Tichys Einblick
Wir-Gefühl

Deutschland muss endlich aufhören, sich selbst zu zerfleischen

Bei Anne Will hat die Zeit-Journalistin Petra Pinzler die Frage aufgeworfen, warum es in Deutschland kein "Wir-Gefühl" mehr gibt. Sie hat damit das Ur-Problem angesprochen, auf dem viele andere Probleme des Landes aufbauen.

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Die Deutschen haben in den vergangenen Jahre viel geleistet. Sie haben weit über eine Million Zuwanderer aufgenommen. Trotz Wohnungsnot in den Städten. Und obwohl sie selbst in Sachen Privatvermögen zu den ärmeren unter den OSZE-Staaten gehören, haben sie diese Millionen Menschen alimentiert. Mit rund 1.000 Euro im Monat, wenn’s gut lief. Mit bis zu 5.000 Euro, wenn es sich um unbegleitete Jugendliche handelte. Zu prüfen, ob das wirklich Jugendliche waren, darauf haben die Deutschen aus humanitären Gründen obendrein noch verzichtet. Trotz all dieser Belastungen waren sie offen für ukrainische Flüchtlinge, als deren Land von Russland überfallen wurde. Doch. Auf ihre Hilfsbereitschaft können die Deutschen stolz sein. Sie sucht in Europa ihres Gleichen.

Nur: Was ist der Dank? Autoren wie Reni Eddo-Lodge stellen sie, wie andere Nationen auch, unter Generalverdacht: Die westlichen Gesellschaften seien rassistisch, egal was sie machten. Nun könnte man das als Einzelmeinung einer verirrten Autorin abtun. Doch in Deutschland wirken sich solche Ideen aufs öffentliche Leben aus. Quarks, die „Wissenschaftsredaktion“ des WDR, verkündet: „,Weiße` Menschen erfahren keine strukturelle Diskriminierung, weil sie eine weiße Hautfarbe haben.“ Mit der Realität an Schulen in Duisburg, Kreuzberg oder Frankfurt hat das längst nichts mehr zu tun. Trotzdem schaffen es solche Positionen bis in die Rechtssprechung: Die Hamburger Staatsanwaltschaft knüppelte mit einer ähnlichen Begründung eine Anzeige ab. Die Deutschen müssten es sich gefallen lassen, als „Köterrasse“ bezeichnet zu werden. Oder als Kartoffel. Wie es die Autorin Ferda Ataman getan hat. Wie reagierte die Bundesregeriung auf eine solche Provokation? Hat sie sich vor ihr Volk gestellt? Hat sie darauf hingewirkt, im Sinne des Zusammenlebens auf solche Pöbeleien zu verzichten? So ähnlich. Die Ampelkoalition hat Ataman zur Integrationsbeauftragten gemacht – also zum Teil der Bundesregierung. Das eigene Volk Kartoffel zu nennen, ist jetzt Staatsräson.

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Zu den wichtigsten Lehren Jesus‘ gehört, man solle den nächsten lieben wie sich selbst. Dieser Lehrsatz enthält eine Kondition, die gerne übersehen wird: Nur wer sich selbst liebt, kann andere lieben. Wer sich selbst hasst und andere liebt wie sich selbst, der hasst sie. Eine Bundesregierung, die eine Autorin in ihre Reihen aufnimmt, die das eigene Volk anpöbelt, liebt eben dieses Volk nicht. Eine Bundeskanzlerin, die mit Hass und Verachtung im Gesicht eine schwarz-rot-goldene Fahne wegwirft – vor laufenden Kameras – zeigt keine Wertschätzung für die Werte, für die diese Fahne steht. Eine Nationalmannschaft, die das National streicht, ist nur noch eine Fußballelf.

In „Cäsar und sein Legionär“ beschreibt Bert Brecht die Nacht vor dem Mord an dem Despoten. Er ist heruntergekommen. Seine Freunde haben ihn verlassen und auch moralisch ist er bankrott. Über Jahre hat er wie im Rausch nur noch sich gekannt. Jetzt, mit einem Fuß im Grab, erinnert er sich ans Volk. In der Hoffnung, es möge ihn retten. Es ist einer der größten Arbeiten Brechts. Weil sie sensibel ist, ehrlich und weil sie die Psychologie der Mächtigen treffend beschreibt. Das Volk ist etwas, an das sie sich erst erinnern, wenn gar nichts anderes mehr greift.

Olaf Scholz (SPD) ist seit acht Monaten Kanzler. In diesen acht Monaten hat er sich öfters ans Volk gewandt als Angela Merkel (CDU) in 16 Jahren. Die Zeit-Journalistin Petra Pinzler hat bei Anne Will richtig beobachtet, dass er ein Wir-Gefühl auslösen will. „Nationale Kraftanstrengung“ gehört zu den Vokabeln, die das befeuern sollen. Doch ebenso richtig hat Pinzler auch festgestellt, dass Scholz es nicht gelingt, das nationale Feuer zu entfachen. Genau so wenig wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der mit Appellen sich die Hände kürzer zu waschen, eher zur Lachnummer wird. Und der aus seinem Misstrauen gegenüber allem Deutschen vor seiner Amtszeit keinen Hehl gemacht hat.

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Das Vorbild schlechthin für solche Reden ist der einstige britische Premier Winston Churchill. Nachdem Frankreich den Krieg gegen NS-Deutschland verbockt hatte, stimmte er seine Landsleute darauf ein, er habe nichts anderes zu bieten als Blut, Schweiß, Mühsal und Tränen. Und er war glaubwürdig. Aus drei Gründen: Er selbst kam aus der Opposition, hatte zuvor massiv vor der Appeasement-Politik gegenüber Hitler gewarnt. Churchill wusste ein Volk hinter sich, das eine stolze demokratische Tradition hatte und sich von einem gefährlichen, totalitären System angegriffen sah. Und der Premier selbst war bereit, unter Einsatz seiner Gesundheit und seines Lebens sich gegen die Gefahr zu stemmen.

Und in Deutschland? Verzichtreden kommen auch vom Finanzminister Christian Lindner (FDP). Der feiert Hochzeit auf Sylt. Das sei ihm gegönnt. Ebenso wie sein Vermögen. Wobei sich schon die Frage stellt, wie man so reich wird, wenn man sein ganzes Leben in Staatsfunktionen gearbeitet hat. Aber das ist Spekulation. Sicher ist, dass Lindner seine Hochzeit ohne Not auf eine Sitzungswoche gelegt hat – und der Arbeit dann entsprechend ferngeblieben ist. Es ging ja auch nur um Kleinigkeiten. Etwa um die Versorgung der Deutschen mit Strom und Wärme über den Winter. Oder um die Wahl von Ferda „Kartoffel“ Ataman in ein Staatsamt. Man stelle sich einen Winston Churchill vor, der eine Geburtstagsfeier auf den D-Day gelegt hätte. Unvorstellbar? Eben. Wobei die Idee, dass ein Christian Lindner für etwas so wichtiges wie den D-Day verantwortlich sein könnte, noch viel gruseliger ist, als sie unvorstellbar ist.

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Unter den Verzichtpredigern ganz vorne sind die Grünen. Sich die Hände nicht mehr waschen, weniger duschen oder die Wohnung mit kaltem Wasser putzen. Das alles ist für die Grünen gut vorstellbar – ihre Position beim Atomkraft-Aus zu überdenken indes nicht. Opfer sind immer die Opfer der anderen. So wie im Lockdown, als bestens frisierte Politiker dem Volk verordneten, im Kampf gegen den Virus auf den Friseurbesuch zu verzichten.

A propos Lockdown. Ein Wir-Gefühl entsteht, wenn eine Einheit versucht, alle oder möglichst viele mitzunehmen. Das Gegenteil ist in Deutschland der Fall. Kaum einer Idee ist dieses Land in den vergangenen Jahren so besessen nachgegangen wie dem gesellschaftlichen Ausschluss derer, die von der im Staatsfunk propagierten Meinung abgewichen sind. Wer Männer mit angegrautem Bart nicht als unbegleitete Jugendliche sehen wollte, war Nazi, war Rassist. Genauso wie die, die es für keine gute Idee hielten, Menschen ohne Papiere ungeprüft ins Land zu lassen – vor allem wenn sie aus Staaten mit einer starken islamischen Terrorszene kamen. Oder „Klimaleugner“. Das war schon, wer darauf hinwies, dass E-Autos auch nicht die Lösung sind. Oder Covidiot. Das war, wer nicht fand, dass nächtliche Ausgangssperren den Virus eindämmen – oder Masken im Freien. Auch wer vor den Nebenwirkungen von Impfungen warnte, war Querdenker oder Impfgegner.

Vorbereitung auf Volksaufstände
„Katastrophenschutzplan 2012“ und „Territoriales Führungskommando der Bundeswehr 2022“
Der Bann traf nicht nur Randständige. Die Frauenrechtlerin und Verlegerin Alice Schwarzer war plötzlich Nazi, weil sie den Islam nicht als die Religion der Frauenrechte feiern wollte. Die Sängerin Nena war Querdenkerin, weil sie nicht in Arenen auftreten wollte, in denen die Besucher wie Weidevieh in kleinen Gruppen eingegattert wurden. Für den Sinn solcher Maßnahmen gibt es bis heute keine belegenden Zahlen. Die Stimmen, dass das Quatsch war, mehren sich. Doch die Verbannung von Mutigen wie Nena wirkt immer noch, wie sich an den Protesten zeigte, als sie jetzt in der ARD auftrat.

Dieses Land hat sich in den letzten Jahren gehasst. Es hat sich selbst zerfleischt. Die Eliten haben dem nicht entgegen gewirkt. Im Gegenteil. Politische Führung und Staatsfernsehen gingen bei dieser Selbstgeißelung vorneweg. Sie haben es befördert und belohnt, wenn sich die Menschen in diesem Land als „Köterrasse“ oder „Kartoffeln“ beschimpfen lassen mussten. Sie haben mitgewirkt, Menschen mit anderer Meinung aus der Gesellschaft auszuschließen. Und als es anfing, Verzicht über zu müssen, haben sie Hochzeit auf Sylt gefeiert – während einer Sitzungswoche.

Grün albert herum
Nur bei den Reichen brennen noch die Lichter und die Badenden bleiben ohne Bad
Dieses Land täte gut daran, wieder stolz auf sich zu sein. Schon im Sinne Jesus‘, sich selbst zu lieben, um andere lieben zu können. Doch dem in CumEx- und Wirecard-Affäre verstrickten Scholz wird das nicht gelingen. Anders als Churchill hat er sich den zurückliegenden Fehlentwicklungen nicht entgegen gestellt – er hat an ihnen mitgewirkt. Noch heute stellt er sich nicht dagegen. Der Koalitionsfrieden ist ihm wichtiger, als ein Regierungsmitglied zu verhindern, das den Großteil der Menschen als „Kartoffel“ beschimpft. Eine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede ist nicht glaubwürdig, wenn sie zwischendrin gehalten wird. Ein Regierungschef muss sie fühlen. Er muss sie leben.

Es liegt an den Menschen in Deutschland, stolz zu sein. Egal ob sie Markus oder Muhammed heißen. Entscheidend ist, ob sie dieses Land als das ihre empfinden. Ob sie sich Montag für Dienstag für Mittwoch morgens aus dem Bett schälen, um den Wohlstand zu erwirtschaften, den dieses Land bisher genossen hat. Und mit dem seine Führung so verschwenderisch umgegangen ist. Ob sie ihren Kindern Werte beibringen, wie freie, stolze und selbstbewusste Menschen zu sein, und sich gerade deswegen ab und an für die Gemeinschaft zurückzunehmen. Und ob sie den Schwachen helfen, so wie sie es getan haben. Das alles ist da. Es muss nur freigeschaufelt werden. Der erste Schritt ist, die als Egoisten abzutun, die Wasser predigen, um selbst mehr Wein trinken zu können. Die Pöbeleien und den Ausschluss Einzelner als konstituierende Momente für eine Gesellschaft sehen. Oder sich anderen in den Weg setzen, weil sie denken, es politisch besser zu wissen als sie.

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