Schade, dass dieser Tage „der Kampf für das Gute“ so eine mächtige Anziehungskraft besitzt und wie dumm, dass wieder einmal das gemeine Volk nicht so spurt, wie das den Regierenden vorschwebt. Auf dem ständig unterversorgten Markt für Spenderorgane herrscht Besorgnis, denn die Spendenbereitschaft befinde sich auf einem „historischen Tiefstand“ wie der Bayerische Rundfunk Anfang des Jahres berichtete:
Zieht nicht: Schlechtes Gewissen einreden, andere als leuchtendes Beispiel darstellen.
Die Deutschen „profitierten von der Spendenbereitschaft im Ausland“ denn „im vergangenen Jahr seien acht Prozent weniger deutschen Spendern (769) als im Jahr 2016 entnommen, und daher mehr Organe im- als exportiert worden.“
Und das, obwohl das bayerische Gesundheitsministerium doch erst im März 2018 die erfolgreiche Internet-Kampagne „Keine Ausreden. Entscheide Dich jetzt!“ neu aufgelegt habe. Was ist das nur für eine Formulierung: man stelle sich vor, ein Ministerium fordere in der gleichen Eindringlichkeit zur Nutzung der Öffentlichen Verkehrsmittel oder zum Verzicht auf tierisches Eiweiss auf. Nur die Überzeugung, dass man hier für ein hehres Ziel arbeite, kann den Ton irgendwie entschuldigen.
Für die gute Sache kann man schon mal ein Auge zudrücken
Ginge es um einen am Telefon abgeschlossenen Vertrag, um unerlaubte Werbung oder die Rechte des Konsumenten, wären Verbraucherschützer, Ratgeber und Politiker aller coulör dem Bürger zur Seite geeilt. Hier z.B. berichtet der Stern zum Thema ungewollte Handyverträge.
Wäre nun der Bundesgesundheitsminister, wie hier geschildert „… ein freundlicher Callcenter-Mitarbeiter, der einen dazu überrede, den neuen Tarif auszuprobieren … und man erst hinterher merke, dass man den Vertrag gar nicht brauchen könne, oder er doch nicht so günstig ist …“, hätte man immer noch ein Rücktrittsrecht. Selbst wenn man am Telefon „ja“ gesagt haben sollte, konnte man, was die Verbraucherzentralen 2017 noch stolz als Erfolg verbuchten, von dem Vertrag zurücktreten.
Diese Entscheidung soll dem Bürger, der wieder einmal nicht das macht, was ihm von interessierter Seite eingegeben wird, nun ein für allemal abgenommen werden. Denn auch auf 100 Mio Euro teure Kampagnen pro Organspende (hier berichtet der Spiegel) und überzeugende Vorbilder (Bundespräsident Steinmeier) ist offenbar kein Verlass. Obwohl die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) seit Jahren über Organ- und Gewebespenden informiert. Die seit 2010 bestehende Aufklärungskampagne „Organpate werden“ wurde Anfang 2016 überarbeitet. Der neue Kampagnentitel lautet: „Organspende – Die Entscheidung zählt!“ Sie war bundesweit und zielgruppenspezifisch mit Motiven auf Anzeigen, Plakaten und Online-Bannern geschaltet. Alles erfolglos. Nun nimmt also der junge Bundesgesundheitsminister mit seinem Vorschlag den Spendern die Entscheidung ab: Wer sich nicht dazu aufrafft, ausdrücklich zu widersprechen, auf den würde im Falle eines für eine Spende günstigen Moments die Wahl fallen.
Die Bürger sind mündiger, informierter und selbständiger, als es der Politik lieb ist
Obwohl die Zahl der Menschen mit Organspende-Ausweis im Vergleich zu 2012 deutlich gestiegen sei, nehme die Spendenbereitschaft ab. Gut 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan. „Damit bleibe die Zahl der Wartenden seit Jahren etwa gleich hoch. Anders die Zahl der Spender: Gab es vor 2012 jeweils deutlich über 1.000 Organspender, sind es seit dem Jahr 2013 jährlich nur etwa 870.“ So das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite.
Im November 2016 ist das Gesetz zum Aufbau eines Transplantationsregisters in Kraft getreten. In ihm würden erstmals alle relevanten Daten zu Organspenden zusammengeführt: Spender-, Empfänger-, Vermittlungs- und Qualitätssicherungsdaten. Natürlich diene das Register „nur der Patientensicherheit. Es bringe mehr Transparenz und erweitere das Wissen um Transplantationen“, so die ministerielle Auskunft. Diesen Beteuerungen, dass es ja nur um die Sicherheit des Patieten gehe, scheinen die Deutschen aber immer weniger Glauben zu schenken. Sie sehen, um welche Summen es beim Geschäft mit den Organen geht, und misstrauen dem Braten instinktiv.
Klingt wohlbekannt – Minister Spahn über den besorgten Bürger: „Den Ängsten und Sorgen begegne man am besten, indem man darüber diskutiere.“
Der Grund für das Misstrauen der Deutschen beim Thema Organspende dürfte nicht allein auf die Verstöße einzelner Transplantationszentren bei der Organverteilung zurückzuführen sein. Auch diese Vorfälle nahm das Bundesgesundheitsministerium zum Anlass, die sogenannten Transplantationsbeauftragten in den Entnahmekrankenhäusern, die potentielle Spender erkennen und notwendige Schritte einleiten sollen, im Jahr 2015 mit 6,5 Millionen Euro und im Jahr 2016 mit sechs Millionen Euro zu fördern.
Unter dem süffisanten Titel „Warum die Deutschen kein Herz hätten“ veröffentlichte der Tagespiegel Mitte August 2018 einen nachdenklichen Artikel zu dem Thema.
Ein Blick auf andere Länder, so der Tagespiegel weiter, könne diese Erwartung jedoch „nicht bestätigen. Während in einigen Ländern die Spenderrate unter der Widerspruchslösung anstieg (zum Beispiel in Belgien), veränderte sich die Rate in anderen Ländern nicht (in Schweden und Singapur) oder sank sogar (in Brasilien, Dänemark, Lettland).“
Und in überraschend offener Weise kritisiert die Zeitung die „moralische Überhöhung“ der Mahner
„Im Kontext der Organspende kann und dürfe sich Aufklärung nicht allein darauf beschränken, Solidarität, Nächstenliebe, gar die Heldenhaftigkeit des Spenders zu überhöhen; und dürfe nicht ‚die Diskussion zentraler und klassischer Begriffe der abendländischen Ethik wie Leben, Körper, Natürlichkeit, Integrität, Menschenwürde, Autonomie, Person(-alität) und Pietät außer Acht lassen zugunsten einer »Aufklärung«, die letztlich einseitig altruistisch argumentiert und dabei simplistisch auf den allein biologisch verstandenen Tod rekurriert.’“ Und weiter: „In einer Zeit, in der Sterben und Tod wie nie zuvor manipulierbar geworden seien und viele Menschen den Möglichkeiten und der Macht der Medizin mit Skepsis oder Misstrauen begegneten, sei eine solche Verkürzung unangemessen, weil sie existenzielle Fragen, Ängste und Zweifel unberücksichtigt lasse.“ Davon, „… sensibel, offen und redlich geführt zu werden, seien die institutionellen Aufklärungskampagnen weit entfernt.“
Die Aufklärer setzen sich dem Verdacht aus, dass ihnen nicht die 10.000 Menschen, die ein neues Organ benötigen, am Herzen liegen, sondern sie sich (Tagesspiegel) „eher als Träger einer Mission denn als Bereitsteller von Information verstünden.“ „Der Entschluss zur Organspende wird dem Bürger als moralisch höherwertig, wenn nicht gar als moralische Pflicht vermittelt. Damit gerät jeder potenzielle Organspender unter Druck. Eine freie und wohl erwogene Entscheidung wird konterkariert. Bei manch Unschlüssigem wird eher das Gegenteil des Gewünschten erreicht. Auch der Ablehnung einer Organspende oder die Nichtäußerung kann eine wohlerwogene Entscheidung sein. Niemandem steht es zu, dies moralisch zu bewerten.“
„Dass die Bevölkerung für diese Zusammenhänge ein Gespür hat und deshalb mit Widerständen reagiere, hält Weymar Lübbe, ehemaliges Mitglied des Deutschen Ethikrates, für hoch wahrscheinlich …“
Würde es überraschen, dieser Tage zu lesen, dass man sich speziell in Sachsen der Organspende verweigert?