Tichys Einblick
Dienstpflicht

Was für die Wiedereinführung der Wehrpflicht spricht

Zu den vielen Fehlern der Merkel-Jahre gehörte die Aussetzung der Wehrpflicht. Nicht nur angesichts des russischen Angriffskrieges spricht einiges für ihre Wiedereinführung.

Gelöbnis von Bundeswehrrekruten vor der Villa Hammerschmidt in Bonn am 12.11.2021.

IMAGO / Future Image

Die Geschichte der Wehrpflicht in der Bundesrepublik ist eine Geschichte eines permanenten Auf und Ab. Nun scheint sich dies fortzusetzen. Wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird diskutiert, ob Deutschland rund elf Jahre nach deren Aussetzung wieder eine Wehrpflicht haben soll. Ausgesetzt war sie 2011 worden. Maßgebliche Kräfte für diese Entscheidung waren neben dem damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg die FDP, aber auch die Unionsvorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer.

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Aktuelle Äußerungen für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht vernehmen wir nun von CDU-Vize Carsten Linnemann, einzelnen CDU-Landesverbänden, einzelnen SPD-Politikern sowie von dem renommierten Zeithistoriker und Publizisten Michael Wolffsohn. Man knüpft an die Vorschläge einer Kurzzeitverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer an, die eine allgemeine Dienstpflicht ins Gespräch gebracht, aber nicht zu einer breiten Diskussion geführt hatte. Ablehnend oder wenigstens skeptisch äußern sich so ziemlich alle Vertreter der „Ampel“-Parteien, die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD), Verteidigungspolitiker der Union wie Robert Kiesewetter (CDU) und Florian Hahn (CSU) sowie interessanterweise der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Eberhard Zorn.

Gewiss ist die Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht oder gar die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ein riesiger Brocken. Rechtliche Aspekte gilt es zu berücksichtigen, ferner die neue Bedrohungslage in Europa, ebenso die Frage nach dem Rückhalt der Bevölkerung und nach dem zukünftigen Personalbedarf der Bundeswehr.

Ein wenig Geschichte

Die Wehrpflicht wurde auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands erstmals 1813/14 im Rahmen der Befreiungskriege eingeführt. Mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919 wurde sie abgeschafft. Dennoch führte Hitler 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder ein. Die Bundesrepublik tat sich in der Gründungsphase nicht leicht mit der Gründung der Bundeswehr und nicht leicht mit der Einführung einer Wehrplicht. Die SPD hatte die Idee einer Freiwilligenarmee verfolgt. 

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1956 schließlich wurde eine Wehrpflicht möglich, gekoppelt mit der Möglichkeit, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Frauen durften nicht zu einer Dienstleistung in den Streitkräften verpflichtet werden. Im Jahr 1968 kam als Regelung hinzu: Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen durch Gesetz zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten. Letztere Regelung wurde 2000 im Grundgesetz modifiziert: Frauen dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden. Das heißt: Freiwillig dürfen sie Dienst an der Waffe tun.

Die Wehrpflicht war außer aus sicherheitspolitischen Gründen gedacht als Instrument der Integration der Streitmacht in den demokratischen Rechtsstaat. Man beließ es zunächst bei 12 Monaten. Interessant dabei: Die NATO-Bündnispartner hatten einen 18-monatigen Wehrdienst gefordert. Der Weg bis zur angestrebten Armeestärke von 500.000 verlängerte sich damit erheblich. Seither ist die Dauer des Wehrdienstes auch mehrfach geändert worden, bis der Grundwehrdienst 2011 ausgesetzt wurde.

Grundwehrdienst in der Bundesrepublik in Monaten

12 Monate zwischen April 1957 und März 1962

15 Monate zwischen April 1962 und Juni 1962

18 Monate zwischen Juli 1962 und Dezember 1972

15 Monate zwischen Januar 1973 und September 1990

12 Monate zwischen Oktober 1990 und Dezember 1995

10 Monate zwischen Januar 1996 und Dezember 2001

9 Monate zwischen Januar 2002 und Juni 2010

6 Monate zwischen Juli 2010 und Juni 2011 

In der 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR gab es zunächst nur Freiwillige. Wegen zu geringer Meldungen wurde nach dem Mauerbau 1961 eine allgemeine Wehrpflicht mit 18 Monaten Dauer eingeführt.

Und in anderen Ländern Europas? Die meisten Staaten Europas haben eine Berufs- bzw. Freiwilligenarmee. Eine Wehrpflicht gibt es – bei unterschiedlicher Dauer – noch in Estland, Finnland, Griechenland, Moldawien, Russland, Weißrussland, der Ukraine und auf Zypern. Interessant ist, dass das als besonders pazifistisch geltende Schweden vor rund zehn Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt und jetzt wieder eingeführt hat, ja gar eine Debatte über einen Beitritt zur NATO diskutiert.

Vorzüge einer neuen Wehrpflicht

Klar, die Bundeswehr braucht in Zeiten neuer Kriegsformen (zum Beispiel Cyber-Angriffe) hochspezialisiertes Personal. Allein mit einer neuen Wehrpflicht ist dieses nicht gewonnen. Entsprechend qualifizierte Menschen müssen mit attraktiven Angeboten aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt in die Truppe geholt werden.

Klar ist aber auch, dass die Bundeswehr einen Mangel an Aspiranten hat: Rund 20.000 Dienstposten sind jetzt schon nicht besetzt. Außerdem soll die Bundeswehr bis 2025 von 183.000 auf 203.000 Mann anwachsen. Woher diese rund 40.000 Leute kommen sollen, ist völlig offen.

Eine neue Wehrpflicht (mit oder ohne allgemeine Dienstpflicht) hätte aber auch eine Reihe von Vorzügen:

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