Man ist ratlos, wer das bevölkerungsreichste Bundesland besseren Zeiten zuführen soll. Der entscheidende Unterschied zu Berlin ist: Berlin kann man abschreiben, aber NRW ist „too big to fail“.

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Warum also der Terz um eine Autobahnbrücke? Die Talbrücke Rahmede, die seit Dezember 2021 gesperrt ist, bleibt nur ein Beispiel von vielen. Oppositionspolitiker Alexander Vogt (SPD) konstatiert einen Domino-Effekt im Umland, der eingetreten sei. „Der Ausweichverkehr belastet auch die Brücken der Ausweichstrecken über das zumutbare Maß hinaus und bedroht ganze Lieferketten in ganz Nordrhein-Westfalen“, erklärt er im Landtag. Richtig ist: Der Domino-Effekt in NRW wirkt in Jahrzehnten und nimmt seinen Ausgang in rund 40 Jahren SPD-geführter Landesregierung.

Denn Rahmede liegt in NRW überall. Die Autobahnen und die Rheinbrücken stammen allesamt aus den Wirtschaftswunderjahren. Jahrzehntelang hat man nichts daran getan. Köln Ost samt A3 ist ein Stauherd. Kein Morgen, an dem nicht das Radio voll mit Meldungen ist über die Bauarbeiten und Staulängen. Es sind Pflaster, die man einem siechenden Körper anheftet. Die Unternehmen klagen über Gewinneinbrüche, Pendler verlieren dort tagtäglich ihre Nerven. Die Rheinbrücke der A1 ist nur noch für Fahrzeuge mit einem Gewicht von weniger als 3,5 Tonnen zugelassen. Seit vielen Jahren.

Wer das von den Alliierten zum Bundesland gemachte Kunstprodukt aus zwei preußischen Provinzen kennt, dem dürfte ins Auge fallen, dass dieses Land zerfällt und zerbröselt. Die Autobahnbrücken sind dabei nur das bedeutendste Zeichen des Verfalls eines einstmals erfolgreichen und reichen Bundeslandes, aber vermutlich gibt es kaum bessere Bilder, um den Niedergang des Erbes der Bonner Republik im Schoß der real-existierenden Berliner Republik zu illustrieren. Vom Ruhrgebiet, dessen eigentliches Erbe noch auf das Kaiserreich, dessen Infrastruktur und dessen Firmen zurückgeht, wollen wir besser erst gar nicht anfangen.

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Es hätte demnach viele Fälle geben können, über die Wüst als ehemaliger Verkehrsminister stolpern könnte. Zu Rahmede nur so viel: Die Brückenhauptprüfung erfolgte im Jahr 2011 und kam bereits damals zu einem verheerenden Urteil. Wie so häufig versuchte man mit Flickschusterei zu kitten, was im Grunde verloren war: Verkehrsberuhigung, Abstands- und Überholverbot folgten. Eigentlich war bereits für 2019 der Baubeginn eines 2016 geplanten Brückenneubaus vorgesehen gewesen. Dieser wurde auf 2026 verschoben. Im Dezember 2021 dann die Sperrung, weil die Tragfähigkeit der Brücke mittlerweile infrage stand.

Es ist eine lange Geschichte, die der Affäre um Wüst vorangeht. Wüst war von 2017 bis 2021 Verkehrsminister in NRW, seine konkrete Verantwortung für die Vorgänge ist allerdings nicht bekannt. Und genau das ist das Pikante: E-Mails, die die genaue Involvierung des Verkehrsministers in den Brückenneubau und die Brückensprengung konkretisieren könnten, sind nicht mehr auffindbar. Für die Opposition, ob SPD, FDP oder AfD ist klar: Hier wurde offenbar vorsätzlich vertuscht. Das Damoklesschwert Untersuchungsausschuss pendelt über dem Chef der schwarz-grünen Landesregierung. Erbost zeigte sich der grüne Verkehrsminister Oliver Krischer. Die Opposition erschwere dem Ministerium „mit unsinnigen und fragwürdigen Kleinen Anfragen“ die Arbeit.

Doch Wüst und seine Koalition sind nur die Folge eines langanhaltenden Prozesses. Wüst startete vor Jahren als vermeintlicher Konservativer, kletterte die Karriereleiter hoch und zimmerte mit den Grünen unter Neubaur eine schwarz-grüne Koalition, die womöglich Zukunftsprojekt für den Bund sein könnte. Wüst und Neubaur versinnbildlichen das neue bundesrepublikanische Bürgertum, zusammengehalten durch ein „Anything goes“, solange es genügend Geld zur Problemlösung gibt. Man betreibt zusammen Migrationsromantik und rettet mit Klimaschutz die Welt – während im Hintergrund Autobahnbrücken zerbrechen. Man zehrt das Erbe vergangener Generationen auf, bevor man den abgenagten Knochen an den Nachfolger abgibt.

Die richtigen Netzwerke, die richtigen politischen Strategien und die richtigen Zugeständnisse sind es, aus denen sich der Niedergang eines einstigen Nettozahlers im Länderfinanzausgleich speist. Die heimelige SPD-Gemütlichkeit („Wir in NRW“) mit gutmenschlicher Haltungsideologie hat man ebenso verinnerlicht. Die statischen Mängel, die die Tragfähigkeit der Bundesrepublik beeinflussen, liegen ganz woanders als in Rahmede. Es ist nur die Begleiterscheinung einer Erosion, die deutlich tiefer geht.

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