Tichys Einblick
Predigt des Bundestagspräsidenten

Wolfgang Schäuble wirft Bürgern Egoismus vor. Oder sind sie nur wie die Politiker?

Wolfgang Schäuble wirft den Bürgern zum Buß- und Bettag ihre Erwartungshaltung und fehlende Gemeinwohlorientierung vor. Er sollte lieber bei sich selbst und der politischen Klasse anfangen.

imago images / Sven Simon

Dass der Buß- und Bettag abgeschafft worden ist, mag man bedauern, doch dafür einen Politischen Buß- und Bettag zu initiieren, ist nun höchst überflüssig, denn in der Protestantischen Kirche wird jeder Sonntag zum Politischen Buß- und Bettag,  zumindest wenn Funktionäre der EKD die Kanzel erklimmen. So hat vor kurzem vollkommen zu recht Reinhard Mawick, der Chefredakteur des Kulturmagazins der evangelischen Kirche „zeitzeichen“, das u. a. auch von Heinrich Bedford-Strohm mitherausgegeben wird, festgestellt, dass es zur Praxis Leitender Geistlicher in der EKD gehört, „sich regelmäßig politisch“ zu äußern „und dies in der Regel eindeutig im links-liberalen Spektrum.“ Damit wurde aus berufenem Munde bestätigt, dass die Funktionäre der EKD die evangelische Kirche inzwischen als Vorfeldorganisation der Grünen betrachten und den Weinberg des Herrn mit dem Windkraftpark vertauscht, aus dem sie Gott vertrieben haben, um in Ruhe dem Kult der Mutter Erde nachzugehen. 

Zum Politischen Buß- und Bettag in diesem Jahr hielt nun Wolfgang Schäuble im Berliner Dom die Kanzelrede. Putzig ist, dass ausgerechnet der Mann, der mit der biologischen Erkenntnis allseits Staunen hervorrief, dass Europa Abschottung „kaputt machen würde“, und „uns in Inzucht degenerieren ließe“, nun die Angst überfiel, dass in der Debatte über die Migrations- und Asylpolitik „fiebrige Wut grassiere“. Wie kann ein Kontinent oder ein 80 Millionen Volk wie die Deutschen, selbst wenn es sich abschotten würde, in „Inzucht degenerieren“? 

Wer hat denn die Migrationsdebatte unter dem falschen Label der „Flüchtlings“-politik angeheizt, wer hat denn diese „fiebrige Wut“ erzeugt? Wer hat denn alle Kritiker an Merkels Einwanderungspolitik in die rechte Schmuddelecke gestellt? Wer hat denn  – und unternimmt es immer noch – aus einer politischen Debatte ein moralisches Hochamt gemacht? 

Keine Repräsentation der Bürger
CDU-Parteitag: Mit leeren Worten die Wirklichkeit verdrängen
Aber nicht nur an diesem Beispiel wird deutlich, wie schön das Leben eines Politikers wäre, wenn es nur nicht den lästigen Bürger gäbe, der dem hohen Gedankenflug des Politikers ohnehin nicht zu folgen in der Lage ist. Als geradezu dreist wird deshalb das Verlangen des Bürgers nach Wohlstand für sich und seine Kinder empfunden. Sollte der Bürger, der bereits jetzt schon über die Hälfte des Jahres für den Staat und für die Sozialsysteme, für die Finanzierung von wachsenden Parlamenten mit Diätenerhöhungsautomatismus, von wachsenden Verwaltungen und quasi-Verwaltungen in Gestalt der eher rotgrünen NGOs, der wachsenden Kosten von Merkels Energiewende, von Merkels Einwanderungspolitik arbeitet, sich im Gegenteil nicht darüber freuen, dass die Politik ihm nicht alles wegsteuert? Obwohl die Politik mit der Idee, jetzt auch die Luft zum Atmen zu besteuern (CO2-Steuer), dem Bürger immer weniger vom Erarbeiteten lassen will.

Es ist erbaulich zu sehen, dass Politiker in der von Schäuble eingeforderten „Gemeinwohlorientierung“ vorangehen. Gültigeren Ausdruck fand bisher die „Gemeinwohlorientierung“ nicht als in der Frage der Politikerin Heide Simonis, als sie nicht mehr zur Ministerpräsidentin gewählt worden war: „Was wird aus mir?“

Übrigens leben Demokratien nicht von der „Gemeinwohlorientierung“, sondern vom Interessenausgleich. Nur Diktaturen definieren ein „Gemeinwohl“, dem sich alle unterzuordnen haben. Eine gelenkte Gemeinwohldemokratie, obwohl sie von bestimmten politischen Kräften angestrebt wird, kann sich kein Bürger wünschen, wenn er denn Bürger bleiben und nicht Fürsorgeobjekt von Politikern werden möchte.

Keine Repräsentation der Bürger
CDU-Parteitag: Mit leeren Worten die Wirklichkeit verdrängen
Es wäre gut, wenn Wolfgang Schäuble sich daran erinnert, dass nicht der Staat den Bürgern das Geld zuteilt, sondern, dass er treuhänderisch und verantwortungsbewusst mit den anvertrauten Steuergeldern der Bürger umzugehen hat. Steuersenkungen statt Steuererhöhungen sind das Gebot der Stunde, Verkleinerung des Parlaments, Reduktion der Verwaltung und die Beendigung der Steuerfinanzierung für zweifelhafte NGOs. Denn es ist genau der Ausbau der Verwaltung und die „stark vom eigenen Ich geprägte“ „Starre, Saturiertheit und Erwartungshaltung“ von Politikern, die unsere Gesellschaft zunehmend zerrüttet. Die Wohlstandsfixierung hingegen zerstört unsere Gesellschaft nicht, sondern sie beantwortet die soziale Frage. 

Wolfgang Schäuble hätte statt zu Spr 14,34 („Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben“), wohl besser zu Lk 6,41 gepredigt („Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr“). 

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