Wer auch immer die Präsidentschaftswahl in den USA gewinnen wird, eines ist jetzt schon klar: Für Haustiere war es der gefährlichste Wahlkampf aller Zeiten. Zuerst standen Katzen und Hunde im Fokus, die laut Trump und Vance angeblich auf dem Speiseplan illegaler Migranten standen – die beiden hatten unbestätigte Gerüchte aufgegriffen und auf Wahlkampfveranstaltungen verbreitet: ein Hoax, der zu massiven Anfeindungen gegenüber haitianischen Immigranten führte, zwischenzeitlich absurd-gefährliche Züge einer Massenhysterie annahm, und angesichts der Dämonisierung einer Bevölkerungsgruppe das US-amerikanische Selbstverständnis der Einwanderungsgesellschaft, die trotz ihrer Vielfalt ihre Einheit bewahrt, auf die Probe stellte.
Einerseits eine eindrückliche Warnung: Aufgrund der viralen Verbreitung durch soziale Medien können Viel- und Großredner wie Trump heutzutage auch mit einem leicht dahingesagten Spruch großen Schaden anrichten.
Dem postmodernen Menschen rät der Vorfall zu Bescheidenheit: Wie oft brüstet der sich seiner Aufgeklärtheit und spottet über das ach so düstere und dunkle Mittelalter, wo abergläubische Bauern Hexen verbrennen und Juden verfolgen, weil Gerüchte über vergiftete Brunnen oder geraubte Kinder den Hass anstacheln.
Der Mensch der digitalen Massenkommunikation ist trotz all seiner Ressourcen nicht weniger anfällig für derartiges Verhalten. Immerhin aber verdanken wir dieser Wahlkampfepisode ein Werk, das das Zeug zum Klassiker hat: „People of Springfield, please don’t eat my dog; there are so many other things to eat“, textete der südafrikanische Satire-Musiker David Scott alias „The Kiffness“ zu sommerlich entspannten Beats, und inkorporierte Trumps typischen Singsang in das Lied „Eating the cats“. Und er war nicht der einzige, der das musikalische Potenzial des Präsidentschaftskandidaten erkannte: Von Klassik bis Rap wurde das Netz mit diversen Versionen der Trump-Sentenz geflutet.
Doch während die Haustiere der Gemeinde Springfield, Ohio, nie wirklich in Gefahr schwebten, hat der Wahlkampf mittlerweile gleich zwei ikonische tierische Märtyrer aufzubieten: Fred, den Waschbären, und das Eichhörnchen Peanut. Peanut, das erste Influencer-Eichhörnchen mit über 600.000 Followern auf Instagram war von seinem Herrchen Mark Longo verletzt und verwaist aufgefunden und domestiziert worden. Sein Alltag, und der liebevolle Umgang mit dem possierlichen Tier wurde in den sozialen Medien dokumentiert und ermöglichte den Aufbau eines Tierschutzprojektes.
Doch aufgrund einer Anzeige – die Verantwortliche ist mittlerweile identifiziert und musste ihre Social-Media-Kanäle schließen, um sich zu schützen – stürmten am 30. Oktober Ordnungskräfte das Domizil des Eichhörnchens, durchsuchten und verwüsteten es laut Aussagen Mark Longos, und nahmen die beiden Tiere mit. Nachdem Peanut sich gewehrt und zugebissen hatte, wurde das Tier kurzerhand eingeschläfert. Mit dem medialen Aufschrei, der daraufhin über den Äther schallte, hatte wohl niemand gerechnet: Angesichts all der Kriegs- und anderer Gräuel, die die Welt derzeit überziehen, mutet es tragikomisch und realsatirisch an, dass das Schicksal eines Eichhörnchens eine derartige Resonanz erzeugen kann. Aber so ist es: Wie vielen Menschen, die verzweifelt oder vereinsamt den Abend mit „doom-scrolling“ im Internet verbracht hatten, hatte dieses Tier ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert, ihnen ein bisschen Zuversicht und Wärme vermittelt? Ein unschuldiges Tier als Symbol des Guten und Liebenswerten, das trotz allem in der Welt ist – und nun eben auch ein politisches Symbol.
Denn natürlich trendeten Memes und Sentenzen zum Schicksal des Eichhörnchens umgehend: Peanut als Symbol für alles, was falsch ist am „Deep State“, den Donald Trump und die Republikaner laut eigenen Aussagen bekämpfen. Obwohl Besitzer Mark Longo sich gegen politische Vereinnahmung verwahrte, wurde Peanut unversehens zu Trumps Maskottchen:
Peanut als Beleg dafür, warum das Recht des freien Amerikaners, Waffen zu tragen, um sein Heim nicht zuletzt gegen den übergriffigen Staat verteidigen zu können, kein atavistisches und überholtes Konzept, sondern bittere Notwendigkeit ist, die es zu verteidigen gilt.
Peanut als Hinweis auf die Ungerechtigkeit, dass in den USA mitunter Drogenabhängige und Kriminelle walten können, wie sie mögen, dass die Obrigkeit hilflos ist gegen illegale Migration, dafür aber mit ganzer Staatsgewalt ein kleines Fellknäuel verfolgt, gefangen nimmt und ermordet: Peanut, der tragische Held, der einsteht für die jedem US-Amerikaner verfassungsgemäß zustehenden Rechte, auf denen der demokratische Staatsapparat herumtrampelt: In den sozialen Medien kennen Pathos und Emotion, aber auch Kreativität seit Tagen keine Grenzen.
Ob der „Justizmord“ an einem Eichhörnchen wahlentscheidend ist? Wahrscheinlich (und hoffentlich) nicht. Aber die mediale Empörung zeigt, dass der Vorfall einen Nerv getroffen hat, der nicht nur bei vielen US-Amerikanern bereits zum Zerreißen gespannt ist: Bürger, die der Willkür einer als Obrigkeit empfundenen Staatsmacht ausgeliefert sind, die Hilflosigkeit, Frustration und blanke Wut des Individuums, all das verlangt nach einer Identifikationsfigur, die über den US-Wahlkampf hinausreicht: Wir alle sind Peanut.