Tichys Einblick
Nur ein Artikel, dafür aber ein Indiz:

Wer schützt die Demokratie vor Corona?

Es gibt viel Grund zur Sorge, dass das eigentliche Opfer der Corona-Pandemie die Demokratie ist.

© Sharosh Rajasekher

Es gibt Fragen, die stellt man nicht, nicht weil sie rhetorisch sind, sondern weil sie bereits das verneinen, wonach sie zu fragen scheinen. Zeitlich passend zum Beschluss über die Einschränkung der Bürger- und Freiheitsrechte, die in Windeseile durch Bundestag und Bundesrat gejagt wurden, und dem übrigens alle Abgeordneten der sich in dieser Hinsicht als illiberal outetenden Grünen zugestimmt haben, warf die FAZ die Frage auf: „Sind die komplexen demokratischen Verfahren überhaupt in der Lage, vor außergewöhnlichen Bedrohungen wie der einer weltweiten Seuche zu schützen?“ und stellte damit die Demokratie selbst zur Disposition.

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Man kann es Demagogie nennen oder den so bedauerlichen, wie immensen Qualitätsverlust einer sich im nach unten offenen Wettbewerb mit der taz befindenden FAZ geschuldet, dass hier zwei völlig verschiedene Themen vermengt werden. Es fragt ja auch niemand, ob ein Schuhanzieher im Winter die Füße warm hält. Die Demokratie und auch die komplexen demokratischen Verfahren schützen erstens nicht vor einer Pandemie, noch bringen sie diese hervor. Zweitens bieten auch Zwangsmaßnahmen keinen Schutz, denn wer so fragt, dem geht es um Zwangsmaßnahmen, der setzt auch nicht auf Gebote, nicht auf Einsicht und auch nicht auf Vernunft, der hat ein Bild vom Bürger, wie es Diktaturen haben.

Nicht die komplexen demokratischen Verfahren sind das Problem, sondern dass man nicht auf Einsicht setzen kann, wenn man selbst über keine stringenten Argumente verfügt, wenn die Maßnahmen keine logische Kohärenz erkennen lassen, wenn die Regierung verbietet und lockdownt, weil sie in Wahrheit erstens keine Antworten auf die Eindämmung der Pandemie selbst hat und sie zweitens die Pandemie auch noch benutzt, um langgehegte politische Vorhaben wie die Entmachtung der Parlamente zugunsten einer europäischen Zentralregierung und einer europäischen Schuldenunion durchzusetzen, wie der Bundestagspräsident und der Präsident des EU-Parlaments in Interviews durchblicken ließen. Und die Kommissionspräsidentin beim World Economic Forum ganz unverhüllt sagt:

Im Stile einer Verschwörungstheorie ignoriert die FAZ simple Kontexte. Wie effektiv eine Diktatur im Umgang mit Katastrophen ist, konnte die Weltöffentlichkeit beim Reaktorunglück von Tschernobyl beobachten. Die sowjetische Regierung hat komplett versagt. Weitere Beispiele lassen sich anführen. Die FAZ vergisst natürlich zu erwähnen, dass das Virus nun nicht in einer Demokratie dem Hochsicherheitslabor entfleuchte, sondern in einer Diktatur, in China. Warum stellt die FAZ nicht die Frage, warum das geschehen konnte und ob diese „Pannen“ vielleicht systemimmanente Ursachen haben? Ein Thriller-Autor, der nur der Fiktion verpflichtet ist, würde der Frage nach dem alten römischen Rechtsgrundsatz „Cui bono?“ nachgehen, wem die Pandemie nützt und zu einem ganz anderen Szenarium kommen.

Warum stellt die FAZ nicht die Frage, warum sich das Virus bequem ausbreiten konnte, bevor China sich zu informieren bereit fand? Es ist keine Frage der Demokratie, noch ihrer hochkomplexen Verfahren, dass die deutsche Regierung die Gefahr der Pandemie, die spätestens seit November 2019 hätte bekannt sein müssen, bis zum März 2020 herunterspielte, dann aber sofort überzogen reagierte. Es ist lediglich eine Frage der Qualität der Bundesregierung, nicht die der Demokratie. Warum ließ die Bundesregierung, obwohl sie den Shutdown ab Mitte März durchführte, bis Mitte April noch ohne Kontrolle und Tests Flugreisende aus einem Hotspot wie Iran einreisen – und duldet überdies bis auf den heutigen Tag, dass die Grenzen für die Einwanderung in das deutsche Sozialsystem sperrangelweit offen stehen, während sie deutschen Bürgern das Recht auf Freizügigkeit verwehrt? Es ist auch keine Frage der Demokratie, sondern politischer Wille der Regierenden, dass Maßnahmen verhängt werden, die von einem Teil der Bevölkerung bei Androhung hoher Strafen befolgt werden müssen, während bei einem anderen Teil offensichtlich der Staat seine Hoheitsrechte nicht mehr durchzusetzen vermag.

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Die Frage der FAZ, wie „eine Demokratie auch inmitten außerordentlicher Bedrohungen das Leben ihrer Bürger … und zugleich sich selbst“ schützen kann, ist eine rhetorische Frage, deren Antwort nach der Fragelogik der FAZ lautet: indem sie sich selbst abschafft, indem sie dem chinesischen Beispiel folgt, indem sie die repräsentative Demokratie in eine gelenkte Demokratie umwandelt. Von der Vorstellung gelenkter Demokratie muss man folgerichtig deshalb ausgehen, weil die FAZ das Handeln der Regierung mit den hochkomplexen Verfahren der Demokratie verwechselt. Stillschweigend setzt die FAZ voraus, dass all das, was sich die Bundesregierung, was sich die Bundeskanzlerin ausdenkt, richtig ist und die „guten Ideen“ der Regierung von den vielen „Uneinsichtigen“ verhindert oder abgebremst werden, weil ihnen die „hochkomplexen“ demokratischen Verfahren zur Verfügung stehen. Wer so fragt, plädiert für das Durchregieren einer Kanzlerin, die durch nichts, durch keine Parlamente, durch keinen Föderalismus, durch keine „Diskussionsorgien“ mehr gehindert werden kann. Um sich vorzustellen, was das bedeutet, sollte selbst in der FAZ noch ausreichend Phantasie vorhanden sein.

Es gibt Grund zur Sorge, dass das eigentliche Opfer der Corona-Pandemie die Demokratie ist. Die FDP, die AfD, die Linke stimmten gegen das Gesetz, das wesentliche und grundsätzliche Festlegungen des Grundgesetzes zur Makulatur erklärte. Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass der Wettstreit der Ideen und der Lösungsvorschläge in heftige Richtungs- und Machtkämpfe gipfeln können, doch in der Frage der bürgerlichen Freiheiten, der uneingeschränkten Geltung des Grundgesetzes, der Demokratie, die auf dem Prinzip der Gewaltenteilung und der unveräußerlichen und unaussetzbaren bürgerlichen Freiheitsrechten beruht, sollten Demokraten zusammenstehen, wie viel sie auch sonst voneinander trennen, wie erbittert feind sie ansonsten einander sein mögen – gegen wen auch immer.

Eine Regierung, die in der Stunde der Not, ihre Bürger nicht vom Richtigen zu überzeugen weiß, ist in einer Demokratie fehl am Platze. Dass Diktaturen nicht besser in der Abwendung großer Gefahren sind, ist historisch belegt, und was in China wirklich geschieht, erzählt nicht einmal die hausinterne Glaskugel der FAZ ihren Redakteuren.

Es tut im übrigen sowohl der Demokratie als auch der Regierung selbst gut, wenn sie ihre Maßnahmen in den „hochkomplexen Verfahren der Demokratie“ legitimieren muss. An dieser Stelle unterschätzt die FAZ die Regierung.

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