Tichys Einblick
Verstand aus

Wer nicht mit uns hüpft

Amani, Palmer, Schröter: Mit ihren maßlosen Rassismusbeschuldigungen gegen Widersacher zersetzen Linke die liberale Bürgergesellschaft. Sie betreiben Identitätspolitik – und machen damit Hautfarbe und Herkunft zu zentralen Kategorien.

Odd Andersen/AFP/Getty Images

Wer ist eigentlich kein Rassist? Selten fiel eine Abgrenzung so schwer. Ganz sicher gehört jeder zur Großen Erweiterten Rassistischen Zone, der die so genannte Influencerin und Youtube-Größe Enissa Amani nicht ausreichend unterstützt. Wobei es wahrscheinlich schon an Rassismus grenzt, von ihrem Fall bis heute nichts zu wissen. Zumindest diesen Zustand kann dieser Text ändern.

Rassistisch ist sicherlich der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und jeder, der sich nicht weit genug von ihm distanziert. Zu den Rassisten – und zwar der Sorte AMR – zählt außerdem jeder, der das muslimische Kopftuch ohne ausdrücklich positiven Kontext erwähnt. Wer mit den Kürzel AMR so wenig wie mit dem Namen Amani anzufangen weiß, gehört außerdem zu den Quasirassisten, die noch gar nicht wissen, in welcher geistigen Nähe sie sich befinden.

Aber der Reihe nach: Über Enissa Amani sollte das Publikum dieses Textes wissen, dass sie im Iran geboren wurde, einmal als stellvertretende Miss Westdeutschland amtierte, in „Fuck You Goethe 2“ mitspielte, mit einem Bühnenprogramm tourt, einen Song gegen die AfD verfasst hat („Fck die AfD“) und die Funktion einer Jurorin des „About You Awards“ versehen hatte, auf dem gerade von und auf Kosten der fast gleichnamigen Bekleidungsfirma About You GmbH Preise an engagierte junge Beeinflusser verliehen wurden, unter anderem an Greta Thunberg, aber vor allem an Leute, die in der Produktempfehlungsbranche zu den Schwergewichten zählen.

Bei eben dieser Awardverleihung entschied sich Amani im Rahmen des Bühnenprogramms, dem Publikum statt eines Teasers ihres demnächst auf Instagram laufenden Anti-AfD-Musicals einen Vortrag über den Unterschied zwischen Komikerin und Stand up-Comedian darzubringen. Aus Gründen, die sich einem Influencerausgrenzer wie dem Autor so wenig erschließen wie der ganze beknackte Rest, findet Enissa Amani es nämlich diskriminierend, Komikerin genannt zu werden, und besteht darauf, sie sei Standupperin. Sollte jemand noch einmal wagen, sie als Komikerin zu bezeichnen, dann, so versicherte sie bei dem About You Award, werde die Folge nicht das Ende des Influenzlerinnentums sein, sondern das Ende der Enissa Amani in Europa. Denn in diesem Fall gelte:

“Al’la, ich geh’ nach Nicaragua und züchte Papaya, Al’la, wir sind Staaand-upppp’a, Al’la!” (Wobei Al’la laut Amaniumfeld nicht für Allha, sondern für „Alter“ steht, was andererseits eh schon wurst ist).

Was das alles nun mit Rassismus zu tun hat? Gemach, Al’la. Geduld.

Es verfasste nämlich die Spiegel-Online-Autorin Anja Rützel ein alles in allem launiges Stück über die Award-Verleihung. Rützel schrieb sanft, die Veranstaltung sei seltsam und Amanis Auftritt unkomisch gewesen. In ihrer Rezension nannte Rützel – obwohl doch Amani mit Auswanderung gedroht hatte, falls das noch mal geschehen sollte – die Influencerin „Komikerin“.

Zwar hatte die Komikerin auf Twitter auch schon mal dringend zur Herstellung des Weltfriedens aufgerufen („Nur eine kleine blaue Kugel in der Unendlichkeit und wir bekriegen uns wie kleine, dumme Kinder mit grossen Worten und grossen Waffen“).

Aber das war vor Rützels Kritik. Als deren Text auf SpOn erschien, stellte Amani das Pazifierungsprojekt für die kleine blaue Kugel zurück, und hetzte der Rezensentin ihre Follower, gut eine halbe Million, auf den Hals, die in den sog. sozialen Netzen die Kommentarspalten überschwemmten: Rützel sei eine Rassistin, eine Hetzerin. Und, da auch ein AfD-Politiker ihren Text gelikt hatte, „eine AfD-Braut“. Die Hauptanklage der Amani-Meute lautete: Eine weiße Autorin habe eine „PoC“, eine „Person of Colour“ kritisiert, das sei selbstverständlich ra-ra-rassistisch. Reihenweise verbreiteten die Mitglieder des Empörungsschwadrons, die SpOn-Autorin hätte Amani zum Verlassen des Landes aufgefordert. Rassistin! Rassistin! Ein paar Unentwegte versuchten auf Twitter und Facebook zu erklären, das habe sie mitnichten getan, sie wiesen auch darauf hin, dass Rützel mit keiner Silbe die Hautfarbe und die iranische Herkunft Amanis zum Thema gemacht hatte, sondern sie einfach nur schlecht fand.

Wer sich der Lektüre der Amani-Wutmob-Postings auch nur kursorisch unterzieht, der taucht in ein Milieu ein, in dem jedes Argument völlig wirkungslos abprallt. Aber was heißt schon Argument? Bei Amani handelt es sich um eine Influenzlerin, die im Deutschland des Jahres 2019 alles richtig macht. Sie tourt mit einem Programm namens „Krassismus“ durchs Land, betont unentwegt ihre Herkunft aus dem Iran, moderiert irgendwas bei Youtube und singt einen Anti-AfD-Song, um ihr sonstiges Betriebsnudeltum auch auf der Metaebene abzusichern. Und jetzt möchte sie gefälligst ihre gesellschaftliche Dividende einstreichen: Unkritisierbarkeit. Lassen Sie mich durch, ich bin eine PoC – diesem Anspruch muss sich einfach jeder beugen.

Und jetzt der Werbeblock zu Amanis Fick-AfD-Lied: „Für die Endversion des Tracks hält Enissa Amani noch eine Überraschung bereit. So supportet Jalil die Moderatorin auf ihrem ersten Song. Auch den Feature-Part des Berliners gibt es bereits als kleinen Appetizer bei Instagram zu hören. Amani hat angekündigt, das Stück ab einer gewissen Anzahl an Comments auf Spotify zu stellen.“

Um PoC geht es auch in einer anderen Empörungswelle, die fast zeitgleich mit der von Frau Amani rollte und rauschte, nämlich gegen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der Kommunalpolitiker und Bahn-Vielfahrer hatte sich gefragt, was die Bahn ihm mit ihrer neuen Image-Kampagne mitteilen will, die auf fünf Einzelfotos ICE-Passagiere zeigte – je zwei Männer mit dunklem Teint, eine Frau mit mediterraner Haut, eine afrikanische Frau mit Kind und schließlich den Formel-1-Fahrer Nico Rosberg als einzige hellhäutige Figur in dieser Reihe. So – nur zu 20 Prozent weiß, das nimmt nicht nur Palmer so wahr, sondern jeder Vielfahrer – sieht das Publikum in den ICEs jedenfalls nicht aus.

“Für mich als Betrachter sind diese fünf Bilder von Personen, die ich nicht kenne, in der Auswahl erklärungsbedürftig“, schrieb der Grünen-Politiker auf Facebook: „Nur eine der fünf Personen scheint keinen Migrationshintergrund zu haben. Das ist ungewöhnlich und ich würde gerne die Absicht dahinter verstehen.”

Er stellt also dem Unternehmen, das er selbst sehr oft nutzt, eine offene Frage. Nämlich die nach der Absicht.

Worauf ein Bahn-Sprecher nicht antwortete, sondern im Stil einer Strafzettelausstellung feststellte: „Herr Palmer hat offenbar zum wiederholten Male Probleme mit einer offenen und bunten Gesellschaft. Solch eine Haltung lehnen wir ab.“ Der Kommentar der Bahn erinnert zum einen in seiner intellektuellen Struktur an Enissa Amani und ihre Anhänger. Zum anderen gibt es auch eine bemerkenswerte historische Reminiszenz. Zu DDR-Zeiten bekamen Bürger bekanntlich Einheitslisten für die Volkskammerwahlen, und dazu den Aufforderungsspruch, den Zettel zu falten und in die Urne zu werfen: „Wer für den Frieden ist, wählt die Kandidaten der Nationalen Front.“ Wenn jemand andeutete, das habe nichts mit einer Wahl zu tun, sagte ein Funktionär üblicherweise: „Sie haben offenbar Probleme mit dem Frieden. Eine solche Haltung lehnen wir ab.“

In diesem wie im Fall Amani wie auch bei der Reaktion der Bahn auf Palmer geht es ganz offensichtlich nicht um Kommunikation, sondern um Machtausübung.

Nach dem gleichen Muster der abschließenden Urteilsverkündung meldete sich auch die grüne Parteispitze aus Robert Habeck und Annalena Baerbock zu Wort: „Boris Palmer hat eine Tür zu einem rassistischen Weltbild aufgestoßen – er sollte sie schnell wieder schließen. Er hat Menschen nach äußeren Merkmalen beurteilt und die Frage, wer zu unserer Gesellschaft gehört, daraus abgeleitet. Beides ist nicht richtig.“ Ein Grünen-Abgeordneter twitterte, Palmer sollte endlich bei den Grünen aus- und bei der AfD eintreten. Andere Parteimitglieder forderten ein Ausschlussverfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister. Die taz widmete einer der in der Bahn-Kampagne abgebildeten Frauen, nämlich der bei RTL moderierenden Nazan Eckes, eine Kolumne, und behauptete, sie sei „von Boris Palmer angegriffen“ worden. Eine taz-Kommentatorin schrieb: „Menschen wie Boris Palmer – wir kennen sie zur Genüge. Mittelalt, weiß, Männer.“

Das alles nimmt sich keinen Deut weniger wahnhaft, irrational und totalitär aus als der Feldzug Enissa Amanis gegen ihre völlig harmlose Kritikerin. Eher noch mehr. Jeder beurteilt Menschen nach äußeren Merkmalen. Selbst grüne Parteivorsitzende tun das. Und in der Bahn-Kampagne spielt ein äußeres Merkmal, nämlich die Hautfarbe, ganz offensichtlich eine beabsichtigte Rolle. Aber mit keiner Silbe, noch nicht einmal einem Subtext leitete Palmer daraus irgendetwas für die Zugehörigkeit der gezeigten Personen zur deutschen Gesellschaft ab, weder des TV-Kochs Nelson Müller, der Moderatorin Nazan Eckes, der beiden nichtprominenten Dunkelhäutigen noch der von Nico Rosberg. Der Mann aus Tübingen hält es nur für bedenklich, dass die Bahn erstens ihre Kundschaft als Gruppe mit nur noch 20 Prozent Weißen abbildet, also in einer Zusammensetzung, die weder etwas mit den ICE-Nutzern noch mit der deutschen Gesellschaft zu tun hat. Und er findet es, wie seine späteren Postings deutlich machen, generell problematisch, identitäre Elemente immer stärker zu betonen, also Hautfarbe und Herkunft. Wahrscheinlich erwartet er, dass andere, nämlich Nicht-PoCs, dann ebenfalls mehr und mehr identitär argumentieren, und fragt sich, wie lange das eine liberale Gesellschaft aushält. (Abgesehen davon geht die penetrante Positivstilisierung von PoC auch sehr vielen PoC auf die Nerven*).

Nazan Eckes konnte Palmer gar nicht, wie die taz wähnt, „angegriffen“ haben. Denn er hatte ihren Halbprominentenstatus noch nicht einmal erkannt.

So, wie Amani nicht das geringste Interesse an einem Gespräch mit ihrer Kritikerin zeigt, so will sich die Grünen-Spitze und will sich die Bahn nicht mit Palmer argumentativ austauschen, oder mit irgendjemand anderem, der die gleiche Frage wie er stellt. Habeck und Baerbock fällt übrigens noch nicht einmal auf, dass ihre Bewegungszeitung taz Palmer ihrerseits dessen Hautfarbe und Geschlecht vorhält. Und das Alter obendrein. Ihnen fällt ferner nicht auf, wie obsessiv die regressive Linke in Deutschland mittlerweile Identitätspolitik betreibt, wie sie unentwegt um Hautfarbe und Herkunft kreist und gleichzeitig ständig behauptet, beides dürfe keine Rolle spielen.

Auch in einem dritten Fall funktioniert das Markieren und moralische Vernichten einer Feindperson als Rassistin nach exakt dem gleichen Muster, nämlich dem der in Frankfurt lehrenden Ethnologin Susanne Schröter. Die Professorin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam war schon in der Vergangenheit als Kritikerin der von Ankara aus gesteuerten türkischen Religionsgemeinschaft Ditib aufgefallen und hatte ihren Funktionären Doppelzüngigkeit vorgeworfen: Lippenbekenntnisse zum deutschen Grundgesetz nach außen, eine an der Islamisierungspolitik Erdogans ausgerichtete Strategie nach innen. An der Goethe-Universität plant sie eine Konferenz zum Kopftuch als politisch-religiösem Symbol; zu der Veranstaltung lud sie pluralistisch Vertreter unterschiedlicher Ansichten zum Kopftuch ein. Aber schon die Veranstaltung allein hält eine straff organisierte Gruppe linksradikaler und muslimischer Studenten für eine Zumutung. Sie agitiert gegen die Wissenschaftlerin unter einem Hashtag, der immerhin noch nicht einmal Gesprächsbereitschaft vorgaukelt: „#Schröter raus“. Nicht nur die Konferenz soll verhindert, die Professorin soll von der Hochschule entfernt werden.

Was sich dann stilistisch ganz ähnlich liest wie die Tobsuchtsanfälle der Amani-Truppen:

Die Gruppe wirft Schröter den oben schon erwähnten „AMR“ vor, nämlich „Antimuslimischen Rassismus“, ein Idiotenbegriff, nach dessen Logik der Islam, also eine auf mehreren Kontinenten verbreitete Religion, erst einmal rassifiziert werden muss.

„AMR“ statt „Antimuslimischer Rassismus“ und „PoC“ statt farbig zu sagen erinnert übrigens an die Praxis, in chinesischen Restaurants beim Bestellen nicht mehr den Namen des Gerichts zu nennen, sondern nur zu sagen: einmal die 24. Denn das reduziert nicht nur die Kommunikation erheblich, sondern auch die Selbstreflektion.

Wer den Rassismusbegriff so verwendet, der will Machtfragen klären.
Du findest eine aus dem Iran stammende Influenzlerinnennudel nicht witzig? Rassistin!

Du meldest sachte Zweifel an der Sinnhaftigkeit der plumpen agitatorischen Buntheitskampagne eines schlecht gemanagten Staatskonzerns an? Rassist!
Du möchtest einen Psychokrieg gegen eine Wissenschaftlerin führen, deren Ansichten dir nicht passen? Erkläre sie einfach zur Rassistin.

Alle drei Fälle verbindet ein und derselbe Stil: unbedingter Wille zur Denunziation, ein unbedingter Glaube an die eigene Mission, völlige Immunisierung gegen welches Argument auch immer. Also genau das, was in zig Kampagnen und Politikerreden, auf Preisverleihungsgalas und in öffentlich-rechtlichen Fernsehkommentaren regelmäßig als Haltung gefordert, gelobt und prämiert wird. Amani, Habeck, die Bahn, die Kopftuchvorkämpfer: alle bedienen sich sinngemäß zweier von allerhöchster Stelle, nämlich durch den Bundespräsidenten abgesegneter Slogans, die zum ersten Mal 2018 in Chemnitz erprobt worden waren: Hey, hey, wer nicht hüpft, der ist ein Nazi. Und: #Wir sind mehr.

Der von Enissa Amani in Bewegung gesetzte Mob, das ist tatsächlich die größere Masse, verglichen mit der einzelnen Kritikerin. Die guten Grünen, die Palmer jetzt mit qualitätsmedialer Hilfe den Garaus machen wollen, das ist in der Tat ein größeres Hüpfkollektiv als der Tübinger OB. Die Agitatoren an und um die Frankfurter Universität sind zweifellos gegen die Professorin Susanne Schröter in der Mehrheit.

Wer wie Frank-Walter Steinmeier erst einmal die zutiefst illiberale Parole „wir sind mehr“ zu Worten der Weisheit erklärt, der ruiniert die Bürgergesellschaft – also gerade die Gesellschaft, in der Hautfarbe tatsächlich nur eine marginale Rolle spielt. Und der demoliert auch zielgerichtet das öffentliche Gespräch.

Vermutlich halten Habeck und Steinmeier demnächst wieder Reden, in denen sie den schwindenden Zusammenhalt ebenso beklagen wie vertiefte Gräben, möglicherweise tun sie das auf einer Gala, auf der Enissa Amani einen neuen Anti-AfD-Rap vorstellt und ein Ditib-Funktionär zusammen mit Aiman Mazyek im Ehrengästeblock sitzt.

Ganz am Rand und zum Schluss: Im Fall der Angriffe des Amani-Geschwaders gegen die Spiegel-Online-Autorin Anja Rützel sprangen mehrere Medien der Journalistin bei, beispielsweise Zeit Online, der „Stern“ und andere. Jedenfalls deutlich mehr, als sich zur Verteidigung von Schröter und Palmer bereitfanden. Denn mit der SpOn-Frau hatte die Rassistenverfolgung ausnahmsweise die Vertreterin eines dezidiert linken Mediums getroffen.

Immer dann, wenn das geschieht, lautet der Schlüsselsatz: Wir können keine Nazirassisten sein. Wir hüpfen doch schon.


*Der Autor dieses Textes ist Lebensgefährte einer Person mit dunklerer Haut.

Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei Publico erschienen.

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