Tichys Einblick
Warum CDU wählen?

Wofür steht der Umfaller Friedrich Merz?

Kaum eine Woche vergeht, in der Merz sich nicht von jemanden, von sich selbst oder von eigenen gemachten Aussagen distanziert. Kaum eine Woche vergeht, in der er wieder einmal falsch verstanden wurde. Allein die letzten paar Tage belegen erneut, in welchem Maße Merz irrlichtert, ja sich gar zunehmend selbst filetiert.

IMAGO

Angenommen, ich machte mir ernsthaft Gedanken, ob ich demnächst CDU wählen wollte. Wirklich nur angenommen, denn ich kann als bayerischer Freistaatler ja gar nicht CDU wählen. Also wirklich nur angenommen: Was könnte mich motivieren, CDU zu wählen? Die Hoffnung auf Pflege und Fortführung des Erbes von Merkel? Ein „Genosse Günther“ aus Schleswig-Holstein? Ein mittlerweile ebenfalls zum „Genossen“ avancierter Wüst aus NRW? Eine CDU-Bundes-Vize Karin Prien? Die vage Aussicht auf ein neues, vermutlich nach allen Seiten offenes CDU-Grundsatzprogramm? Lassen wir das Grübeln und konzentrieren uns auf die Frage: Könnte uns der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz motivieren? Antwort: Er hätte es gekonnt, als er nach der von Laschet vergeigten 2021er Bundestagswahl das CDU-Ruder in die Hand nahm. Hätte, hätte, Fahrradkette!

Der Weg ins gestern:
Die CDU hat endlich einen Chef-Ideologen
Denn seit Monaten irrlichtert Merz durch die Landschaft. „Nach allen Seiten offen, also nicht ganz dicht“ – würde ein gewisser FJS sagen. Mal eckt Merz immerhin ein bisschen an, nennt gewisse Schüler „kleine Paschas“, spricht von „Sozialtourismus“, um letztere Beschreibung allerdings sofort wieder zurückzunehmen. Dann hält er sich in der Causa „Habeck“, des Vettern-Wirtschaftsministers, auffällig zurück. Klar, könnte ja sein, dass man Habeck als Vize-Kanzler für „Jamaika“ braucht. Dann wiederum macht Merz das öffentlich-rechtliche Gendern für die Zugewinne der AfD mitverantwortlich, während zwei seiner CDU-Landtagsfraktionen (in Mainz und in Stuttgart) ein Verbot des Genderns in Schule und Verwaltung ablehnen. Schließlich holt sich Merz Mitte Juni zum jüngsten Grundsatz-Konvent der CDU mit Ralf Fücks einen grünen Erzideologen auf die Bühne.

Verkrampft und darin schier verliebt klammert er sich an das Bild von der „Brandmauer“ gegen die AfD, ohne zu merken, dass er damit Hunderttausende vormalige CDU-, jetzt grimmig-ratlose AfD-Wähler abstößt und viele vormalige und potenzielle CDU-Wähler ins Lager der Nichtwähler bugsiert. Schließlich befördert er in der CDU-Zentrale Leute wie einen Christian Wohlrabe zum Bereichsleiter für Kampagnen und Mobilisierung. Zu Wohlrabe muss man wissen, dass er 2018 und 2019 heftig gegen einen CDU-Vorsitzenden Merz polemisiert hatte. So sei Merz‘ Vergangenheit beim Finanzinvestor Blackrock ein Problem, twitterte Wohlrabe damals. Dazu: „Und man muss kein Linker sein, um das für ein Problem zu halten.“ Oder ironisierend: „Wer in #Merz den Frühling sieht, ist vor allem eines: schlecht in Orthografie :-)“ Aber so viel Inklusion muss offenbar sein in der Merz-CDU.

Allein die letzten Tage belegen erneut, in welchem Maße Merz irrlichtert, ja sich gar zunehmend selbst filetiert. Zwei Beispiele!

CDU in der Krise
Friedrich Merz ist nur noch ein Watschenaugust
Beispiel 1: In einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 20. Juni 2023 bezeichnete der hessische Klartext-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch (62), offenbar einer der letzten dieser Art, die „Grünen“ als „vaterlandslose Gesellen.“ Seltsamerweise kam das bei vielen Fraktionsmitgliedern (ewig-gestrigen Merkelianern?) nicht gut an. Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz (67) sprang den Grünen gar verbal bei. Er mahnte eine angemessene Wortwahl an und erntete dafür deutlich Applaus, wie berichtet wurde: „Willsch wurde von Merz zurechtgestutzt“, berichtete ein Teilnehmer. Will sich Merz also ohne Rücksicht auf Verluste im eigenen Laden und vor allem ohne Rücksicht auf die potenzielle bürgerlich-konservativen Wählerschaft total in „grüne“ Umarmung begeben?

Beispiel 2: Da ist am 25. Juni im Landkreis Sonneberg ein AfD-Mann zum Landrat gewählt worden. Der CDU-Kandidat unterlag, wiewohl er auch von anderen, sonst gegnerischen Parteien unterstützt wurde. Merz ist alarmiert. Er hält die „Grünen“ für die Schuldigen und will diese nun stärker angreifen.

Richtig, Herr Merz, denn die Art, wie die „Grünen“ Deutschland bis zur Unkenntlichkeit umkrempeln und den deutschen Michel gouvernantenhaft bevormunden wollen, befördert die AfD in zuvor ungeahnte Höhen. Aber: Der andere Teil der Wahrheit ist, dass die CDU kein echter Gegenentwurf zur „Ampel“ ist. Ob Merz das endlich gemerkt hat? Jedenfalls will sich Merz jetzt die „Grünen“ stärker zur Brust nehmen. Hoffentlich ohne Rücksicht auf die zwei betont „woken“ CDU-Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein und NRW, die de facto grün-grünen Koalitionen vorstehen. Indes: Merz‘ Botschaft hör‘ ich wohl, allein es fehlt mir der Glaube!? Und damit bin ich nicht alleine.

Wahlen werden jedenfalls auf längere Sicht nicht mehr links oder in der linken Mitte einer Merkel gewonnen. Die zweifelhaften Erfolge, die Merkel mit der Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“, also der Förderung der Wahlmüdigkeit zu Ungunsten des politischen Gegners, hatte, sind Vergangenheit. Diese programmatisch rundgelutschte, bloß nicht aneckende CDU-Strategie hat sich mittlerweile gegen die CDU selbst gewandt: Als Abwanderung vieler vormaliger CDU-Wähler ins Lager der guten „Grünen“, der AfD oder der Nichtwähler. Wie denn überhaupt Merkel mit ihrer Euro-Politik, dem Atom-Ausstieg und der Grenzöffnung die Urmutter und oberste Förderin der AfD wurde. Wenn Merz diese Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ fortsetzt, indem er AfD-Wähler qua „Brandmauer“-Paradigma als quasi undemokratisch etikettiert und auf sie verzichtet, bleiben 29 oder 30 Prozent das Nonplusultra der Union. 29 oder 30 Prozent übrigens, die geschönt daherkommen, weil sie vom überdurchschnittlichen CSU-Anteil geliftet sind.

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