Tichys Einblick
Querdenker und Impfskeptiker

Von desillusionierten Ex-Grünen bis zu Zugewanderten aus dem Nahen Osten

Die Ergebnisse der Querdenker-Studie der Heinrich-Böll-Stiftung sind zumindest ergänzungsbedürftig. Wer sich auf Demonstrationen der Bewegung umschaute und zuhörte, erkennt dort auch anderes als Soziologen im Auftrag der Grünen-nahen Stiftung. Zum Beispiel Zuwanderer.

Klaus-Jürgen Gadamer

Die sogenannten „Querdenker“ und „Impfskeptiker“ sind in der Corona-Pandemie zu neuen Staats- und Gesellschaftsfeinden erklärt worden. In Medien und Politik werden sie meist mit Rechtsextremen, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern oder Antidemokraten in Verbindung gebracht, jedenfalls mit Leuten, die die Gesellschaft in den Abgrund stürzen.

Eine Untersuchung von Basler Soziologen im Auftrag der grünen Heinrich-Böll-Stiftung legte kürzlich ihre Erkenntnisse über die Querdenker in Baden-Württemberg vor. Einiges davon will nicht so ganz zum genannten Bild passen. Mit seiner Kollegin Nadine Frei hat der Soziologie-Professor Oliver Nachtwey 1.150 Mitglieder einschlägiger Telegram-Gruppen zum Ausfüllen eines Fragebogens bewegt. Repräsentativ ist seine Umfrage also nicht, wie er selbst zugibt. Man habe, so zitiert ihn die Nachrichtenagentur dpa auf Zeit-online indirekt, eher die Vernünftigen in der Bewegung erreicht und nicht die harten Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger. Außerdem haben die Forscher einzelne Anhänger der Bewegung sowie Experten länger interviewt und Demonstrationen beobachtet.

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Nachtwey will so herausgefunden haben, dass die Querdenker in Baden-Württemberg bürgerlicher, also weniger „rechts“ und materiell besser gestellt seien als jene in Ostdeutschland und Österreich. Von einer „Bewegung der qualifizierten Mitte“ spricht Frei. Der Altersdurchschnitt liege bei 47 Jahren, viele seien durchaus gebildet, in Vollzeit beschäftigt, teils sogar promoviert. Rund 30 Prozent der Befragten gaben an, früher mal die Grünen gewählt zu haben. Viele Studienteilnehmer hätten angegeben, noch bei der Bundestagswahl 2017 für die Grünen gestimmt zu haben.

„Basierend auf empirischen Voruntersuchungen, welche vom aktuellen Stand der Forschung untermauert werden“, haben die Soziologen nach eigener Aussage „vier mögliche Ursprungsmilieus untersucht:

1. das Alternativmilieu,
2. das anthroposophische Milieu,
3. das christlich-evangelikale Milieu und
4. das bürgerliche Protestmilieu.“

Von der vielfach in Medien und Politik behaupteten Verbindung von Querdenkern mit Rechtsradikalen bleibt auch in der HBS-Studie nicht viel übrig. Zumindest nicht, wenn man rechtsradikal mit autoritären Wunschvorstellungen gleichsetzt. „Die Form des antiautoritären Gestus hat uns überrascht“, sagte Nachtwey laut dpa.

Das anthroposophische Milieu sei in Südwestdeutschland nicht nur prägend für die Entstehungsphase der Grünen gewesen, sondern eben auch jetzt eine der „Quellen des Querdenkertums“. Und in dem „Bestreben der Waldorfschulen nach größtmöglicher Autonomie von staatlichen Einflüssen liegt aber auch ein antiautoritäres Element“, heißt es in der Studie.

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Die Studien-Autoren und wohl auch die darüber berichtenden Journalisten sehen darin aber keinen Grund zur Entwarnung. In der Zeit heißt es (auf Basis eines dpa-Beitrags): „Aber viele Teilnehmer der Bewegung hätten sich nicht nur von den Grünen entfremdet, sondern allgemein von den Kerninstitutionen der liberalen Demokratie. Sie wählten heute die AfD oder gar nicht mehr. Nachtwey sprach von einer Bewegung von links nach rechts. Von linken Werten wie Solidarität und Gleichheit sei im Grunde nichts mehr übrig.“

Aus diesen kurzen Sätzen wird die Ansicht des dpa-Autors, aber wohl auch der Studienautoren deutlich: Sich von den Grünen und „linken Werten“ abzuwenden, wird mit einer Abwendung von den „Kerninstitutionen der liberalen Demokratie“ gleichgesetzt.

Auch Sozialwissenschaftler sind eben oft ideologisch vorgeprägt und erkennen vor allem das, was sie sehen wollen. Früher betrieben Sozialwissenschaftler Ideologiekritik, die aber außer Mode kam, als die Ideologie derer, die sie betrieben, selbst an die Macht kam. Jürgen Habermas mit seinem „herrschaftsfreien Diskurs“ ist ein trauriges Beispiel dafür, dass Herrschaftsfreiheit nur dann eingefordert wird, solange man selbst in der Opposition ist. Stellt man selbst hingegen die herrschende Klasse, ist es plötzlich reaktionär, einen „herrschaftsfreien Diskurs“ zu fordern, nun denkt man an Cancel Culture.

Es macht also durchaus Sinn, sich jenseits der herrschenden Soziologie Gedanken über Oppositionsbewegungen wie die Querdenker zu machen, was ich hier tun will.

Ich habe keinen wissenschaftlichen Anspruch, aber eine reiche Erfahrung mit Querdenkern und Impfskeptikern und damit, wie diese in den Medien dargestellt werden.

Nach meiner Erkenntnis lassen sich vier Gruppen unterscheiden:

1. Spirituell orientierte, meist desillusionierte Grüne oder Linke.

2. Skeptiker aus Ostdeutschland, die sich unter Demokratie etwas anderes vorgestellt haben.

3. traditionsorientierte Landbevölkerung (wie auf der schwäbischen Alb).

4. aus orientalischen Kulturen stammende Einwanderer, die traditionell staatsfern sind.

Spirituell orientierte, meist desillusionierte Grüne oder Linke.

In der Tat ist die Querdenkerszene in Baden-Württemberg durch eine akademisch gebildete Mittelschicht geprägt. Wohlsituiert und oft anthroposophisch oder in alternativen Milieus sozialisiert. Viele haben einen Hang zur Spiritualität. 

Zitat aus meinem Bericht von der Querdenker Demo am 3. 4. 21 in Stuttgart: „Bald umwehte mich eine Woodstock-Atmosphäre. Althippies standen neben Altbauern von der Alb, Alt-Alternative neben dem Rentner in Outdoor-Outfit. Schon vom Aussehen entsprach das bunte Völkchen der Demonstranten eher den Teilnehmern einer Konferenz der Grünen als dem suggerierten rechten Mob. Reichsflaggen der Reichsbürger und andere „rechte“ Protestsymbole waren nicht zu sehen. Dafür wehten Regenbogenfahnen, die Peace-Symbole der Friedensbewegung prangten auf vielen Wimpeln. Jesus liebt dich. Kreative und Selbstständige. Einen Flohmarkt würden sie in kurzer Zeit professionell bewirtschaften. Erstaunlicherweise erspähte ich Flaggen der Anarchisten, Flaggen der „Antifaschistischen Aktion“ und eine Flagge der „Freien Linken“. Alle Drei habe ich erstaunt angesprochen, hätte ich sie doch auf einer Gegendemo vermutet. Aber der Eros der freiheitlichen anti-Corona Protestkultur im Hippiefeeling hat wohl mehr angesprochen. … Die AfD spielt als Protestpartei eine Rolle. Wirklich überzeugt ist hier von ihr niemand. Aber es ist die einzige Oppositionspartei und das wird gewürdigt.“

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Hier haben die Basler Wissenschaftler Verständnisprobleme. Woher deren ideologischer Wind weht, kann man an Formulierungen wie „Corona-Kritiker:innen, Analysen von Feldexpert:innen“ erkennen. Die Basler Wissenschaftler:innen: „Die Befragten inszenieren sich als Eingeweihte, fast sogar als Erwählte.“ Die Impfskeptiker inszenieren sich also bloß, sie sind gar nicht ernst zu nehmen. Sie sehen sich als „Erwählte“, aber als von wem Erwählte? Darüber schweigt der Forscher:innen-Verstand.

„Eigenes Recherchieren, kritisches Hinterfragen und Aufspüren von Quellen sind zentrale Motive der „Querdenken“-Proteste.“ Tja, das ist allerdings bedenklich. Sie glauben offenbar einfach nicht alles, was die Medien senden und recherchieren selbst. Wo kommen wir denn dahin, wenn das Schule macht.

Nun sind bei den Querdenkern schon einige seltsame Blüten zu sehen. Aber auf diese Art und Weise kommt man der Bewegung nicht nahe.

Skeptiker aus Ostdeutschland, die sich unter Demokratie etwas anderes vorgestellt haben, als dass immer die gleichen Medien die immer gleiche Meinungen verbreiten. Dass in Talkshows gegen Andersdenkende gehetzt wird, kennen sie von der DDR. Und auch, dass man zur Gaudi mal einen Andersdenkenden einlädt, der nach allen Regeln der Kunst niedergemacht wird. Den allseits geforderten Respekt braucht man da plötzlich nicht mehr. 

Wenn Merkels Ostbeauftragter Marco Wanderwitz meint, dass ein Teil der Ostdeutschen für die Demokratie verloren sei, antworten die Skeptiker aus Ostdeutschland. Richtig. Allerdings hat der Mann die Himmelsrichtungen verwechselt. Die Westdeutschen sagen tendenziell: Wenn alle Medien die gleiche Meinung vertreten, dann muss das doch wahr sein. 

Die skeptischen Ostdeutschen sagen oft: Wenn alle Medien die gleiche Meinung und die immer gleiche Tendenz vertreten, dann kann das nicht wahr sein. Das kennen wir nämlich schon. 

Das bezieht sich nicht nur auf den Zustand der Gesellschaft, sondern auch auf das Thema Corona. Viele Ostdeutsche sind inzwischen prinzipiell misstrauisch, was die Informationspolitik der Mainstream-Medien angeht. 

Die traditionsorientierte Landbevölkerung, zumindest ein großer Teil von ihr, ist zur Verwunderung der urbanen Meinungselite bockig. Sie bezweifelt den Richtig- und Wichtigkeitsanspruch der urbanen „Elite“. Auf den Coronademos auf dem Stuttgarter Wasen habe ich einige Bauern von der schwäbischen Alb kennengelernt, die sich stur dem sich ständig ändernden, aber immer als absolut verkündeten Coronawissen verweigern.

Nun kommen wir zu einer den Coronamaßnahmen gegenüber skeptischen Gruppe, über die in den Medien gerne nur am Rande berichtet wird: orientalische Einwanderer, die traditionell staatsfern sind. Das Thema flackerte kurz auf, als RKI-Chef Wieler ungeschickterweise davon sprach, dass auf den Intensivstationen vornehmlich Migranten liegen. Aber das Thema verschwand bald wieder unter dem Teppich und wird höchstens einmal punktuell aufgegriffen, denn: der Rassismus-Vorwurf droht! 

Es betrifft Einwanderer, oft auch Türken der 3. Generation, die in Deutschland in Parallelgesellschaften leben. Diese Gruppe hat keinen Kontakt zu Querdenkern und deutschen Impfskeptikern. Sie leben abgeschottet in ihrer orientalisch geprägten Welt und pflegen dort ihre eigenen Verschwörungstheorien.

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Während den Ostdeutschen vielfach offen reine Bosheit unterstellt wird, fällt das gegenüber Migranten schwer. Man droht sonst sofort in die selbst aufgestellte Falle des Rassismus zu treten. Also muss es die Bildungsferne richten, die angenommene Armut, die Sprachbarrieren. Irgendeinen Grund muss man finden, nur soll man auf keinen Fall von einer kulturbedingten Ferne zum Staat und der westlichen Gesellschaft ausgehen. Und wenn man diese gar nicht mehr abstreiten kann, muss diese in jedem Falle der Unterdrückung und des Rassismus der deutschen Gesellschaft geschuldet sein.

Um es zusammenzufassen, die Gründe der Ablehnung des Impfens und der Impfpflicht, werden je nach Gruppe anders dargestellt:

1. bei den schwäbischen Akademikern ist der Grund, dass sie sich als „Erwählte“ inszenieren, die sich in Verschwörungstheorien flüchten.

2. Bei den skeptischen Ostdeutschen ist es die gleiche reine Bosheit, mit der sie auch AfD wählen.

3. Die konservative Landbevölkerung ist so reaktionär und verbockt, dass sie sich dem woken Wissen der urbanen Elite einfach verweigert.

4. Und bei den nichtwestlichen Zugewanderten muss es einfach daran liegen, dass sie noch nicht wissen, was gut für sie ist. Man versucht sie zum Gendermainstreaming und jetzt auch zu coronakonformem Verhalten zu erziehen. Das Ergebnis ist mager. Im Gegenteil, der frauenverachtende arabische Gangsta-Rap blüht. Dass das etwas mit ihrer Kultur zu tun hat? Sagen wir nicht, das wäre rassistisch.

Es ist also eine breite Schicht frustrierter Bürger, die in ihrer Medienferne und ihren eigenen Ansichten möglicherweise 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen – oder undercover auch mehr. Bei aller Verschiedenheit eint diese Schicht das Misstrauen gegen die Bevormundung und die Einheitsmeinung der Medien und der Politik. Man kann wohl prophezeien: Wenn im Zuge der Klimapolitik die Leute immer weniger im Geldbeutel haben, wird sich die Staats- und Medienskepsis weiter verbreiten und daraus womöglich eine neue APO, eine ganz andere Form außerparlamentarischer Opposition erwachsen.

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