Tichys Einblick
Robert Habecks Mission

Setzt Habeck fremde Interessen in Deutschland durch?

Die Idee der Sozialen Marktwirtschaft wurde aus dem Bundeswirtschaftsministerium entfernt wie das Bild Ludwig Erhards, dessen Porträt bis vor kurzem noch das Foyer des Ministeriums zierte. Dafür zieht nun Elga Bartsch ein. Die ehemalige Blackrock-Managerin soll die Grundsatzabteilung „Wirtschaftspolitik“ leiten.

IMAGO / Jens Schicke

Es besitzt schon eine unfreiwillige Komik in ansonsten humorlosen Zeiten, wenn ausgerechnet der frühere italienische Ministerpräsident und heutige EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, Paolo Gentiloni, im Interview barmt: „Unsere Herbstprognose sagt für den Winter eine Rezession für die Wirtschaft der EU voraus. Insbesondere Deutschland muss seinen Wachstumsmotor wieder zünden. Denn die aktuelle Schwäche der deutschen Wirtschaft ist nicht nur ein Problem für Deutschland selbst, sondern auch für die gesamte EU und ganz besonders die Länder, die über Lieferketten in die industrielle Wertschöpfung in Deutschland integriert sind.“ Gleichzeitig fordert er mit dem Binnenmarkt-Kommissar Breton neue gemeinsame EU-Schulden – und das nach dem EU-Kurzarbeitergeld SURE und dem Corona-Wiederaufbauprogramm NextGenerationEU, aus dem Italien von den 750 Milliarden Euro allein fast 200 Milliarden erhält.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Einerseits beklagt die EU, dass der Wachstumsmotor Deutschland sich festfrisst, andererseits hat die Politik der deutschen Regierung und der EU-Kommission zum Kolbenfresser geführt. Sie deindustrialisieren Deutschland im Expresstempo und klagen gleichzeitig, dass Deutschlands Wirtschafts- und dadurch vor allem Finanzkraft sinkt. Deutschland wird allmählich vom Export- zum Importweltmeister.

Gentilonis Sorgen sind nicht unberechtigt, denn gerade hat Moody’s die Prognose für Deutschlands Banken wegen Kreditproblemen gesenkt. Moody’s sieht Deutschland in die Rezession stürzen. Die EU-Kommission geht in ihrer Herbstprognose davon aus, dass die deutsche Wirtschaft 2023 um 0,6 Prozent schrumpft. Damit zieht die größte Volkswirtschaft des Kontinents Europas Wirtschaft nach unten. Dass man im Habeck-Ministerium, in dem Habeck immer mehr seiner Getreuen unterbringt, nicht mehr die Grundrechenarten beherrscht, zeigen die eifrigen Bemühungen, sowohl die Inflation als auch das BIP schönzurechnen. Für Grüne, man kennt den allgemeinen Bildungsstand in der grünen Bundestagsfraktion, ist Mathematik inzwischen zu einer Funktion der Ideologie geworden, ob 4 plus 4 acht ergibt, hängt allein von den Umständen ab: Wenn es um die Inflationsprognose für 2023 geht, kann 4 plus 4 durchaus auch einmal vier sein.

Die Gründe für die Rezession sind, ungern erwähnt und daher gern geframt, zum großen Teil hausgemacht. Sie liegen:

Staatsfinanzierung, Energiepolitik, Sanktionen und Bürokratieausbau heizen die Inflation an. Was hinter den Kulissen stattfindet, ist der Umbau unserer Gesellschaft, die große Umverteilung, die durch Einschränkungen der Demokratie abgesichert wird. Gewinner wird die Hochfinanz sein, diejenigen, die „finanzieren“, die Kredite vergeben – und inzwischen ihre große und ausufernde Liebe zum „Klimaschutz“ und zur Ersetzung der Sozialen Marktwirtschaft durch eine ökologische „Marktwirtschaft“ entdeckt haben, die aber in Wahrheit eine Kommandowirtschaft der neuen Herrschaft sein wird. Was Robert Habeck von der Freiheit des Marktes, die im Übrigen auch Grundlage staatsbürgerlicher Freiheit ist, hält, hat er mit der Verstaatlichung von Uniper und die unter Treuhandstellung von Rosneft Deutschland demonstriert.

„Klimaschutz-Sofortprogramm 2022“
Das Wirtschaftsministerium verabschiedet die Soziale Marktwirtschaft
Der Bundeswirtschaftsminister befindet sich auf einer Mission, und die lautet nicht, deutschen Interessen zu dienen – denn mit Deutschland kann er nach eigenen Aussagen nichts anfangen –, sondern fremde Interessen in Deutschland durchzusetzen. Die Idee der freien und Sozialen Marktwirtschaft wurde aus dem Wirtschaftsministerium entfernt wie das Bild Ludwig Erhards, dessen Porträt bis vor kurzem noch das Foyer des Ministeriums zierte, laut Information der WirtschaftsWoche allerdings gemeinsam mit denen der anderen Ex-Minister entfernt wurde. Dafür zieht nun Elga Bartsch als neue Chefökonomin in das Bundeswirtschaftsministerium ein. Sie soll die „Abteilung 1“ (Grundsatzabteilung „Wirtschaftspolitik“) leiten, die unter Ludwig Erhard einst von Alfred Müller-Armack geführt wurde, der als einer der Architekten der Sozialen Marktwirtschaft gilt.

Mit dem Staatssekretär Sven Giegold (Grüne) gemeinsam soll Bartsch die Grundlagen für die Große Transformation in der deutschen Wirtschaft legen. Bartschs Berufung ist kein Zufall und zeigt, um wessen Interessen es in Wahrheit geht – so viel sei schon mal gesagt: nicht um die Interessen der deutschen Bürger, auch nicht um die Interessen der mittelständischen Wirtschaft Deutschlands, auch nicht des deutschen Handwerks. Der Lebenslauf von Elga Bartsch gibt einen Hinweis auf die Antwort.

Elga Bartsch hat als Europa-Chefvolkswirtin der Investmentbank Morgan Stanley gearbeitet, bevor sie bis noch vor kurzem Chefin des Blackrock Investment Instituts in London, der Denkfabrik des weltgrößten Vermögensverwalters war. Auffällig ist, wie sehr Blackrock in letzter Zeit – auch als Werbung auf Twitter – sich zum Vorkämpfer für „Nachhaltigkeit“, was sich auf die eigenen Profite beziehen dürfte, und natürlich für „Klimaschutz“ in Szene setzt. In dem Spielfilm „Wall Street 2 – Money Never Sleeps“ von 2010 über die Weltfinanzkrise von 2008/2009 sagt der Spekulant Gordon Gecko, dass Grün, die grüne Industrie die neue Blase ist, in die man investieren muss. Denn die Hochfinanzindustrie verdient nur, wenn sie eben in Blasen investiert. Klimaschutzindustrie, grüne Industrie ist ein Milliardengeschäft, noch dazu risikofrei abgesichert von den Steuerzahlern.

„Wohlstand Ade – Scheiden tut weh“
Das deutsche Wohlstandsmodell ist Vergangenheit
Im Grunde eine staatlich durchgesetzte Umverteilung großen Stils. Die ganze Kunstfertigkeit besteht wie beim Pilotenspiel nur darin, rechtzeitig aus der Blase auszusteigen, mit all dem Geld, das man verdient hat, und den anderen den Krach, den Bankrott zu überlassen. In ihrem Buch „Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“ zitiert Mariana Mazzucato zustimmend Larry Fink, den CEO von Blackrock. Dazu muss man wissen, dass die italo-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin sowohl bei der EU-Kommission als auch in Davos beim WEF ein- und ausgeht und sie zudem Habecks Vordenkerin ist. Zuweilen zitiert Habeck ohne Angabe des Zitates in eigenen Reden Mazzucato fast wörtlich, so sehr hat er ihre Lehren, wie man den Kapitalismus anders machen könnte, verinnerlicht. Anders meint: Kapitalismus ohne freie Marktwirtschaft. Anders meint: eine Art Staatskapitalismus, der den Managern die Gewinne via Subventionen garantiert und mögliche Verluste durch Verstaatlichung absichert, wobei die verantwortlichen Manager ihre Posten behalten.

Auf der Suche nach einer Antwort, wer die Gewinner und die Verlierer der Großen Transformation sind, hilft eine Beschreibung weiter, die von der Marxistin Nancy Fraser am Beispiel der USA getroffen wurde: „Die US-amerikanische Form des progressiven Neoliberalismus beruht auf dem Bündnis ›neuer sozialer Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie etc.). In dieser Allianz verbinden sich echte progressive Kräfte mit einer ›wissensbasierten Wirtschaft‹ und insbesondere dem Finanzwesen.“ Das perfekte Herrschaftssystem, wenn die Wirklichkeit nicht wäre.

Und Fraser weiter: „In jedem Fall verbündeten sich die hegemonialen Strömungen emanzipatorischer Bewegungen (wie Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und LGBTQ-Rechte) … mit neoliberalen Kräften, die darauf abzielten, die kapitalistische Wirtschaft zu finanzialisieren, insbesondere die dynamischsten, zukunftsorientierten und globalisierten Kapitalsektoren (wie Hollywood, IT und die Finanz) … In diesem Fall benutzten die Sektoren des ›kognitiven Kapitalismus‹ Ideale wie Vielfalt und Ermächtigung, um eine Politik aufzuhübschen, die die Industrieproduktion und das einstige Leben der Mittelschicht verwüstete … sie benutzte das Charisma ihrer progressiven Bündnispartner, um eine Fassade der Emanzipation über ihrem eigenen regressiven Projekt der massiven Umverteilung nach oben auszubreiten.“

Dilettant mit Dogma
Um der Sozialen Marktwirtschaft willen: Habeck sollte zurücktreten
Wie dieses Bündnis funktioniert, hat der Gründer des WEF und „Erzkapitalist“ Klaus Schwab und dessen Co-Autor Thierry Malleret in dem Buch „The Great Reset“ an einem Beispiel dargestellt: „Eine Gruppe grüner Aktivisten könnte vor einem Kohlekraftwerk demonstrieren, um eine strikte Durchsetzung der Umweltbestimmungen zu fordern, während eine Gruppe von Investoren im Sitzungssaal dasselbe tut, indem sie dem Werk den Zugang zu Kapital entzieht.“ Man könnte verkürzt sagen: So arbeiten Hochfinanz und Grüne, so arbeiten Investmentbanker und Hedgefonds-Manager mit den Aktivisten der „Letzten Generation“ zusammen, nur dass die Aktionen der „Letzten Generation“ leider, leider in letzter Zeit zu einem Imageproblem werden und die möglichst lautlos durchzuführende Transformation ans Licht zerren.

Sobald man die Frage stellt: Wer herrscht? – eine Frage, die Linksliberale in der Vergangenheit, als sie noch nicht die Macht besaßen, beharrlich stellten, nun aber beflissen darüber schweigen, als wäre diese Frage unanständig –, wird der große Hammer der „Verschwörungstheorie“ hervorgeholt. Nur ist die größte aller Verschwörungstheorien die Verschwörungstheorie von der Verschwörungstheorie, denn wer ein Problem mit der Wirklichkeit hat, wer deshalb die Wahrheit fürchtet, muss Tatsachen leugnen, aus der Wirklichkeit eine Verschwörung machen und die Wahrheit als Verschwörungstheorie verunglimpfen. Zugegeben, es fällt schwer zu verstehen, dass Prinz John, der Sheriff von Nottingham und Robin Hood gemeinsame Sache machen. Doch bereits der Dichter Heiner Müller hatte über „unmögliche“ Bündnisse kurz und bündig befunden: Was die Welt eint, sind die Geschäfte.

Mariana Mazzucato
Die Frau, deren Wirtschaftsvorstellungen Robert Habeck umsetzen will
Tatsache ist, dass die strategische Ausrichtung im Wirtschaftsministerium unter einer ehemaligen Blackrock-Managerin stattfindet. Tatsache ist, dass eine Aktivistin von Greenpeace und US-Amerikanerin Staatsekretärin im Außenministerium geworden ist. Erstaunlich ist die Annäherung von Greenpeace und Blackrock.

Wessen Interessen vertreten also die Grünen? Wessen Interessen vertritt Annalena Baerbock, die vom Young Leader Programm des WEF gefördert wurde? Wessen Interessen vertritt der Mazzucato-Jünger Habeck, der einst zu Protokoll gab: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht“?

Der Soziologe Wolfgang Streeck hat abseits der Klischees und Denkgewohnheiten versucht, die fundamentalen Veränderungen zu verstehen, wie und warum also Prinz John, der Sheriff von Nottingham und Robin Hood gemeinsame Sache machen: „Die Hochphase der Globalisierung begünstigte die Etablierung einer kosmopolitisch orientierten Bewusstseinsindustrie, die ihre Wachstumschancen darin sah, den Expansionsdrang kapitalistischer Märkte mit den libertären Werten der sozialen Revolution der sechziger und siebziger Jahre sowie deren utopischen Versprechen menschlicher Befreiung aufzuladen. Dabei verschmolz die technokratische pensée unique des Neoliberalismus mit dem moralischen juste milieu einer internationalistischen Diskursgemeinschaft. Die so etablierte Lufthoheit über den Seminartischen dient heute als Operationsbasis in einem Kulturkampf besonderer Art, in dem die Moralisierung des global expandierenden Kapitalismus mit einer Demoralisierung derjenigen einhergeht, die ihre Interessen von diesem verletzt finden.“

In dem Lied „Keine Märchen mehr“ sang der ostdeutsche Liedermacher Gerhard Gundermann schon in den neunziger Jahren:

Robin Hood war grün und gut
Als er noch Walderdbeeren aß
Jetzt frißt er sein Ministerhut
Verpißt sich hinter Panzerglas“

Also, keine Märchen mehr.


Die mobile Version verlassen