Tichys Einblick
Parteitag in Wiesbaden

Partei-Mitglied heizt grüner Führungs-Schickeria ein

Der Grüne Mathias Ilka kritisiert auf der Bühne seine Partei. Die Führungs-Riege der Grünen reagiert darauf etwas gereizt – Ministerin Claudia Roth schüttelt wild den Kopf und zeigt mit ihrer Gestik, dass sie Ilka für geistig umnachtet hält. Von Richard Schmitt

Parteitag der Grünen in Wiesbaden, 15.11.2024

picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski

Claudia Roth ist entsetzt: Im aktuell auf den Social-Media-Kanälen kursierenden Video schüttelt die grüne Kultur- und Medien-Ministerin immer wieder den Kopf und zeigt mit der „Scheibenwischer“-Gestik, dass sie den aktuellen Redner auf dem Parteitag in Wiesbaden nicht für geistig gesund hält. Doch das Parteimitglied Mathias Ilka lässt sich nicht bremsen: Er redet Tacheles und erspart seinen Fraktions-Promis nicht die unbequeme Wahrheit – unter anderem die, dass „die Jungen eher von der AfD begeistert sind als von uns“.

Das Video vom Eklat bei dem am Wochenende abgehaltenen 50. Bundesdelegiertentag der Grünen in Wiesbaden wird bereits tausendfach im Web geteilt und kommentiert: Mathias Ilka steht auf der Rednerbühne und legt so richtig gegen die Fraktions-Führung los. Ilka ist nicht irgendwer bei der Öko-Fraktion: Im Januar 2022 trat er bei der Wahl zum Bundesvorsitz an, unterlag allerdings Ricarda Lang und Omid Nouripour.

— Thorsten Weiß, MdA (@WeissAfD) November 17, 2024

Die grüne Parteiprominenz wird von der Heftigkeit der Vorwürfe offenbar total überrascht. So betont Mathias Ilka: „Dieser Parteitag hat einen gewissen Grad an Beliebigkeit, das alles hätte auch schon 2015 gesagt werden können.“ Und er kritisiert: „Immer diese Lippenbekenntnisse: ,Wir sind für Freiheit‘, ,Wir sind für Gleichberechtigung‘. Es fehlt mir hier etwas das Selbstkritische. Die Grünen der 70er-, der 80-er und 90er-Jahre würden uns als politischen Gegner sehen.“

Die Führungs-Riege der Grünen reagiert gereizt: Ministerin Claudia Roth schüttelt wild den Kopf und zeigt mit ihrer Gestik, dass sie Ilka für geistig umnachtet hält. Das einfache Parteimitglied lässt sich aber nicht stoppen: „20 Prozent der 9- bis 14-Jährigen wissen gar nichts vom Klimawandel. Wir haben eine ganze Generation verpasst. Dementsprechend waren die Jungen auch eher von der AfD und anderen Gruppierungen begeistert als von uns.“ Auch Robert Habeck wird kritisiert: „Robert stellt sich wieder als Kanzler auf. Mit was für einem Grund? Er wird immer mit dem Scheitern der Ampel in Verbindung gebracht werden.“

In ihrem Ärger über die Worte des Parteikollegen umarmt dann Claudia Roth die nach Wiesbaden angereiste Sigrid Maurer, die Klubobfrau der österreichischen Grünen. Und das Video zeigt dann nochmals wie die grüne Ex-Parteivorsitzende den Kopf schüttelt – und wie neben ihr Außenministerin Annalena Baerbock lächelnd einen Snack in den Mund stopft. Wer noch eines Beweises bedurft hätte, wie blasiert und abgehoben sich führende Politiker nicht nur gegenüber der Bevölkerung aufführen, sondern sogar gegenüber politischen Mitstreitern agieren, wenn diese ein Rest an Realitätssinn zur Selbstkritik anhält, der wurde hier vollumfänglich fündig. Selbst konstruktive Kritik wird mit demonstrativem Weghören und arrogantem Gebaren quittiert: Das ist nicht nur politisch dumm. Mangelnde Kritikfähigkeit ist auch ein Zeichen mangelnder menschlicher und charakterlicher Reife. Kein Qualitätsmerkmal für führende Politiker.

Richard Schmitt, Journalist, Wien

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