Die Geschichte der Wehrpflicht in der Bundesrepublik ist eine Geschichte eines permanenten Auf und Ab. Nun scheint sich dies fortzusetzen. Wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird diskutiert, ob Deutschland rund elf Jahre nach deren Aussetzung wieder eine Wehrpflicht haben soll. Ausgesetzt war sie 2011 worden. Maßgebliche Kräfte für diese Entscheidung waren neben dem damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg die FDP, aber auch die Unionsvorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer.
Gewiss ist die Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht oder gar die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ein riesiger Brocken. Rechtliche Aspekte gilt es zu berücksichtigen, ferner die neue Bedrohungslage in Europa, ebenso die Frage nach dem Rückhalt der Bevölkerung und nach dem zukünftigen Personalbedarf der Bundeswehr.
Ein wenig Geschichte
Die Wehrpflicht wurde auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands erstmals 1813/14 im Rahmen der Befreiungskriege eingeführt. Mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919 wurde sie abgeschafft. Dennoch führte Hitler 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder ein. Die Bundesrepublik tat sich in der Gründungsphase nicht leicht mit der Gründung der Bundeswehr und nicht leicht mit der Einführung einer Wehrplicht. Die SPD hatte die Idee einer Freiwilligenarmee verfolgt.
Die Wehrpflicht war außer aus sicherheitspolitischen Gründen gedacht als Instrument der Integration der Streitmacht in den demokratischen Rechtsstaat. Man beließ es zunächst bei 12 Monaten. Interessant dabei: Die NATO-Bündnispartner hatten einen 18-monatigen Wehrdienst gefordert. Der Weg bis zur angestrebten Armeestärke von 500.000 verlängerte sich damit erheblich. Seither ist die Dauer des Wehrdienstes auch mehrfach geändert worden, bis der Grundwehrdienst 2011 ausgesetzt wurde.
Grundwehrdienst in der Bundesrepublik in Monaten
12 Monate zwischen April 1957 und März 1962 15 Monate zwischen April 1962 und Juni 1962 18 Monate zwischen Juli 1962 und Dezember 1972 15 Monate zwischen Januar 1973 und September 1990 12 Monate zwischen Oktober 1990 und Dezember 1995 10 Monate zwischen Januar 1996 und Dezember 2001 9 Monate zwischen Januar 2002 und Juni 2010 6 Monate zwischen Juli 2010 und Juni 2011 |
In der 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR gab es zunächst nur Freiwillige. Wegen zu geringer Meldungen wurde nach dem Mauerbau 1961 eine allgemeine Wehrpflicht mit 18 Monaten Dauer eingeführt.
Und in anderen Ländern Europas? Die meisten Staaten Europas haben eine Berufs- bzw. Freiwilligenarmee. Eine Wehrpflicht gibt es – bei unterschiedlicher Dauer – noch in Estland, Finnland, Griechenland, Moldawien, Russland, Weißrussland, der Ukraine und auf Zypern. Interessant ist, dass das als besonders pazifistisch geltende Schweden vor rund zehn Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt und jetzt wieder eingeführt hat, ja gar eine Debatte über einen Beitritt zur NATO diskutiert.
Vorzüge einer neuen Wehrpflicht
Klar, die Bundeswehr braucht in Zeiten neuer Kriegsformen (zum Beispiel Cyber-Angriffe) hochspezialisiertes Personal. Allein mit einer neuen Wehrpflicht ist dieses nicht gewonnen. Entsprechend qualifizierte Menschen müssen mit attraktiven Angeboten aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt in die Truppe geholt werden.
Klar ist aber auch, dass die Bundeswehr einen Mangel an Aspiranten hat: Rund 20.000 Dienstposten sind jetzt schon nicht besetzt. Außerdem soll die Bundeswehr bis 2025 von 183.000 auf 203.000 Mann anwachsen. Woher diese rund 40.000 Leute kommen sollen, ist völlig offen.
Eine neue Wehrpflicht (mit oder ohne allgemeine Dienstpflicht) hätte aber auch eine Reihe von Vorzügen:
- Erstens wird damit wieder spürbarer, dass wir eben nicht in einem ewigen Frieden angekommen sind, wie man das komfortabel nach 1990 meinte.
- Zweitens wird mit einer neuen Wehrpflicht die Bundeswehr wieder sichtbarer bis hinein in die Familien.
- Drittens wird die Bundeswehr damit wieder stärker in die Gesellschaft integriert; sie muss kein Staat im Staate werden.
- Viertens stellen Wehrpflichtige einen potenziellen Bewerber-Pool für Längerdienende dar; die Personalrekrutierung der Bundeswehr wird leichter.
- Und fünftens: Eine Wehr- oder noch besser eine allgemeine Dienstpflicht macht jungen Leuten klar, dass man für ein Gemeinwesen, von dem man so viel empfängt, auch die Investition von etwa zwölf Monaten Lebenszeit wert ist.