Tichys Einblick
Scharia im Kopf?

Will der Berliner Fraktionsvorsitzende der SPD ein anderes Deutschland?

Nach deutschem Recht ist Religionszugehörigkeit freiwillig. Nach der Scharia nicht. Resultiert daraus Salehs Irrtum? Da die Scharia Religion, Staat und Gesellschaft nicht unterscheidet, nur die Umma kennt, die Gemeinschaft, für die einzig und allein die Scharia gilt.

Raed Saleh und Michael Müller, SPD

© STEFFI LOOS/AFP/Getty Images

Deutschland hat ein wachsendes Problem mit muslimischem Antisemitismus, es potenziert sich durch einen weiterhin ungeordneten Zuzug von Muslimen nach Deutschland. Jüdische Kinder werden in deutschen Schulen bedroht, weil sie Juden sind, deutsche Kinder ohne Migrationshintergrund in deutschen Schulen, die einen hohen Migrationsanteil besitzen, gemobbt und ausgegrenzt, und Schülerinnen, die einen muslimischen Migrationshintergrund  besitzen, bedrängt, das Kopftuch zu tragen – und zwar von muslimischen Schülern. Es gibt Schulen, in denen nach Aussage der Lehrer kein Unterricht mehr möglich ist. Am Brandenburger Tor findet eine Demonstration von Palästinensern statt, bei der israelische Flaggen verbrannt und Rufe skandiert werden, wie „Tod Israel“ und „Kindermörder Israel“.

Michael Wolffsohn diagnostiziert im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung: „Wir haben eine immer größer werdende muslimische Minderheit, die sich radikalisiert.“ Die Befunde sind eindeutig, auch wenn sie in irreführenden Kriminalstatistiken verzerrt werden, weil „viele Vorfälle … unter dem Stichwort „Israel-Palästina-Konflikt““ landen und damit in einer anderen Statistik, nämlich in der für politisch-motivierte Kriminalität auf- oder besser abtauchen. Michael Wolffsohn hält diese Vorgehensweise für lügnerisch, denn: „Wenn ich mich in meinem jüdischen Bekanntenkreis umhöre, dann sagen alle das Gleiche: Gewalt gegen Juden geht ausschließlich von Muslimen aus.“

Um den muslimischen Antisemitismus zu verharmlosen, bringt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Raed Saleh, in einem Essay für den Tagesspiegel den deutschen Antisemitismus ins Spiel. Keine vier Zeilen hält es Saleh aus, konkrete Fälle muslimischen Antisemitismus und von Gewalt, die von Muslimen gegen Juden ausgeht, zu benennen, um dann 37 Zeilen lang den deutschen Antisemitismus zu beschwören. Mehr noch, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Abgeordnetenhaus von Berlin interessiert sich im Grunde nicht für den muslimischen Antisemitismus, der in seinen Traumwelten sehr leicht zu beheben wäre, sondern ihn treibt allein die Sorge um, dass „gewisse politische Kreise ganz bewusst die Problematik des Judenhass auf die geflüchteten (muslimischen) Flüchtlinge fokussieren wollen.“ „Geflüchtete Flüchtlinge“ ist nebenbei bemerkt eine beachtliche Wortschöpfung, die an sozialdemokratische Sozialdemokraten erinnert, die inzwischen allerdings seltene Vögel sind, um einen Ausdruck Martin Luthers zu verwenden. In der Tautologie wird die Logik besonders zwingend, die Unlogik übrigens auch. Doch es ist Raed Saleh, der den Antisemitismus politisch benutzt. So erklärt er Gegner des Antisemitismus als „Reaktionäre und Neonazis“. Reaktionäre und Neonazis sind übrigens diejenigen, „die sich angeblich auf eine christlich-jüdische Tradition unseres Landes berufen“. Dass Deutschland christlich-jüdisch geprägt ist, ist allerdings ein Factum, das Raed Saleh völlig entgangen ist oder, das er nicht wahrhaben will, weil es seiner Vision für die Entwicklung unseres Landes im Wege steht.

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Doch all jene, die den Antisemitismus ablehnen und die Deutschlands christlich-jüdische Prägung anerkennen, zu Reaktionäre und Neonazis zu erklären, ist eine Entgleisung, die zeigt, dass dem Vorsitzenden der SPD Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin für eine politische Funktion die Vorrausetzungen fehlen. Es ist falsch, den muslimische Antisemitismus, den man genauso zu bekämpfen hat wie den faschistischen und übrigens auch den linken Antisemitismus, der bei Raed Saleh bezeichnenderweise vollkommen fehlt,  als rein deutsches Phänomen zu sehen. Das belegt die Tatsache, dass dieser Antisemitismus auch in Frankreich massiv operiert. Die scheußlichen Morde an Juden im Nachbarstaat zeichnen das Bild einer bedrückenden Wahrheit, der sich der SPD-Mann nicht stellen will.

Es ist intellektuell unaufrichtig, wenn man selbst die These aufstellt, „dass unter den geflüchteten Neuankömmlingen anteilig noch mehr Antisemiten sind, als es sie in der bereits ansässigen Bevölkerung gibt“, sie aber sogleich den „deutschen Schreibstuben“ – was immer das auch sein soll – und den „deutschen Stammtischen“ unterschiebt, um dann auch noch zu behaupten, dass es nicht „die entscheidende Frage ist“. Natürlich ist es eine „entscheidende Frage“, wie viel gewaltbereiter Antisemitismus von Migranten aus dem muslimischen Kulturkreis ausgeht, wenn er sich in der Gesellschaft signifikant abzeichnet. Ist die Frage nach den Gründen für den bestialischen Mord an der Pariser Jüdin etwa nicht entscheidend?

Wenn die Anspielung auf die „deutschen Schreibstuben“ auf Intellektuelle gemünzt sein sollte, dann kommt darin ein Intellektuellenhass zum Ausdruck, den wir bisher nur aus beiden deutschen Diktaturen kennen.

Kritiker am Islamismus, jene, die vor einem muslimischen Antisemitismus warnen, werden von Raed Saleh stattdessen in die rechte Ecke gestellt, eingeordnet bei AfD und Pegida. Salehs plumpe Drohgebärde und der dreiste Versuch der Einschüchterung ist eines Demokraten nicht würdig. Ein Demokrat argumentiert in der Sache und stellt nicht die Gesinnungsfrage. Dagegen formuliert Michael Wolfssohn unmissverständlich im bereits zitierten Interview: „Der gewalttätige Antisemitismus kommt heute nicht von rechts, auch wenn die irreführenden Statistiken etwas anderes sagen.“

Der Berliner Fraktionsvorsitzende der SPD behauptet verschwörungstheoretisch: „Die Islamhasser von heute sind die Antisemiten von morgen.“ An dieser Stelle verharmlost Saleh den Antisemitismus, weil er dessen menschenverachtende Grundannahme verwässert. Denn Antisemitismus ist nicht mit Antijudaismus gleichzusetzen. Antijudaismus ist das Pendant zum Islamhass, nicht Antisemitismus, der nicht nach der Religion fragt, sondern den Genozid will.

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Der Islamhasser verabscheut – wie der Christenhasser die christliche – die muslimische Religion. Antisemitismus ist Rassismus, eine Religion ob Christentum Judentum oder Islam abzulehnen, ist kein Rassismus – und wird daher von der Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit gedeckt. Es existiert in einem demokratischen Rechtsstaat keine Pflicht, Religionen zu lieben. Hinzu kommt, dass nach deutschem Recht die Religionszugehörigkeit freiwillig ist. Nach der Scharia allerdings nicht. Vielleicht resultiert auch daraus Salehs Irrtum, denn die Scharia unterscheidet nicht zwischen Religion, Staat und Gesellschaft, für sie existiert nur die Umma, die muslimische Gemeinschaft, für die einzig und allein die Scharia gilt. Aus der Perspektive der Scharia ließe sich in einer gewissen Interpretation womöglich Islamhass und Antisemitismus gleichsetzen, weil zwischen Religion und Staat nicht unterschieden wird. Aber man sollte sich davor hüten, aufgrund aktuell-politischer Debatten die Dimension des Holocausts aus dem Blick zu verlieren.

Das Verbrecherische und strafrechtlich zu Verfolgende am Antisemitismus besteht darin, dass er auf dem Rassismus, auf der Fokussierung der Zugehörigkeit zu einem Volk beruht, dessen Angehörige man unabhängig von der Religionszugehörigkeit jegliches Lebensrecht abspricht. Die Verfolgung des jüdischen Volkes, der Versuch der Vernichtung aller jüdischer Menschen ist ein so schreckliches, wie singuläres Verbrechen, an das stets erinnert werden muss. Und nicht nur dies, jeglicher Antisemitismus, jegliche Relativierung und Verharmlosung haben zu unterbleiben und sind strafrechtlich zu verfolgen, ganz gleich von welcher Seite sie kommen.

Raed Saleh kann unmöglich die Ablehnung einer Religion mit dem Antisemitismus gleichsetzen, schon gar nicht, wenn er, wie er behauptet, in Auschwitz war. Denn in Auschwitz wurden Juden ermordet, ganz gleich, ob sie jüdischen oder christlichen Glaubens oder Atheisten waren, vollkommen ohne Ansehen, ob sie deutschnational eingestellt und hochdekoriert aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrten, sie wurden ermordet, weil sie nach willkürlichen Regeln, die dem Rassismus und dem Sozialbiologismus entsprangen, aufgrund der Abstammung zu Juden erklärt wurden.

Als einer der Konsequenzen aus diesen Verbrechen hat Deutschland das Eintreten für die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. Steht Saleh dazu? Versucht er nicht gerade, jede Kritik an der ungesteuerten Einwanderungspolitik und an einem konservativen und mit dem Grundgesetz unvereinbaren Islam, der die Scharia über das Grundgesetz stellt, – oder sogar Islamismus – dadurch mundtot zu machen, dass er sie zur Vorstufe des Antisemitismus erklärt?

Doch all das hat Methode, denn Raed Saleh scheint langfristig ein anderes Ziel zu verfolgen. In seinem Essay fordert er: „Wir brauchen eine neue gemeinsame Erzählung für unser Land.“ Brauchen wir diese? Besitzen wir nicht eine ausgesprochene tragfähige, zu der die besondere Verantwortung für die Existenz Israels, die Aufklärung, die deutsche Klassik, die Religionsfreiheit und der Rechtsstaat und natürlich auch die jüdisch-christliche Prägung gehören? Ist diese Erzählung nicht eine gemeinsame, wenn sich alle zu ihr bekennen? Das Bekenntnis zu dieser Erzählung nennt man übrigens Integration.

Wenn eine neue Erzählung benötigt wird, wie soll sie aussehen? Einen Hinweis auf die Antwort auf diese Frage liefert möglicherweise ein Auftritt Raed Salehs vor Studenten der Universität Istanbul am 30. September 2015, zu einem Zeitpunkt als die Migrationskrise Fahrt aufnahm und die Grenzen unwiderruflich für alle geöffnet wurden. Von Studenten nach seiner Vision für Deutschland gefragt, antwortete er, dass er sich wünsche, dass in anderthalb Jahrzehnten „die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Hariye Bayar, eine gläubige Muslima“ sein würde. Ginge diese Vision, für die der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende kämpft, in Erfüllung, stünden auf Islamhass schwere Strafen. Denkt man an Salman Rushdie, vielleicht sogar die Todesstrafe. Schließlich hätte eine gläubige Muslima sich einer Fatwa zu beugen. Und wie sähe es dann mit dem Antisemitismus aus?

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