Tichys Einblick
Nachdenkliches zum Jahreswechsel

Wird Angst zur neuen Identität der Deutschen?

Sollte es wirklich so sein, dass Angst das treibende Element zur Identitätsstiftung der Deutschen wird, ein zutiefst negatives Gefühl also zum Stifter einer gemeinsamen nationalen Identität avanciert?

Symbolbild

IMAGO / MiS

Häufig steht am Beginn der Behandlung von Angststörungen die Erläuterung, was dieses Gefühl eigentlich bedeutet. Dabei unterscheidet man ganz grundsätzlich zwischen Angst und Furcht. Furcht ist danach etwas ganz Normales, ja sogar Lebenserhaltendes. Wenn ich über eine ganz offensichtlich einsturzgefährdete Brücke laufen soll, sagen mir Verstand und Instinkt gleichermaßen, dass ich dies besser lassen sollte. Ähnlich verhält es sich mit dem Verhalten im Straßenverkehr oder angesichts einer Vielzahl von alltäglichen Bedrohungen. Furcht begründet sich durch die rationale Erkenntnis einer Gefährdung und löst sich in deren sachgerechter Beseitigung. Ohne die Erkenntniskraft der Furcht wäre die Existenz der Gattung Mensch nicht vorstellbar.

Ganz anders verhält es sich mit der Angst. Sie kommt oft auf diffusen Wegen daher. Meistens wissen wir gar nicht so genau, wovor wir Ängste entwickeln. Sie entstehen im Unterbewussten und können im schlimmsten Fall zur Blockade jeder Handlungsfähigkeit führen. Angst ist etwas Unbestimmbares. Oft geht sie mit einer allgemeinen Depression einher. Die Betroffenen verhalten sich ihrer Umgebung gegenüber aggressiv oder ziehen sich, wie in ein Schneckenhaus, zurück. Ärztlicher Rat ist hier auf jeden Fall erforderlich.

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Ganz andere Auswirkungen haben Ängste immer dann, wenn sie größere Gruppen oder gar weite Teile eines Volkes in kollektiver Weise ergreifen. Genau das erleben wir seit zwei Jahren in Deutschland. In keinem anderen Land der Erde hat die Virus-Erkrankung Corona die Bevölkerung so tief erfasst, dass daraus sogar eine gemeinsame Identität der Angst erwachsen zu sein scheint. Wo man auch hin kommt, Corona ist das Thema. Besonders auffällig wird es immer dann, wenn Vertreter der von Angst ergriffenen Mehrheit auf die Minderheit der Corona-Skeptiker stoßen. Diese sind in der Regel an ihrer Masken-Abstinenz schnell zu erkennen und gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu den verhassten Impfgegnern. „Maske auf!“, bellt es plötzlich selbst auf Waldwegen einem offenkundigen Kollektivschädling über zwei Meter Abstand entgegen. Selbst wenn die Maske nur einen Millimeter unter die Nase gerutscht ist, entlädt sich der Volkszorn der Geängstigten. Corona hat das Land zerrissen: Langjährige Partnerschaften gehen in die Brüche und aus seit ewigen Zeiten Freunden werden auf einmal Feinde.

Die Regierung und die von ihr bestellten und bezahlten Wissenschaftler unternehmen alles dafür, dass der Angstpegel nicht sinkt. Dabei haben die mannigfachen Fehler und das katastrophale Missmanagement der Krise den größten Anteil an der Verdrossenheit im Lande. Dazu gehört auch die miserable Kommunikation! So tönten Karl Lauterbach und RKI-Chef Lothar Wieler noch vor einer Woche, über Weihnachten würden die Krankenhäuser an den Rand ihrer Fähigkeiten geraten. Durch die hohe Zahl der an Covid-19 Erkrankten könnten sogar Teile des öffentlichen Lebens zusammenbrechen. Und was ist? Die Lage normalisiert sich – die Zahl der Covid-Inzidenzen geht sprunghaft zurück.

Rechtzeitig taucht da aber eine neue Virusvariante auf. So richtig Genaues weiß man noch nicht. Dort, wo die Omikron-Variante bereits aktiv ist – in Afrika, den Vereinigten Staaten und England – werden bislang nur milde Verläufe vermeldet. Dennoch ist man hier zu Lande mal wieder ganz aus dem Häuschen.

Ganz nebenbei: Glaubt denn wirklich jemand im Ernst, dass RKI-Chef Wieler das Ausrufen der Apokalypse am vergangenen Wochenende wirklich ohne Abstimmung mit seinem Chef Lauterbach verkündet hätte? Das Ganze ist ein Stück politisches Marketing. Bekamen doch Scholz und sein Gesundheitsminister die Gelegenheit, als „Freunde des Weihnachtsfestes“ sogleich wieder Entwarnung zu geben und die Wissenschaft in die Ecke der Panikmacher zu stellen. Darauf wäre ja nicht mal Merkel gekommen.

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So lässt einen auch die genauere Betrachtung der Auswirkungen des Corona-Virus ins Staunen geraten. „Über 100.000 Corona-Tote sind über zwei Jahre zu beklagen.“ Wenn das so klar ist, warum ist dann immer nur die Rede von „mit“ oder „im Zusammenhang mit Corona verstorben“. Was soll man im Ernst mit einer solchen Aussage anfangen? Sind die Menschen nun an Corona verstorben oder nicht? Wer so mit Zahlen umgeht, hat entweder in der Schule nicht aufgepasst oder will uns allen einen Bären aufbinden. Beides wäre inakzeptabel.

Oder – warum hat man Tausende von Intensivbetten abgebaut, deren Fehlen heute so bitter beklagt wird? Warum lassen sich ausgerechnet so viele im Pflegebereich Beschäftigte, und dadurch mit dem Grauen der Krankheit besonders Vertraute, nicht impfen? Warum klagt der Staat immer nur über den Ist-Zustand in der Pflege und unternimmt nichts dagegen? Warum werden in Hamburg und München Menschen, deren Impfstatus nicht bekannt ist, einfach zur „asozialen Gruppe“ der Impfverweigerer gezählt – und das auf Anweisung von ganz oben? Man muss sich nicht wundern, dass bei einem derartigen Hin und Her die Phantasie von immer mehr Menschen im Land auf seltsame Pfade gerät. Denn irgendwie muss die große Angst ja begründet werden.

Denn – und auch das gehört zur Wahrheit – es sind von 83 Millionen Bundesbürgern maximal 1 Prozent von Corona betroffen. Betroffen heißt übrigens nicht erkrankt, sondern infiziert. 99 Prozent der in Deutschland Lebenden kennen Corona also nur aus den Medien und durch Erkrankungen im sozialen Umfeld. Man konnte förmlich darauf warten, dass zur Begründung der „Großen Angst“ imaginäre dunkle Mächte verantwortlich gemacht werden. In vergangenen Jahrhunderten waren das böse Götter, außerirdische Flüche oder verfemte Minderheiten. Nun die nicht Geimpften?

Der große Corona-Spuk wird auch im nächsten Jahr weitergehen. Hilft er doch, den Zeitpunkt der Wahrheit über die wirklichen Herausforderungen der näheren Zukunft, auf die die Politik offensichtlich noch keine Antworten weiß, immer weiter hinaus zu schieben: An erster Stelle sind hier die bevorstehende Energiekrise, das weitere Anwachsen der Inflation, der fortschreitende Verfall der inneren Sicherheit und die drohende Altersarmut zu nennen. Spätestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem die „Klima-Katastrophe“ das Seuchen-Syndrom ablöst.

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Doch hinter all dem steht noch etwas sehr viel Grundsätzlicheres. Sollte es wirklich so sein, dass Angst das treibende Element zur Identitätsstiftung der Deutschen wird, ein zutiefst negatives Gefühl also zum Stifter einer gemeinsamen nationalen Identität avanciert? Vielleicht ist auch deshalb die Atmosphäre im heutigen Deutschland so nervös und angespannt. Es gibt kein Land, dass in dieser Hinsicht mit Deutschland vergleichbar ist. Es fehlt einfach die in den angelsächsischen und südlichen Gefilden Europas typische Gelassenheit.

Elemente der verbindenden Gemeinsamkeit sind dort die Nation und der Stolz auf herausragende Persönlichkeiten in Geschichte und Gegenwart. Jeder Versuch in Deutschland, nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen, so etwas wie Stolz auf die bundesdeutsche Demokratie zu entwickeln, wurde durch die zunehmende Dominanz linker Eliten verhindert, indem immer wieder eine Kontinuität zum Dritten Reich konstruiert wurde. Oder gibt es noch einen anderen Staat auf der Erde, in der die Regierungschefin die Nationalfahne angewidert von sich wirft? So geschehen am Abend der Bundestagswahl 2013 durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)!

In den Aufbaujahrzehnten nach dem Krieg waren es der Stolz auf den wirtschaftlichen Aufschwung, die Entwicklung zum Export-Weltmeister, der Siegeszug des deutschen Automobils um die Welt und nicht zuletzt der deutsche Fußball, die die Deutschen in einem positiven Konsens verbanden. Mit der Bewegung der 1968er war das alles nichts mehr wert: Aus Konsum wurde Konsumterror, Leistungswille mutierte zum Leistungsterror, das Auto wurde zum Klima-Killer schlechthin, und dem Sport wurde immer öfter der Stempel mafiöser Machenschaften aufgedrückt.

Im Lauf der Zeit wurde auch das Bekenntnis zum Christentum immer mehr zur Nebensache. Bestürzendes dazu dokumentierte jetzt eine aktuelle Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Der christliche Glaube ist auf dem Rückzug! Traditionelle Institutionen der Gesellschaft wie die Familie oder die Achtung der Jüngeren vor den Älteren sind in Verruf geraten. Die Politik selbst weist kaum noch Figuren mit Vorbildcharakter auf. Es dominiert das gepflegte Mittelmaß. Als gesellschaftliche Normen verordnet eine linksintellektuelle Elite, besonders in den öffentlich-rechtlichen Medien, ein Programm der Umerziehung der „nichtreifen Bürger“. Ganz besonders gilt dies für das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Ein besonders eklatantes Beispiel ist das Diktat der nirgendwo beschlossenen Verhunzung der deutschen Sprache durch Genderwahn. Entsprechend ist auch die Freudlosigkeit, die sich während der Merkel-Jahre wie ein bleierner Mantel über das Land gelegt hat.

Am Ende bleibt dann eben nur noch Angst als Sinnstiftung. Was bleibt, ist die Gewissheit der immerwährenden Kraft der Freiheit des Individuums, die selbst ein Teil auch der deutschen Mentalität ist.

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