Gleich 12 Prozent in einer ersten Umfrage – dreimal mehr als die Linken. Auch wenn das demoskopisch höchst fragwürdig ist, sind die Erwartungen in die Wagenknecht-Partei groß, noch bevor diese richtig gegründet wurde. Es steht die Frage im Raum, warum Wagenknecht überhaupt solch große Hoffnungen erweckt? Die einen erhoffen sich von der Wagenknecht-Partei das Ende der Linken, die anderen das Ende der AfD. Ein Schaubild, in dem die Wagenknecht-Partei auf 25 Prozent hochschnellt und andere Mitbewerber überragt, zog im Internet im Vorfeld eine Dauerschleife. Zwischenzeitlich war der Hype so stark, dass es auch keinen mehr gewundert hätte, wenn drei Weise aus dem Morgenland bis zur Bundespressekonferenz gefolgt wären, um dort der Gründung der Wagenknecht-Partei beizuwohnen.
Nur: Warum? Sahra Wagenknecht war ihr ganzes Leben lang Opposition. Sie war eine Kritikerin der SED und ist ihr erst beigetreten, als sich deren Untergang schon abzeichnete. In der PDS war sie dann das Gesicht der Kommunistischen Plattform, die seinerzeit selbst ehemalige SED-Funktionäre als radikal und schräg abtaten. Es folgten Mandate und Parteiämter – aber niemals Regierungsverantwortung. Und diese 54-Jährige soll nun Deutschland erneuern?
Über das Scheitern von Merz als konservativer Erlöser hat TE nun wirklich ausführlich berichtet. Deswegen seien hier nur kurz einige seiner bisherigen Erfolge aufgezählt: Unter ihm hat die CDU eine Frauenquote eingeführt, immer noch kein Grundsatzprogramm verabschiedet, eine Ausschlussinitiative gegen Hans-Georg Maaßen gestartet, weil der zu sehr rechts sei, obendrein zugesehen, wie sich die AfD bei über 20 Prozent etabliert, und wie sich mit den Freien Wählern nun schon die zweite Partei rechts neben der Union festsetzt. Wäre die Ampel nicht noch schlechter, hätten Hendrik Wüst und elf weitere Jünger ihren Vorsitzenden schon längst zum Abendmahl geladen.
Woher aber kommt dieser Wunsch der Deutschen nach einem auserwählten Erlöser, nach einem Messias? Oberflächlich lässt sich das aus der Realpolitik ableiten. Deutschland wird von den Grünen regiert. Auch im Bundestag. Vor allem aber im Fernsehen, Radio und den Zeitungen. Echte Opposition wie bei TE gibt es in den Medien kaum. Ebenso wenig wie in der Politik. Linke, SPD, FDP, CDU und CSU versuchen sich seit Jahren darin, grüner als die Grünen zu sein. In der CSU zum Beispiel hat der heutige Vorsitzende Markus Söder schon mit Rücktritt gedroht, wenn seine Partei nicht den Ausstieg aus der Kernkraft mitträgt.
Seit Angela Merkel ihre Partei, die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls, in grünere Grüne umgewandelt hat, seitdem sind viele Bürger politisch heimatlos geworden. In Merz haben sie den Erlöser gesehen, der die CDU zurück zu einer bürgerfreundlichen Politik führt. Doch heute glaubt das eigentlich keiner mehr. Selbst die glauben nicht an Merz, die angesichts des Ampelversagens verzweifelt zur Union fliehen – zumal ohnehin deutlich mehr zu AfD und Freien Wählern pilgern.
Jetzt also Sahra Wagenknecht. Sie hat das Richtige gesagt: Sich gegen den Parteivorstand ausgesprochen, der aus den Linken grünere Grüne macht. Sich gegen eine Klimapolitik gewandt, die Wohlstand vernichtet. Gegen eine Medienpraxis, die Bürger zu Rechtsextremen erklärt. Gegen eine Innenpolitik, die eine unkontrollierte, illegale Einwanderung zulässt, die Sozialstaat und inneren Frieden gleichermaßen zu pulverisieren droht. Zweifelsohne hat jeder eine Chance verdient, der Positionen vertritt, die eine überwältigende Mehrheit der Bürger teilt – die aber nur eine schwindende Minderheit der Berliner Käseglocken-Politiker vertritt.
Doch ist es die Realpolitik allein, die die Hoffnung auf Wagenknecht so groß werden lässt? Oder reicht diese Sehnsucht tiefer? Ist nicht das Wort vom kleinen historischen Politiker, gerne mit Vornamen angesprochen, den man wieder bräuchte, eine geflügelte Redewendung, wenn es um Unordnung im Staat geht? Nun ist das aber ein Nationalsozialisten-Vergleich. Die verbieten sich immer: Dämonisieren den einen zu unrecht und bagatellisieren den anderen gefährlich.
Doch es geht auch ohne NS-Vergleich. Deutschland hat eine Sehnsucht nach dem großen starken Mann, dem Erlöser. Das lässt sich durch viele Namen belegen, unter denen der eine Name nicht dabei sein muss: Friedrich der Große, Bismarck, Wilhelm II, Ludendorff, Ebert, Hindenburg, Adenauer, Joschka Fischer … Selbst der vielleicht größte Freigeist, den Deutschland jemals hervorgebracht hat, Heinrich Heine, hat etwas an der Sage von Barbarossa gefunden, der im Kyffhäuser ruht, bevor er Deutschland wieder rettet. Für den Mythos vom starken Mann sind wirklich alle Deutschen anfällig.
Nun also Sahra Wagenknecht. Die Ansprüche werden kleiner. Die Hoffnungen verblassen schneller, wie sich an dem Beispiel zeigt. Die Deutschen sind ohnehin undankbar mit ihren großen Männern – und Frauen – umgegangen, wenn sie erstmal eingesehen haben, dass es wieder nicht der Messias war. Statt auf den starken Mann – oder auch die starke Frau zu hoffen, täten die Deutschen besser daran, Realpolitik zu betreiben: Die illegale Einwanderung beenden, die Wirtschaft von zu viel Steuern und Bürokratie befreien, Leistung belohnen und nicht das Zuhausebleiben, Klimakleber einsperren, statt sie im Fernsehen zu interviewen, und Straßen, Schienen oder den Breitband-Empfang in Ordnung bringen. Damit wäre schon vieles getan. Doch die Deutschen sind Idealisten und keine Utilitaristen. Anstatt das Richtige einfach zu tun, wünschen sie sich einen Messias, der sie zum Richtigen führt. Kein praktisches, sondern ein stilisiertes Richtiges.
Wagenknecht ist schon einmal mit einer Sammlungsbewegung gescheitert. Das ist gerade fünf Jahre her. Hinter ihr steht Oskar Lafontaine, dessen Biografie ein Best of Scheitern ist. Wagenknecht wird Stimmen holen. Keine Frage. Die Probleme sind da, Wagenknecht benennt die richtigen Punkte und die meisten anderen Politiker tun das nicht. Wer sich aber von ihr das Paradies verspricht, wird ernüchtert im real existierenden deutschen Nachwohlstand aufwachen. Die eine große Persönlichkeit, die Dinge dreht, wird nicht reichen. Deutschland braucht Reformen in allen Bereichen, für die es überhaupt erst einmal ein Bewusstsein geben muss. Sahra Wagenknecht ist da – zugegeben – lediglich einen Schritt weiter als andere. Aber verliebt in Opposition war sie schon immer. Regierungstauglichkeit müsste sie erst noch beweisen.