Es gibt einen Punkt, da kann man Beschönigungen, Ausflüchte, die Verdrehungen der Wahrheit und das Gesundbeten kurz vor dem Exitus nicht mehr ertragen. So dürfte es vielen Mitgliedern des CDU-Wirtschaftsrates gestern beim Wirtschaftstag in Berlin ergangen sein. Die Präsidentin des Wirtschaftsrates Astrid Hamker erinnerte in ihrem Impuls daran, dass die Wirtschaft nicht deshalb erfolgreich sei, weil die „Behörden die Wirtschaft steuern oder die Beamten im Wirtschaftsministerium einen siebten Sinn für Innovationen“ besäßen, sondern es die Unternehmer seien, die „Risiken eingehen, Innovationen wagen und Verantwortung übernehmen“.
Mit diesen Worten traf sie das Herz Habeckscher Wirtschaftspolitik, die davon ausgeht, dass der starke Staat als Investor erster Ordnung die Richtung der Wirtschaft vorgibt, der alle Unternehmen, alle Ökonomen, alle Techniker, alle Wissenschaftler und Erfinder zu folgen hätten. Der Staat hat für Habeck das Primat über die Wirtschaft. „Ich könnte als Bundeswirtschaftsministerin nicht mehr ruhig schlafen“, meinte Hamker, denn die Lage in Deutschland sei „ernst, dramatisch und besorgniserregend“. Bisher, erinnerte Hamker, sei es nur einmal vorgekommen, dass Deutschland zweimal hintereinander in der Rezession gewesen sei. Damals habe Gerhard Schröder die Agenda 2010 durchgesetzt.
Dabei lässt sich mühelos eine Liste mit Poltereien Habecks zusammenstellen über Andersdenkende und politische Gegner, die für ihn politische Feinde sind. Irenik ist da nicht zu finden, und eigentlich kann man so manchen Ausfall auch nicht mehr Polemik nennen. Habecks Auftritt auf dem Wirtschaftstag folgte seinem alten Muster: Wenn Robert Habeck in die profunde Kritik gerät, wie durch Weimers Rede, dann trumpft er am nächsten Tag mit rhetorischem Bombast auf und gibt sich als der größte Robert Habeck, der je in innerplanetarischen Grenzen, im globalen Süden, im globalen Norden, im globalen Osten und vor allem im globalen Westen gesehen wurde.
Der schwungvolle Beginn seiner Rede misslang jedoch, als er weder irenisch noch polemisch, sondern schlicht die Tatsachen entstellend behauptete: „Ich fände es gut, wenn die Debatte, darf ich so sagen, zwischen uns vielleicht mit mehr Fakten und weniger meinungsstark geführt wird. Meinungen dürfen sich natürlich bilden“ – eine wirklich großzügige Erlaubnis, die der Grünen-Politiker erteilt –, „aber manchmal fliegen einem ganz schön die Klischees um die Ohren.“ Ein vielstimmiges langgezogenes ‚OHHHHHHHH’ aus dem Saal, ein Laut gespielten Mitleids mit dem Armen und einige Buhs aus dem Publikum störten Habecks allzu selbstsichere Inszenierung.
Was darauf folgte, war Habecks Versuch der „Einordnung“. Das war dann so absehbar wie langweilig und natürlich an der Sache vorbei, denn die Sache heißt Deutschlands wirtschaftlicher Niedergang, Deutschlands Deindustrialisierung. Für das Desaster von Habecks grundfalscher Wirtschaftspolitik musste natürlich wieder Putin herhalten; die Union habe die AKWs abgeschaltet, was natürlich schon keine Nebelkerze, sondern eine ganze Nebelkerzen-Batterie ist, wenn man im gleichen Atemzug sich zum Atomausstieg bekennt und man dann wieder mit willkürlich und aus dem Zusammenhang gerissenen Daten darüber klagt, wie teuer die Kernenergie sei. Es ist einfach bigott in der Art von Molières Tartuffe, über die Kosten der Kernenergie zu halluzinieren, wenn man über die Kosten der erneuerbaren Energien schweigt oder sie falsch berechnet, indem wesentliche Kostenfaktoren aus der Rechnung herausgelassen werden, zum Beispiel die Kosten, Bau und Unterhalt der Back-up-Kraftwerke.
Natürlich versucht sich Robert Habeck wieder als Philosoph, denn von seinen eigenen philosophischen Leistungen scheint er tief beeindruckt zu sein, wenn er den Zusammenhang von Wohlstand und Freiheit zur Phrase dengelt, weil seiner Ansicht nach Wohlstand und Wirtschaftswachstum die Bedingungen für Freiheit und Demokratie wären. Man könnte mit Janis Joplin sarkastisch einwenden: „Freedom is just another word for nothing have to lose.“ Richtig ist aber, dass es auch Freiheit ohne Wohlstand gibt und Wohlstand ohne Freiheit, letzteres nennt man den goldenen Käfig. Wenn Robert Habeck „einordnet“, dass ein geschwächtes Deutschland anfällig für Radikalismus und für Populisten sei, stellt sich die Frage, weshalb Habeck Deutschland dann schwächt?
Werfen wir einen Blick auf die Fakten: „Die Produktion im Produzierenden Gewerbe zeigt noch keine nachhaltige Belebung. Im April stagnierte sie gegenüber dem Vormonat mit einem Rückgang um 0,1 % nahezu. Während die Bauproduktion im April erneut deutlich um 2,1 % zurückging … In den besonders energieintensiven Industriezweigen lag die Herstellung im April mit 0,9 % im Minus … Die Inflationsrate stieg im Mai leicht auf 2,4 % … Die Kernrate (ohne Energie und Nahrung) verharrte bei 3,0 %. Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 0,6 %.“
Das alles war Habeck keine Einordnung wert. Stattdessen will er die Schuldenbremse „überprüfen“, das heißt aussetzen oder so reformieren, dass von ihr faktisch nichts mehr übrigbleibt. Finanzminister Lindner hat sich am Vortag gegen das Herumschrauben an der Schuldenbremse gestellt, aber gleichzeitig eingeräumt, dass in der Ampel – etwas hochgestochen formuliert – „zwei Denkschulen“ existierten, während Habecks Vorstellungen den amerikanischen Ideen folgt, höhere öffentliche Schulden zu machen, um viel Geld in die Kasse zu bekommen: „Und damit werden dann Subventionen ausgereicht für bestimmte Unternehmen, Technologien, Branchen“, würde das Lindner viel verhaltener sehen, Bedenken hegen. Doch darf man auf Lindners Position nicht allzu viel geben, denn der FDP-Politiker erklärte: „Entgegen anderslautender Gerüchte und Hoffnungen der CDU gehöre ich dem Kabinett sehr gerne an.“ Damit ist dann alles gesagt.
Und zum Zeichen, welche Interessen Robert Habeck vertritt, gab er zum Besten, dass der BDI ein neues Sondervermögen zur Modernisierung der Infrastruktur mit einem Volumen von 400 Milliarden Euro gefordert hat. Na, wenn es weiter nichts ist. 400 Milliarden Euro für die Infrastruktur als Sonderschulden. Das kann man Politik für die Konzerne, Politik gegen die mittelständische Wirtschaft nennen. Was Robert Habeck entgangen sein dürfte, ist, dass die Bürger dafür Steuern zahlen, dass der Staat seine Aufgaben erfüllt, beispielsweise in der Frage der Infrastruktur, dass er für Erhaltung und Erneuerung der Infrastruktur keine Schulden aufzunehmen hat, die im Grunde wie eine verborgene und gestreckte Steuererhöhung in den nächsten Jahren wirken, die dann allerdings andere vorzunehmen haben.
Der Staat hat hingegen das Steuergeld für die Straßen in Deutschland und nicht für die Fahrradwege in Peru, nicht für Scheinprojekte in China, sondern für Gesundheits- und Pflegeprojekte in Deutschland, für die Stabilisierung der Pflegeversicherung in Deutschland zu verwenden und nicht Tansania mit 87 Millionen bei der flächendeckenden Einführung einer Krankenversicherung für alle Bevölkerungsteile zu unterstützen. Übrigens auch nicht die in Milliarden gehenden „Geschenke“ der deutschen Außenministerin zu finanzieren. Wahrscheinlich wusste Lindner nicht, wie tief realistisch und wie weitgehend seine Einschätzung ist, als er sagte, dass man sich nicht damit trösten solle: „ach, das ist die Ampel. Wenn der Spuk vorbei ist, dann ist alles wieder gut“. Stimmt, dazu hat die Ampel bereits jetzt, in den letzten vier Jahren, einen allzu großen Schaden angerichtet. Habecks Werk und Lindners Beitrag.
Laut Süddeutscher Zeitung haben sich schon einige Dax-Chefs beeilt, sich von Theodor Weimer zu distanzieren. Wer sprach gleich nochmal vom süßen Gift der Subventionen? Man könnte auch spotten, die Herren wollen alle gerettet werden, wenn schon nicht ihre Konzerne, dann zumindest ihre Boni. Und bei diesem Thema dürften alle „irenisch“ werden. Übrigens lohnt es wieder, Süddeutsche zu lesen, man erfährt verlässlich, welches Bild die Grünen und allen voran Robert Habeck von sich in der Öffentlichkeit vermittelt haben möchte, denn auf Weimers Rede gab es „massenhaft Applaus von Rechtsaußen“. Kein Wunder, wenn dann Konzernchefs devot zu Protokoll geben: „Wir respektieren das Primat der Politik, die Entscheidungen fallen in Berlin.“ Das Primat der Politik über die Wirtschaft hatten wir übrigens zuletzt im Sozialismus, einige von uns erinnern sich noch daran.