Eine Postwurfsendung an alle Haushalte der Hauptstadt hat Berlins Nichtregierender Bürgermeister schicken lassen. Es ist ein Dokument der Heuchelei. Deshalb hier: ein Offener Brief als Antwort. Lieber Michael Müller, …
… in den vergangenen Monaten waren Sie es, der mit einer Mischung aus Strategieverweigerung und Amtsanmaßung zu der ökonomisch und sozial furchtbaren Lage, in der wir uns gerade befinden, maßgeblich beigetragen hat.
Strategieverweigerung deshalb, weil Sie sich – zusammen mit der Bundeskanzlerin und den anderen Ministerpräsidenten – bis heute weigern, das Ziel der Pandemiebekämpfung klar zu benennen. Prof. Klaus Stöhr, einer der führenden Epidemiologen weltweit, hat das auf den Punkt gebracht:
„Was wollen wir? Wollen wir die gesundheitlichen und die ökonomischen Schäden durch das Virus so gering wie möglich halten? Oder wollen wir um jeden Preis alle Neuinfektionen verhindern? Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.“
Sie sprechen davon, „die Infektionszahlen bis Ende November zumindest zu stabilisieren“. Bei allem Respekt: Das ist Augenwischerei. Was passiert dann? Das sagen Sie nicht, und das ist politische Feigheit. Sie sprechen von Eigenverantwortung der Bürger, aber Sie trauen denselben Bürgern nicht zu, mit der Wahrheit umgehen zu können.
Die Wahrheit ist: Zu dieser (wie zu jeder) Pandemie gehören Neuinfektionen, schwere Krankheitsverläufe – und ja, auch Tote.
Die Wahrheit ist: Es ist Winter, und das bedeutet, dass auch Ende November und trotz des jetzigen „Lockdown light“ (an dem für Millionen Betroffene gar nichts „light“ ist) die Infektionszahlen weiter steigen werden.
Die Wahrheit ist: Wir können nur versuchen, jene Todesfälle und schweren Krankheitsverläufe zu vermeiden, die durch überfüllte Krankenhäuser entstehen würden.
Das ist das Äußerste, was wir erreichen können. Alle ernstzunehmenden Experten wissen das. (Hinweis: Ihr SPD-Kollege Lauterbach gehört nicht in diese Kategorie.)
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Um das zu erreichen, muss man weder die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sturmreif schießen noch das gesellschaftliche Leben des zweitgrößten Staates in Europa auf nahe Null frieren. Schon gar nicht muss man die Staatsgläubigkeit der Deutschen so missbrauchen, wie Sie das gerade tun, und aus einer recht gut funktionierenden Demokratie schrittweise ein semi-autoritäres Bürokraten-Spaßbad machen.
Das ist die Amtsanmaßung, und sie hat zwei Gesichter.
Das erste Gesicht Ihrer Amtsanmaßung ist politische Hochstapelei: Sie tun so, als könnten Sie in Ihrem Amt sowie mit Ihrer Verwaltung etwas leisten, wozu weder Sie noch Ihre Verwaltung in der Lage sind.
Beispiel 1: Die Corona-App funktioniert im von Ihnen nur theoretisch regierten Berlin nicht – weil Berlin die digitale Verbindung zwischen der App sowie den Gesundheitsämtern und Laboren via QR-Code nicht hinbekommt. Folge: Auch wer die App hat, kann mit ihr gar keinen positiven Corona-Test melden, um andere zu warnen. Stattdessen muss man eine Hotline anrufen.
So geht Digitalisierung à la Müller.
Beispiel 2: Die auch von Ihnen beklagte Überlastung der Gesundheitsämter ist absolut selbstverschuldet. Die Ämter haben nicht genug Kapazitäten, weil sie sich um eine lückenlose Kontaktverfolgung bemühen müssen – eine immense politische Fehlentscheidung. Dazu nochmal Prof. Stöhr:
„Die lückenlose Nachverfolgung war ja an sich ein Versagen mit Ansage. Warum müssen Leute vom Gesundheitsamt die positiv Getesteten anrufen und sich aufzählen lassen, wen sie wann getroffen haben? Warum kann man infizierten Menschen nicht die Verantwortung in die Hand geben, dass sie selber ihre Freunde, Arbeitskollegen und Familienmitglieder informieren und schützen? Eine 80-Jährige im Heim kann das nicht leisten, aber alle anderen, die doch sowieso meist von zu Hause arbeiten, dürften kein Problem damit haben.“
Das andere Gesicht Ihrer Amtsanmaßung ist politische Übergriffigkeit.
Sie greifen in seit Gründung der Bundesrepublik einzigartiger Weise in die Grundrechte und selbstverständlichen Freiheiten der Bürger ein – und zwar bewusst und systematisch an den gewählten Volksvertretern vorbei. Damit höhlen Sie die parlamentarische Idee nachhaltiger aus, als es politische Sekten oder Extremisten oder Spinner jemals schaffen könnten.
Das Grundgesetz sieht einen Gesprächskreis der Regierungschefs der Länder und der Bundeskanzlerin als Entscheidungsgremium nicht vor. Auch der Umstand, dass Sie derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sind, macht aus dieser netten Runde kein Verfassungsorgan.
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„Der November ist der Monat der Eigenverantwortung.“
(Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin)
Doch am schlimmsten ist die Heuchelei.
Sie fordern wortreich zum Verzicht auf – aber Sie verschweigen, dass Ihre nicht anders als kopflos zu bezeichnende angebliche „Politik“ Hunderttausende buchstäblich in den Ruin treibt.
Sie fordern gebetsmühlenhaft Solidarität – aber niemand in Ihrer eigenen Landesregierung ist auch nur ansatzweise solidarisch genug, um vielleicht selbst für ein paar Monate auch nur auf zehn Prozent der höchst üppigen Senatoren- oder Staatssekretärseinkünfte zu verzichten.
Sie selbst verdienen knapp 200.000.- € im Jahr. Darauf zahlen Sie zwar Steuern, aber weder Beiträge zur Arbeitslosen- noch zur Rentenversicherung. Vor diesem Hintergrund rufen Sie Kellnerinnen in von Ihrem Senat verschuldeter Kurzarbeit mit 600.- € netto im Monat zu Solidarität auf.
Das ist, mit Verlaub, obszön.
Sie kommen auch nicht auf die Idee, von Ihrem personell absurd überausgestatteten Staatsapparat eine Solidaritätsabgabe zu fordern – denn sie wollen Ihre Kernklientel nicht verärgern: Diejenigen, die vom Steuergeld anderer Leute finanziert werden, sind für Ihre rot-dunkelrot-grüne Koalition die wichtigste Wählergruppe. Berlin hat (nach Einwohnern) ein Viertel mehr Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst als Bayern. Und die Steuerzahler im Freistaat dürfen über den Länderfinanzausgleich diese Berliner Verwaltungsverfettung auch noch maßgeblich selbst bezahlen.
Das nennt man dann wohl dreist.
Sie tun das, was die SPD, die SED/PDS/Linke und die Grünen eigentlich immer tun: Sie halten Ihre eigenen Schäfchen im Trockenen, blasen Worthülsen in die Welt und greifen anderen Menschen in die Tasche.
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Die Pressestelle Ihrer Senatskanzlei arbeitet derzeit noch langsamer als sonst – wie alle Berliner Behörden: Nachweislich hat es zuletzt bis zu drei Monate (!) gedauert, um in der Bundeshauptstadt der Inkompetenz ein Auto zuzulassen. In Bayern beklagen sich derweil die Autohäuser, dass sich die Wartezeit bei Kfz.-Zulassungen wegen Corona dort auf drei Tage (!!) verlängert (!!!) habe.
Jedenfalls: Auf meine Anfrage, was Ihr Rundbrief den Steuerzahler denn gekostet habe, konnte die Senatspressestelle keine Antwort geben. Oder sie wollte es nicht. Letzteres wäre nach dem Informationsfreiheitsgesetz zwar rechtswidrig – aber hey, dit is‘ Berlin, wa?
Das ist die Stadt, in der die grünextreme Regierungspartei und deren Justizsenator (Ihre Koalitionspartner) eine zweifelhafte Nähe zu arabischen Clans pflegen, während die linksradikale Regierungspartei und deren Bausenator (Ihre anderen Koalitionspartner) gewaltbereite Straftäter der sogenannten „autonomen“ Szene erkennbar als Stammwählerschaft betrachten und deshalb schützend die politische Hand über sogenannte Hausbesetzer halten, die mit Brandsätzen auf Polizisten werfen.
Für die Durchsetzung des Rechts interessiert sich Ihr Senat schon seit sehr, sehr langer Zeit nur dort, wo es Geld bringt: bei Falschparkern und denjenigen, die auf den Hauptverkehrsstraßen versehentlich 40 statt der erlaubten 30 km/h fahren. Und dort, wo es leichtfällt: bei völlig rechtstreuen Bürgern, die friedlich gegen Ihre zurecht umstrittene Corona-Politik demonstrieren und dafür von der Polizei zusammengeknüppelt werden, gebrechliche Rentnerinnen inklusive.
Dort, wo es schwerfällt, schaut Ihr Senat weg: zum Beispiel bei islamistischen Demonstrationen gegen die Meinungsfreiheit (auf denen kein Teilnehmer irgendeine Anti-Corona-Regel einhält). Und auch dort, wo es ideologisch opportun ist, hält sich Ihr Senat angestrengt beide Augen zu: zum Beispiel bei Demonstrationen gegen Rassismus (auf denen, Überraschung, kein Teilnehmer irgendeine Anti-Corona-Regel einhält).
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Wie viel Steuergeld Sie für Ihre als Corona-Rundbrief getarnte Senatswerbung ausgeben, wollen Sie offenbar also nicht enthüllen.
Aber im November, Ihrem „Monat der Eigenverantwortung“, kann das ein mündiger Bürger näherungsweise mithilfe der Preisliste der Deutschen Post auch selbst ausrechnen: Bei den rund 2,2 Millionen Berliner Haushalten kostet so eine Massensendung demnach gut 750.000.- €.
Es ist Ihr zweites derartiges Schreiben in diesem Jahr, das erste verschickten Sie im April. Für die Gesamtkosten könnte man nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft 18 Intensivbetten anschaffen und ausstatten. Es wäre – im Gegensatz zu Ihrem Brief – gut angelegtes Geld gewesen.
Mit freundlichem Gruß,
Alexander Fritsch