Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eröffnete das Plenum am Dienstag mit einer bemerkenswerten Rede, in der er zur Gewaltfreiheit mahnte. Wichtig und richtig war zudem, dass er keinen Unterschied machte zwischen rechtsextremer und linksextremer Gewalt. Dieser Passus erhielt Beifall von der FDP, der CDU/CSU, der AfD. Doch bei den Linken rührte sich, soweit ich sehen konnte, keine Hand zum Beifall, und auch bei der SPD schienen nur wenige Abgeordnete zu applaudieren. Letzteres verwundert nicht, weil die Denkfabrik der SPD zu der Überzeugung kam, dass sie die Antideutschen und die Antifa im Kampf gegen die Konservativen, gegen die Rechten, gegen die Rechtsextremen, die für die Geschäftsführerin der Denkfabrik der SPD ein und dasselbe zu sein scheinen, benötigen wird. Da in diesen Tagen öfter auf die Geschichte geblickt und sie teils revisionistisch instrumentalisiert wird, sei daran erinnert, dass es der politischen Kultur in Deutschland nicht gut tat, als sich Parteien Schlägertrupps hielten, links wie rechts.
Doch so lobenswert die Rede des Bundestagspräsidenten ist, enthält sie doch zwei elementare, ja substantielle Fehler, die grundlegende Probleme – statt sie zu benennen – eher kaschieren. Wolfgang Schäuble stellt fest: „Das Gewaltmonopol des Staates und die Durchsetzung des Rechts sind nicht relativierbar.“ Das ist zweifelslos richtig, wird aber dort zur Hülse, wo das Gewaltmonopol des Staates nicht nur nicht relativiert, sondern wo es schlicht und ergreifend nicht mehr durchgesetzt wird.
In Frankfurt/Oder greifen Asylbewerber mit Eisenstangen einen Club mit Rufen an wie „Wir sind Araber, wir töten euch alle.“ Und „Allahu akbar“ (Gott ist groß). Der Klubbetreiber, Dirk Schöbe, schilderte der Berliner Morgenpost den Vorfall so: „Wir haben 90er gefeiert – und plötzlich befanden wir uns im Kriegsgebiet, nicht mehr in unserer Heimatstadt. Es war gespenstisch, die ‚Allahu akbar‘-Rufe, die Aggressivität, die dumpfen Schläge, die Schreie von Menschen.“ Er resümierte: „Es waren Kriegsszenen.“
Die Berliner Polizei darf nach Informationen des Tagesspiegels bis zum 1. Oktober keine „Vorführungsbefehle in Jugendarrestsachen vollstrecken“. Damit wird de facto der Jugendarrest von Intensivtätern, die wegen Drogen- und Gewaltdelikten auffallen, ausgesetzt. In den bisherigen Jugendarrest am Kirchhainer Damm in Lichtenrade zieht der Abschiebegewahrsam für Islamisten ein und der Umzug des Jugendarrests an den neuen Standort in Charlottenburg Nord kommt nicht voran. Fazit: keine Festnahmen, weil das Gefängnis überfüllt ist.
Am 9. September, einem Sonntag, wird ein libanesisches Clanmitglied von Männern eines rivalisierenden Clans am helllichten Tag auf dem Tempelhofer Feld, das voller Menschen ist, Familien, Kinder, erschossen. Mitten in Berlin, mitten in einem Freizeitpark wird scharf geschossen. Dass es zu keinem Feuergefecht kommt, dass nicht Kinder, Väter, Mütter, Männer und Frauen getroffen werden oder zu Tode kommen, ist ein großes Glück, doch die Unbeschwertheit ist dahin. Die B.Z. berichtet, dass die Beisetzung des Ermordeten von 110 Beamten der Einsatzhundertschaften, von Spezialkräften, LKA-Beamten und Verkehrspolizisten bewacht wird. Unterdessen beobachtet der Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt, Sebastian Laudan, die aktuelle „Tendenz zur Bewaffnung“ von Clans mit Sorge.
Die Liste ließe sich leider sehr lang fortsetzen, sie würde inzwischen ein Buch füllen, ein Buch, das traurig Auskunft über Deutschland gibt, darüber, wohin Deutschland unter Schwarz-rot unter fleißiger Mithilfe der Grünen inzwischen gekommen ist. „Das Gewaltmonopol des Staates und die Durchsetzung des Rechts sind nicht relativierbar“, sagt Wolfgang Schäuble, aber liegt das Gewaltmonopol noch beim Staat, wird das Recht durchgesetzt? Gegen Falschparker, ja. Gegen Steuersünder, ja. Aber auch gegen Linksextremisten, gegen Clans, gegen kriminelle Asylbewerber? Ist es das, was Aydan Özoguz meint, wenn sie als Staatsministerin schrieb, dass wir unsere Lebensbedingungen ständig neu aushandeln müssen? Ist das die drastische Veränderung, die Katrin Göring-Eckardt so sehnsuchtsvoll herbeirief? Ist es das, was Wolfgang Schäuble einmal zynisch das „Rendezvous mit der Globalisierung“ nannte? Bisher verstand man unter Rendezvous eine romantische Verabredung. Vielleicht hat Wolfgang Schäuble auf eine schlimme Art recht und aus den romantischen Verabredungen wurden durch die Politik der Bundeskanzlerin inzwischen Stelldicheins von sexuellen Belästigungen, Übergriffen und Morden, wie wir seit Freiburg, seit Kandel, seit Hamburg – und auch hier ist die Liste viel zu lang – zur Kenntnis nehmen müssen.
Schaut man genau hin, behauptet Wolfgang Schäuble, dass erstens die Globalisierung sich zwangsläufig vollziehen wird, was ins Reich der steilen Thesen gehört, und zweitens unterstellt er den Kritikern, dass sie ängstlich und geistig minderbemittelt seien, weshalb man Geduld mit ihnen haben und ihnen alles in Ruhe erklären muss, wie Kindern, die sich fürchten, wenn zum Schlafen das Licht ausgeschaltet wird.
Damit vernebelt der Bundestagspräsident die eigentliche Konfliktlinie in Deutschland und in Europa, die grob gesprochen zwischen Globalisten oder Internationalisten und Kommunitaristen verläuft, zwischen denen, die von Weltoffenheit sprechen und letztlich bedingungs- und schutzlose Ausbeutung meinen, und denjenigen, die darauf bestehen, dass das Individuum in seinen konkreten sozialen Räumen verankert ist und eine Verantwortung für seine konkrete Umwelt trägt, die in der Familie den Grundbaustein der Gesellschaft sehen. Die große Debatte hat in den achtziger Jahren in den USA stattgefunden und politisch haben die Globalisten oder Kommunitär-Liberalen gewonnen. Doch der US-Liberalismus der Demokraten hat sich so weit entgrenzt, dass er zu seinem Ende gekommen ist. Er zerstört sich selbst, weil er die Gesellschaft zerstört. Die Spaltung ist genau betrachtet die Konsequenz davon.
Dieser Konflikt wird zunehmend die politische Auseinandersetzung bestimmen – und genau den hat der Bundestagspräsident in seinem ansonsten ausgewogenen und wichtigen Ordnungsruf verschleiert und blieb dann doch dem alten Rechts-Links-Gegensatz verpflichtet.
Wichtig ist, nicht mit veralteten Begriffen die Auseinandersetzungen von Gestern immer wieder aufzuführen, sondern sich der grundsätzlichen Debatte unserer Zeit zu stellen: Lösen wir den Staat und damit auch den Sozialstaat auf, oder stärken wir ihn, indem das Gewaltmonopol des Staates und die Durchsetzung des Rechts nicht relativiert werden? Begreifen wir, dass wir am Ende der Globalisierung stehen und sich in der Welt nationalstaatsbasierte Machtzentren bilden, die um Macht und Einfluss kämpfen. Um dem zu begegnen, benötigen wir einen starken Staat – ja, und auch Europa, aber ein Europa, das von den Staaten aus gedacht ist. Nur so lassen sich Recht, Gesetz, Freiheit und Wohlfahrt durchsetzen.