Tichys Einblick
Grenzwerte der WHO für Übergewicht

Die deutschen Verbraucherschutzminister erweisen sich als Gegner der Freiheit

Der Name Weltgesundheitsorganisation macht einen gewaltigen Eindruck, ist inzwischen allerdings das Synonym für millionenschwere Zahlungen für die Adipositas-Strategie und fachliche Inkompetenz. Von Detlef Brendel

imago images / Fotoarena

Die Verbraucherschutzminister der Länder haben getagt und am 17. Juni in Weimar den Beschluss gefasst, der Auffassung zu sein, dass ein umfassendes Verbot für an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung für Lebensmittel, die nicht dem Nährstoffprofil-Modell des Regionalbüros für Europa der WHO entsprechen, erlassen werden soll. Es ist starker Tobak, den ein Kartell der Unwissenden hier auf den Weg bringt. Die Ministertruppe dokumentiert damit, dass sie die Freiheiten und Rechte der Bürger ignoriert, sich nicht mit ernährungswissenschaftlichen Fakten beschäftigt hat und statt dessen auf die Allianz mit einer zwielichtigen Organisation wie der WHO setzt, die Behauptungen aufstellt und die von Wissenschaftlern wegen ihrer Inkompetenz kritisiert wird.

Das begrüßt der für Ernährung zuständige Bundesminister Cem Özdemir. Er tut sich offenbar schwer damit, nach den Erfahrungen der letzten Monate zu verstehen, dass auch Politiker der Grünen dann erfolgreich sein können und Zuspruch in der Bevölkerung erhalten, wenn sie sich an Fakten und Tatsachen orientieren, um daraus sachliche Strategien zu entwickeln, die den Menschen Nutzen bringen. An ihm sind diese Entwicklungen spurlos vorübergegangen. Wäre Özdemir für Energie und Wirtschaft zuständig, würden wir uns vermutlich schon im Sommer eiskalt duschen.

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So freut sich der grüne Ernährungs-Experte jetzt über eine Aufgabenstellung, für die er vermutlich auch beim Koalitionspartner SPD Unterstützung von zumindest zwei Fachfrauen findet, die wie Rita Hagl-Kehl und Peggy Schierenbeck ihre ideologisch begründeten Vorstellungen zur Erziehung der Bürger bereits öffentlich gemacht haben. Sie propagieren nicht nur Werbeverbote, sondern auch gleich noch Strafsteuern auf unliebsame Produkte.

Wer schützt die Freiheit, zu der auch Medienwerbung und attraktive Verpackungen gehören, vor den Verbraucherschutzstrategen? Es scheint aussichtslos. Ideologisch durchtränkte Paternalisten, die den Bürger nach ihren Vorstellungen erziehen und züchtigen wollen, sind nur schwer durch Fakten, wissenschaftliche Belege und nicht zuletzt durch den gesunden Menschenverstand zu klaren Gedanken zu bringen.

Die ganze Diskussion orientiert sich an den frei erfundenen Grenzwert-Definitionen der WHO für angebliches Übergewicht sowie für Zucker und Salz. Die Gesundheit der Welt, man kann es nicht glauben, ist darauf reduziert. In der Dritten Welt sterben die Kinder an durch Unterernährung bedingten Krankheiten, bei uns hängt gelegentlich ein pummeliges Kind erfolglos am Reck. Der Name Weltgesundheitsorganisation (WHO) macht einen gewaltigen Eindruck, ist inzwischen allerdings das Synonym für millionenschwere Zahlungen für die Adipositas-Strategie und fachliche Inkompetenz. Es ist die Organisation, der Forschungs-Institute und wissenschaftliche Fachmedien weltweit attestieren, dass sie ein gestörtes Verhältnis zur Wissenschaft hat, weil gesicherte Erkenntnisse ignoriert werden und man sich notfalls fragwürdige Studien mit emeritierten Akademikern selbst bastelt. Es ist die Organisation, deren Initiatoren für das seit Jahren zentrale Adipositas-Thema mit Millionen von der Pharmaindustrie nachweislich geschmiert worden sind. Es ist ein Skandal, dass sich Politiker an dieser Organisation orientieren, um die Menschen zu erziehen.

Wenn sie Interesse an Fakten und Wahrheiten hätten, könnten sich auch Minister der Länder und ein traditionell den NGOs verbundener Bundesminister ein realistisches Bild machen. Wollen sie aber nicht. Ideologie schlägt Wissen. Im Ministerium von Özdemir sollte man die EFSA zumindest kennen, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Diese wissenschaftliche Behörde ist der kompetente Ansprechpartner. Ein Anruf hätte genügt. Ende 2021 hat die EFSA in einem Gutachten festgestellt, dass die gesamte wissenschaftliche Literatur keine Erkenntnisse für einen Zuckergrenzwert liefert. Für den teuer eingekauften und willkürlichen Umgang der WHO mit der am Zuckergehalt orientierten Einteilung in angeblich gesunde und ungesunde Lebensmittel, so die klare Position, gibt es keine akademische Grundlage. Eigentlich sollte die EFSA für Politiker in Europa die entscheidende wissenschaftliche Institution sein.

Familienexternen Kinderbetreuung macht offenbar dick

Das Narrativ einer Epidemie von Übergewicht speziell bei Kindern und Jugendlichen sowie die angebliche Notwendigkeit, dass der Staat hier regulierend im Interesse der Gesundheit eingreifen muss, offenbart ein umfangreiches Versagen der Staatsmacht. Familienpolitik nennt man seit Jahrzehnten die Auslagerung der Kindererziehung an Dritte. Die Förderung der familienexternen Kinderbetreuung hat offenbar zu dem Problem geführt, dass Kinder und Jugendliche mehr Pfunde aufweisen, als die für das Thema eingekaufte WHO akzeptieren möchte.

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Früher war das Problem nicht relevant. Zur Erziehung der Eltern gehörte es, die Kinder mit den Regeln für gesunde Ernährung vertraut zu machen, ihnen ausreichend Raum für Aktivitäten und Bewegung zu geben und damit ihre Gesundheit zu fördern. Alle aßen gut, niemand wurde dick. Zudem war auch die WHO noch nicht bestochen worden, die Geschichte von der epidemischen Adipositas zu erfinden. Die Welt war noch in Ordnung und der Staat glaubte an die Mündigkeit seiner Bürger.

Die Familie als privater Ort der Sozialisierung und des Lernens wird heute zunehmend durch den Staat verdrängt. Allerdings wird nicht die Unterwanderung der elterlichen Erziehungshoheit in Frage gestellt, sondern gezielt überlegt, wie der Zugriff des Staates auf das private Leben intensiviert werden kann. Die intendierten Werbeverbote sind ein typisches Beispiel. Marketing in Form von Werbung und attraktiven Produktpräsentationen ist ein durchaus belebender und informierender Bestandteil unserer Gesellschaft.

Politische Aktivisten lassen sich von ihren dirigistischen Initiativen, angeblich die Gesundheit der Bevölkerung schützen zu wollen, weder von der Kumpanei mit einer inkompetenten Organisation wie der WHO abbringen noch von der übereinstimmenden Erkenntnis der Ernährungswissenschaft, dass sich Nahrungsmittel nicht in gesunde und ungesunde einteilen lassen, sondern der Lebensstil und die Ausgewogenheit der Ernährung insgesamt relevant sind.

Die Verfechter einer staatlich gelenkten Präventionspolitik ignorieren, dass der Staat nicht weiß, was der einzelne Mensch für seine individuellen Bedürfnisse braucht. Der Nutri-Score ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie der Staat den offenbar standardisierten Verbraucher durch eine untaugliche Lebensmittelkennzeichnung erziehen will. Der Score soll mit farbigen Buchstaben für den 25-jährigen Marathonläufer die gleichen Ernährungsinformationen bieten wie für einen 80-jährigen Schachspieler oder eine jugendliche Magersüchtige. Deren Bedürfnisse im Hinblick auf eine gesunde, dem Lebensstil angepasste Ernährung sind grundverschieden. Eine gute Ernährung, und exakt hier wäre der Staat mit einer umfassenden Informationspolitik in der Pflicht, liegt in der Eigenverantwortung eines selbstdenkenden Individuums.

Wie sehr Ideologie, Selbstüberschätzung der Kompetenz und paternalistische Machtphantasien die klaren Gedanken vernebeln können, zeigt die Freude, mit der Bundesminister Cem Özdemir die Durchsetzung von Werbeverboten verfolgen möchte, die sich primär an dem Zuckergehalt der beworbenen Produkte orientieren sollen. Die Expertise des Herrn Özdemir im Hinblick auf Ernährungswissenschaft ist vermutlich rudimentär.

Die Zuständigkeit für eine funktionierende Wirtschaftskommunikation, zu der auch das Marketing für Produkte zählt, ist ein völlig neuer Kompetenzbereich. Das Überleben der deutschen Landwirtschaft sollte ihm am Herzen liegen. Zuständig ist sein Ministerium auch für die rund 24.000 deutsche Betriebe, in denen Zuckerrüben angebaut werden. Hier will sich der Minister nun aufmachen, deren natürliche landwirtschaftliche Erzeugnisse zu diskriminieren und deren Absatz zu behindern. Der Mann hat eine eigenwillige Vorstellung von seiner Arbeitsplatzbeschreibung.

Zur Mündigkeit der Menschen gehört nicht nur eine eigenverantwortliche Ernährung, sondern auch der sachgerechte Umgang mit Werbung. Auch das müssen Kinder, nicht zuletzt durch ihre Eltern, durch Schule und durch das Leben in der Realität lernen.

Die Behauptung aufzustellen, dass Werbung dick macht, setzt nicht nur den gesunden Menschenverstand außer Kraft, sondern geht an der Realität vorbei. Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen ist multikausal bedingt. Die Palette der Ursachen reicht von Bewegungsmangel bis zum sozialen Status. Werbeverbote oder künftig nur noch braune Kartons statt attraktive Müsliverpackungen sind nicht die Lösung.

Werbeverbote greifen dagegen in die verfassungsrechtliche Kommunikationsfreiheit der Unternehmen ein. Sie sind sachlich ungeeignet und damit unverhältnismäßig. Sie reduzieren den Wettbewerb, schränken die Wirtschaftskraft von Medien und Kommunikationsunternehmen ein, unterbinden die notwendige Möglichkeit von Kindern und Jugendlichen, einen sachgerechten Umgang mit Werbung zu erlernen. Und nicht zuletzt ignorieren solche paternalistischen Phantasien, dass die Lebensmittelwerbung in Deutschland, speziell für Kinder und Jugendliche, bereits umfassend gesetzlich und durch Selbstverpflichtungen der Wirtschaft reguliert ist.


Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.

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