Zwei Wochen sind nun vergangen seit dem brutalen Anschlag in Würzburg, der von einem Attentäter aus Somalia, der „subsidiären“ Schutz in Deutschland genoss, begangen wurde. Frauen wurden getötet und überwiegend Frauen wurden verletzt. Der mutmaßliche Attentäter erhielt subsidiären Schutz in Deutschland, weil er angab von einer islamistischen Terrororganisation geflohen zu sein – doch gehörte er möglicherweise vor seiner Flucht 2015 dieser islamistischen Miliz an? Wenn ja, würde es ein mutmaßlich frauenfeindliches Motiv erklären.
Frauenfeindliches und islamistisches Motiv offiziell noch unklar
Bei dem Anschlag wurden drei Frauen im Alter von 24, 49, 82 Jahren getötet. Drei Frauen im Alter von 52, 39 und 73 Jahren, ein 11-jähriges Mädchen und ein 16-jähriger Junge wurden lebensgefährlich sowie eine 26-jährige Frau und ein 57-jähriger Mann leicht verletzt. Nun wurde die Zahl korrigiert: Neben den drei getöteten Frauen wurden nicht sieben, sondern neun Menschen verletzt; noch ein 38- und ein 52-Jähriger Mann. Das bedeutet, dass sich unter den Opfern auch Männer befinden. Dennoch schließt dies ein frauenfeindliches Motiv nicht aus. Ob der 24-jährige Somalier gezielt Frauen ins Visier nahm, ist offiziell noch unklar. Der bayrische Innenminister Joachim Hermann (CSU) sagte: „Das kann natürlich auch Zufall sein“. Zufall scheint jedoch nicht die Praktik des Tötens zu sein: Der Attentäter von Würzburg hat mit einem 33 Zentimeter langen Messer seinen Opfern gezielt in Hals und Nacken gestochen – auch dies sind Praktiken, die von weiteren islamistischen Morden bekannt sind, auch jene, die insbesondere an Frauen verübt werden.
Ebenso ist das islamistische Motiv offiziell noch immer nicht bestätigt, die Ermittlungen dauern an. Derzeit werden zwei Handys des mutmaßlichen Attentäters Abdirahman J. A., ausgewertet. Bisher wurden keine islamistischen Inhalte und kein Propagandamaterial gefunden. Die Aussage des bayrischen Innenministers und die Information der BILD-Zeitung über gefundenes „Propagandamaterial“ in der Unterkunft stellen sich nun als Falschinformationen heraus, was das Landeskriminalamt (LKA) München und die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber TE bestätigte. Fakt bleibt jedoch, dass der Attentäter laut Zeugen bei seiner grausamen Tat zweimal „Allahu Akbar!“ (Gott ist größer!) rief und noch im Krankenhausbett vor sich hin murmelte, dass er den „Dschihad“ verwirklichen wollte. Bei dem ersten Vernehmungsversuch, in der Tatnacht, habe er nur gestammelt und zu Allah gebetet.
Gehörte der Täter vor 2015 einer islamistischen Terrororganisation an?
Doch es existieren noch weitere, bisher nicht in den Fokus genommene Hintergründe, die zu einer islamistischen Terrororganisation führen und gleichzeitig das frauenfeindliche Motiv unterstreichen. Laut Generalstaatsanwaltschaft und LKA habe ein Zeuge im Januar 2015 mitgeteilt, dass er ein Telefonat des mutmaßlichen Täters im Jahr 2015 mitgehört habe. In diesem Telefonat hätte Abdirahman J. A. erzählt, dass er in Somalia in den Jahren 2008/2009 für die Terrororganisation „al-Shabaab“ (arabisch: die Jugend) Zivilisten, Journalisten und Polizisten getötet habe. Mangels konkreter Tatsachen hat die Generalbundesanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren gegen J. A. eingeleitet, der zudem zur Tatzeit ein strafunmündiges Kind war. Auch die bayrische Zentrale für Extremismus und Terrorismus (ZET) leitete keine Ermittlungen ein, da „kein Anfangsverdacht für weitere Staatsschutzdelikte vorlag“.
Auch wenn es kein Ermittlungsverfahren gab und bisher keine Beweise vorliegen, so würde es in das Profil des Täters passen. Die jeweiligen Zeitpunkte lassen eine Wahrscheinlichkeit zu, dass die Zeugenaussage bezüglich des Telefonats den Tatsachen entsprechen könnte. Abdirahman J. A. kam im Jahr 2015 nach Deutschland, nachdem er über Nordafrika und das Mittelmeer nach Italien gelangt war. In seinem am 21.05.2015 gestellten Asylantrag begründete er diesen damit, dass er von der Terrororganisation al-Shabaab in Somalia verfolgt und bedroht wurde und er daher flüchten musste. In seiner Asylanhörung gab er an, dass er einen Anschlag der al-Shabaab Miliz mit einer Handgranate verhindert habe, weshalb sein Leben nun bedroht sei.
Im Jahr 1997 wurde er in der Hauptstadt Somalias, in Mogadischu, geboren. Im Zeitraum von 2008/2009 muss er 11/12-Jahre alt gewesen sein. Falls er sich zu dieser Zeit in Mogadischu oder im Umkreis aufgehalten hat, ist die Wahrscheinlichkeit enorm, dass er rekrutiert oder sogar zwangsrekrutiert wurde von der al-Shabaab Miliz. Denn die Terrororganisation al-Shabaab, die seit 2012 zu Al-Quaida gehört, war 2008 in Mogadischu und vielen weiteren Teilen Süd- und Zentralsomalias aktiv. Zu dieser Zeit verfügte sie über mehrere hundert Zellen mit bis zu siebentausend – überwiegend jungen – Kämpfern. Junge Männer, besonders zwischen schon 10 und 15 Jahren, wurden unter Druck gesetzt und zwangsrekrutiert. Einige junge Männer, die sich weigerten, wurden von der Miliz entführt und gezwungen. Bei einer Verweigerung werden diejenigen oft als „Ungläubige“ bezichtigt und selbst mit dem Tod bedroht. Auf diese Weise wurden viele Hunderte gezwungen, für die Terrororganisation zu morden, während darunter aber auch viele aus freien Stücken bzw. Überzeugung mordeten – denn die Miliz lockt mit guter Bezahlung.
Falls der mutmaßliche Täter von Würzburg sich in kontrollierten Gebieten der Terrororganisation al-Shabaab aufgehalten und für diese gekämpft hat beziehungsweise musste: So würde dies erstens vor allem erklären, dass er radikal-islamische Ideologien vertrat. In diesem jungen Alter müsste er folglich ideologisch von Terroristen gewissermaßen erzogen worden sein. Zweitens würde dies seinen Hass gegenüber Frauen und sein frauenfeindliches Tatmotiv unterstreichen. Denn die streng kontrollierte Scharia in den Gebieten dieser Miliz ist zutiefst frauenfeindlich. Drittens könnte dies seine psychischen Probleme verständlich machen. Sollte er schon als Kind für die Terrororganisation teilweise gezwungen worden sein, zu kämpfen und zu morden, dann könnten seine psychischen Störungen daraus resultieren – was dennoch keine seiner Taten jemals entschuldigen könnte.
Vielmehr veranschaulicht dies, wie psychische Störungen mit islamischer Radikalisierung einhergehen. Das eine Motiv schließt das andere niemals aus. Im Gegenteil. Psychische Störungen sind entweder Ursache oder Folge von Radikalisierungsprozessen. Und islamistische Ideologien und psychische Probleme verstärken sich oft gegenseitig. Wenn Abdirahman J. A. in diesen äußerst jungen Jahren radikal-islamische Ideologien durch die Terrororganisation erworben hat, ist es schwer vorstellbar, dass er als erwachsener Mann diese einfach und ohne Hilfe ablegen konnte.
TE fragte die Generalbundesanwaltschaft München, ob Kenntnisse darüber vorliegen, wo der mutmaßliche Täter sich vor 2015 aufgehalten hat und ob er sich in kontrollierten Gebieten der al-Shabaab Miliz – womöglich mehrere Jahre – aufgehalten hatte. Die Generalbundesanwaltschaft ließ mitteilen, dass diese Frage derzeit nicht beantwortete werden könnte, doch die Ermittlungen mit Hochdruck betrieben würden.
Die unterdrückte Frau in den Gebieten von al-Shabaab
In den kontrollierten Gebieten der al-Shabaab Miliz, in welchen eine strenge Auslegung der Scharia praktiziert wird, herrschen für Frauen zutiefst diskriminierende Zustände. Frauen werden gezwungen eine Abaya, ein dunkles, langes Überkleid, und einen Gesichtsschleier zu tragen. Auch Hände und Füße müssen ganz verdeckt sein. Die Frauen verfügen über keinerlei Bewegungsfreiheit. So dürfen sie ohne eine männliche Vormundschaft oder Begleiter nicht das Haus verlassen. Einen Beruf in der Öffentlichkeit dürfen sie nicht ausüben. Frauen ist es verboten, mit fremden Männern zu reden. Nicht einmal Büstenhalter sind erlaubt. Wenn eine Frau gegen die radikal-islamischen Regeln verstößt, folgen brutale Strafen wie Auspeitschungen oder Amputationen. Hat eine Frau außerehelichen Geschlechtsverkehr ausgeübt oder sich als „abtrünnig vom Islam“ („Murtadd“, der Abtrünnige) gezeigt, wird diese Frau hingerichtet. Dies gilt besonders für vergewaltigte Frauen, die – als Vergewaltungsopfer – wegen Ehebruchs durch eine Steinigung nur zu oft in den Gebieten der al-Shabaab bestraft werden.
Frauen in diesen Gebieten werden als absolut minderwertig und unterlegen angesehen. Im radikalen Islam, aber auch in anderen religiös-patriarchalischen Gesellschaften in nordafrikanischen und arabischen Ländern, werden soziale Gesellschaftsrollen vom biologischen Geschlecht abhängig gemacht. Die Frau ist nur die Mutter, die Haus- und die Ehefrau – für den machtvollen, starken Mann. Die Männer betrachten vor diesem Hintergrund Frauen als ihr Eigentum. Es gibt jedoch auch viele Frauen in den Gebieten der al-Shabaab Miliz, die für die Terrororganisation wichtige Arbeit wie Waffenschmuggel und Missionierung betreiben. Dieses Frauen sind selbst Teil des Terrorapparats. Die Lage dort ist komplex. Frauen sind Opfer und Täter des „Islamismus“ zugleich. Einige Frauen versprechen sich Privilegen davon, wenn sie für die islamistische Miliz arbeiten, während andere Frauen dies auch freiwillig tun.
Die westliche Frau als Feindbild – mordete der Täter aus Frauenhass?
Die westliche, emanzipierte Frau wird vom politischen Islam, „Islamismus“ und Terrorismus als ein Feindbild propagiert. Während das islamische Idealbild der Frau aus Reinheit, Keuschheit, Hörigkeit und Bescheidenheit besteht, wird ein Hassbild der freien, westlichen Frau als die „Ungläubige“ und Kahba (arabisch, „Hure“) vermittelt. Nahezu jeder, der islamistisch aufwächst oder islamistische Propaganda konsumiert, baut eine Feindlichkeit gegenüber Frauen auf. Der Antifeminismus ist auch Teil der Ideologie der al-Shabaab. Falls Abdirahman J. A. tatsächlich aus al-Shabaab-Gebieten stammt und für diese Terrororganisation arbeitete, so liegt die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er sich frauenfeindliche Ideologien durch die islamistischen Zustände angeeignet hatte. Auch als psychisch Kranker kann man über islamistische Ideologien und frauenfeindliche Weltbilder verfügen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der mutmaßliche Attentäter ideologisch geprägt war – sowohl islamistisch als auch frauenfeindlich, liegt nahe. Seine ersten Opfer, auf die er ganz gezielt zuging, waren Frauen. Dass er „wahllos“ auf diese Frauen losgegangen ist, scheint eher unwahrscheinlich. Täter suchen sich grundsätzlich ihre Opfer – besonders das erste – aus. Einer Frau stach der Attentäter ganze 13-mal brutal in den Rücken – was einen verinnerlichten Frauenhass nur unterstreicht. Auch die gezielte Praktik des Einstechens in Hals und Nacken kamen bereits bei islamistischen Attentaten auf Frauen vor, wie beispielsweise in April 2021 in der französischen Kleinstadt Rambouillet: Der Täter aus Tunesien stach einer Polizeimitarbeiterin zwei Mal in die Kehle. Mutmaßlich suchte er sich diese aus, weil sie eine Frau war und kein Kopftuch trug, eine Auswertung seiner Social Media Accounts legen diese Bewertung nahe.