Tichys Einblick
Bundestagswahlen

Werden wir bald von einem Block aus Union und Grünen regiert?

Forsa-Chef Güllner prognostiziert für die nächste Legislaturperiode eine schwarz-grüne Koalition unter Führung der Union. Tatsächlich sitzt die Union in einer Falle zwischen den Grünen und der AfD, aus der sie sich nicht ohne weiteren Schaden befreien kann.

Ginge es nach dem Wunsch der meisten etablierten Medien, allen voran den öffentlich-rechtlichen, wird Deutschland nach den nächsten Bundestagswahlen von einer schwarz-grünen Koalition regiert. Laut aktuellen Umfragen können sich die parteipolitischen Betreiber und medialen Befürworter eines solchen Bündnisses derzeit große Hoffnungen machen, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht. So liegt die Union laut einer Forsa-Umfrage aktuell bei 27 Prozent, die Grünen bei 22 Prozent, während Emnid die Union bei 28 Prozent und die Grünen bei 20 Prozent verortet. Je nachdem, wie die sonstigen Parteien abschneiden, das heißt wieviele Stimmen aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde durch den Rost des Wahlsystems fallen, könnten diese Ergebnisse, würden sie sich bis zur nächsten Bundestagswahl fortsetzen, zusammen für eine knappe schwarz-grüne Kanzlermehrheit reichen, obwohl die Fünfzig-Prozent-Marke unterschritten wird.

WELT-online titelt deswegen am 1. Dezember „Schwarz-Grün hat die Regierungsmehrheit“ und zitiert Forsa-Chef Manfred Güllner mit der Aussage: „Wenn die Grünen die seit der Bundestagswahl gewonnenen ‚neugrünen‘ Sympathisanten zu sicheren Wählern machen können, entsteht zusammen mit der Union ein neuer politischer Block, der von rechts – mit Ausnahme der rechtsradikalen AfD-Wähler – bis weit in die liberale Mitte Wähler binden und bündeln könnte.“ Seiner Meinung nach sind die „kulturellen Identitäten von Union und Grünen auch größer als zwischen Grünen und Linkspartei“, seien doch die Grünen schon immer „keine Bewegung des Proletariats, sondern eine der in der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft aufbegehrenden Bourgeoisie-Jugend“.

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Lässt man einmal beiseite, dass die Anhänger- und Wählerschaften der vermeintlichen „Arbeiterparteien“ (Die Linke, SPD) sich inzwischen auch zu einem erheblichen Teil aus jenen Bevölkerungsschichten rekrutieren, die die Soziologin Cornelia Koppetsch einem „wohlstandschauvinistischen und kosmopolitisch-neoliberalen Milieu“ zuordnet, dann trifft Güllner mit seinem Hinweis auf einen sich allmählich herausbildenden schwarz-grünen „politischen Block“ eine westdeutsche Entwicklung, dessen Vorreiter bekanntlich das Bundesland Baden-Württemberg ist. Hier wird dieser Block seit einigen Jahren allerdings nicht von der Union, sondern von den Grünen angeführt, die bei der zurückliegenden EU-Wahl ihre Vormachtstellung gegenüber ihrem Juniorpartner CDU weiter ausbauen konnten. Die Anstrengungen der CDU richten sich in Baden-Württemberg deswegen mit Blick auf die nächste Landtagswahl im Jahr 2021 nicht darauf, die Koalition mit den Grünen aufzukündigen, sondern die Rollen von Koch und Kellner darin zu ändern.

Mit einer solchen Aufgabenstellung könnte nach der nächsten Bundestagswahl auch die Union insgesamt konfrontiert sein, sollte sie bis dahin nicht nur in Baden-Württemberg, sondern im Bund aktiv auf eine Koalition mit den Grünen zusteuern. Dies würde nämlich nicht nur den Wechsel mancher Unions-Wähler zum grünen Original, sondern auch den Aderlass der Union Richtung AfD bei all denjenigen Wählern weiter befördern, die die Asyl- und Migrationspolitik, die Umwelt- und Klimapolitik sowie die Europapolitik der Grünen strikt ablehnen. Noch mehr als jetzt schon stünden viele ehemalige Unionswähler nicht nur in den neuen Bundesländern vor der Frage, ob sie sich angesichts einer von der Union bundesweit angestrebten Koalition mit den Grünen der Wahl enthalten oder die AfD wählen sollen. Die neu gewählte AfD-Führung wittert ihre darin liegende Chance und propagiert daher verstärkt ein Zusammengehen mit der Union in den Ländern wie im Bund.

Spätestens seit dem jüngsten Parteitag befürworten eine solche Koalition der „bürgerlichen Mitte“ alle maßgeblichen Strömungen und Funktionäre der AfD. Das führt bei den etablierten Medien erkennbar zu Irritationen, beschworen sie doch für den Parteitag einen Durchmarsch des „Flügels“ um Björn Höcke, der bislang Koalitionen mit der Union mit dem Argument ablehnte, die AfD müsse sich dafür zu sehr verbiegen. Inzwischen plädiert aber selbst Höcke für Koalitionen mit der Union. Die AfD versucht so, all jenen Unions-Wählern, die die von der Parteiführung auf zahlreichen Politikfeldern betriebene grün-linke „Modernisierung“ ablehnen, vor Augen zu führen, dass die Union sich auch anders entscheiden könnte, würde sie die Angebote zu einer Zusammenarbeit seitens der AfD nicht weiter ablehnen. Sie sollen bei den nächsten Wahlen in den Ländern und im Bund einer alternativen Partei ihre Stimme geben, die zusammen mit der Union das Land auf einen konservativen Pfad (zurück-)führen möchte.

Ein für die Union zweischneidiges Angebot, könnte seine Annahme durch weitere ehemalige Unions-Wähler doch dazu führen, dass bei der nächsten Bundestagswahl die Union noch mehr als bislang Stimmen an die AfD verliert und danach nicht eine schwarz-grüne, sondern eine grün-schwarze Koalition, notfalls mit Hilfe eines dritten Partners, das Land regiert. Habeck oder Baerbock würden dann anstelle der Union das Kanzleramt übernehmen. Gleichzeitig ist für konservative Unions-Wähler angesichts des anhaltenden Erstarkens der Grünen eine weitere Schwächung der Union durch die Wahl der AfD (oder der FDP) die einzige Möglichkeit, eine Zweierkoalition von Union und Grünen zu verhindern. In diesem Fall könnte zwar die FDP, eventuell auch die SPD, den Dritten im Bunde für eine schwarz-grüne Regierung spielen; der von der Unions-Führung und der Führung der Grünen gemeinsam mit den etablierten Medien favorisierte schwarz-grüne (oder auch grün-schwarze) Durchmarsch wäre aber gescheitert.

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Die Unions-Führung wird sich angesichts dieser Sachlage überlegen müssen, ob sie weiterhin auf die schwarz-grüne Karte setzt und damit weitere Unions-Wähler zur AfD treibt. Doch auch die von der AfD-Führung ins Spiel gebrachte schwarz-blaue Karte hat für die Union, sollte sie sie überhaupt spielen wollen, nicht weniger Tücken. Sie würde diejenigen Unions-Wähler, die ohnehin den politischen Zielen der Grünen zuneigen, noch mehr dieser Partei zutreiben als dies aus anderen Gründen ohnehin schon geschehen ist. Im Ergebnis wären die Grünen dann unter Umständen genauso stärkste Partei wie im Falle der schwarz-grünen Karte und übernähmen das Kanzleramt mit der Union als Juniorpartner. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat auf dem Parteitag der CDU daher weder die schwarz-grüne und schon gar nicht die schwarz-blaue, sondern die solitäre Unions-Karte gespielt und dafür viel Zuspruch erhalten. Doch auch dies wird bei der kommenden Bundestagswahl der Union nicht wirklich helfen, werden die meisten Wähler im Wahlkampf doch von der Unionsführung wissen wollen, mit welcher Partei/welchen Parteien sie die nächste Koalition anstrebt.

Der bestehende Unvereinbarkeitsbeschluss Richtung AfD spricht hier bislang eine klare Sprache. Die derzeitige Führung der Union will keine Koalition mit der AfD, sondern mit den Grünen. Ob dies bis zum nächsten Bundestagswahlkampf so bleibt, ist aber trotz gegenteiliger Beteuerungen ungewiss. Denn angesichts des Umstands, dass inzwischen auch die CDU nicht nur im Bund keinerlei Aussicht mehr auf eine absolute Mehrheit hat, eine vierte Auflage einer GroKo mit der SPD nach 2005 ausgeschlossen werden kann, und auch die Wiederholung eines schwarz-gelben Regierungsbündnisses fern aller Reichweite ist, verbleiben der Union gemäß derzeitiger Umfragen und ihrer Abgrenzung zur AfD als Koalitionspartner zwar nur noch die Grünen, rein rechnerisch aber auch die AfD. Das wissen die Grünen und werden daher die Union zunehmend unter Druck setzen, sich im Wahlkampf offen für eine Koalition mit ihnen zu positionieren. Das wiederum wird diejenigen Kräfte innerhalb der Union, die gegen die Unvereinbarkeit mit der AfD sind, darin bestärken, den Bann gegenüber dieser Partei aufzuheben.

Der Södersche Solitär-Ansatz läuft überdies ins Leere, wenn auch im Bundestagswahlkampf weiterhin die Devise gilt, dass für die Union nur eine Koalition mit den Grünen in Frage kommt und der vermeintliche politische Solitär sich so in Wahrheit als schwarz lackierter grüner Bündnispartner entpuppt. Habeck und Baerbock agieren da mit ihrer Positionierung der Grünen als für Union wie SPD/Linke offene Bündnispartei strategisch klüger wie auch glaubwürdiger als der bayerische CSU-Vorsitzende, setzen sie doch gegenüber den Wählern nicht nur auf eine, sondern auf (mindestens) zwei Koalitionsoptionen. Diese Offenheit nach rechts und links wäre zwar vorbei, sollte die Unions-Führung ihr Koalitionsverbot Richtung AfD aufheben und damit ihre grundsätzliche Bereitschaft bekunden, ein Regierungsbündnis mit der AfD einzugehen. Sie würde damit aber keine zweite Koalitionsoption hinzugewinnen, sondern nur diejenige mit den Grünen mit derjenigen mit der AfD austauschen. Eine zur Koalition mit der AfD bereite Union käme nun nämlich für die Grünen nicht mehr als Koalitionspartner in Frage. Der von Güllner beschriebene und von ihm wohl auch favorisierte „neue politische Block“ unter Führung der Union wäre Makulatur, die Union anstelle einer Koalition mit den Grünen zu einer Koalition mit der AfD verdammt.

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Die Union sitzt somit in einer durch Merkels „Modernisierung“ der CDU geschaffenen Falle, aus der sie nicht mehr ohne weiteren Schaden entrinnen kann. Wie sich die Partei angesichts der im Jahr 2021 anstehenden Landtagswahlen und des möglicherweise schon früher kommenden Bundestagswahlkampfes auch dreht und wendet, wird sie aller Voraussicht nach sowohl an die Grünen wie die AfD weitere Wähler verlieren. Es ist deswegen höchst wahrscheinlich, dass nach den nächsten Bundestagswahlen der von Güllner in Aussicht gestellte „neue politische Block“ aus Union und Grünen allenfalls zustande kommt, wenn sich die FDP oder die SPD oder beide gemeinsam ihm zugesellen. Überdies ist er für die Union wahrscheinlich nur um den Preis zu bekommen, dass die inhaltliche Führung der nächsten Bundesregierung zu großen Teilen von den Grünen übernommen wird, die möglicherweise sogar den nächsten Kanzler stellen.

Keine guten Perspektiven für all diejenigen Mitglieder, Anhänger und Wähler der Union, die nicht in einem Land der grenzenlosen Massenzuwanderung, des Multikulturalismus, des Diversitätsdiktats, der religiös-kulturellen Überfremdung, der Windparks, der Fahrverbote, der Denk- und Sprechverbote, der Ehe für alle, der ausufernden Sozialpolitik, der voranschreitenden Haftungsübernahme für Schulden anderer Länder und des fortschreitenden nationalen Souveränitätsverlustes leben wollen. Wir können deshalb sicher sein, dass mit Unterstützung hilfreicher Demoskopen die Führung der Union längst kalkulieren lässt, wie groß die weiter zu erwartende Abwanderung von ehemaligen Unionswählern ins Lager der Nichtwähler oder der AfD sein wird, sollte sie mit einer offenen oder auch nur versteckten Koalitionsaussage zugunsten der Grünen in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen. Güllner bestärkte sie mit seiner aktuellen Prognose in dieser Absicht, indem er der Union empfiehlt, die „rechtsradikalen AfD-Wähler“ einfach abzuschreiben und sich stattdessen noch mehr dem „kosmopolitisch-neoliberalen Milieu“ zuzuwenden, als sie es ohnehin schon tut. Dass diese Strategie für die Union auch aufgeht, ist angesichts der Umbrüche, die sich innerhalb des gesellschaftlichen wie (partei-)politischen Systems der Bundesrepublik inzwischen vollziehen, indes alles andere als gewiss.

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