In der an „Köpfen“ alles andere als üppig ausgestatteten CDU sucht man vergeblich nach Personen oder gar Persönlichkeiten für die längst angebrochene Post-Merkel-Ära. Selbst staatstragende Medien sind in dieser Sache genügsam geworden. Die früher beliebte, zugebenermaßen recht uncharmante „Dachziegelfrage“ wird gar nicht mehr gestellt („Wer folgt auf Merkel, wenn ihr plötzlich ein Dachziegel …..?“) bzw. auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Vor wenigen Jahren war das noch anders. Da gab es wenigstens „Muttis Klügsten“. Es gibt ihn, Norbert Röttgen (53), zwar immer noch, aber Mutti hat ihm nach der von ihm am 13. Mai 2012 total versemmelten NRW-Landtagswahl die Zuneigung entzogen, am 16. Mai 2012 den Koffer vor die Tür des Bundeskabinettes gestellt und ihn zuletzt auf einen Ausschussvorsitz verbannt.
Na, bravo! Brüderschaft mit einem Habeck, der sich in einem Interview zu seiner Assoziation zum Begriff „Volksverräter“ wie folgt ausließ: „Es gibt kein Volk, und es gibt deswegen auch keinen Verrat am Volk.“ Siehe hier. Aber: „Er wird es auf Bundesebene gut machen.“
Die pflichtschuldige Antwort aus der CDU und die ebenso gespielt zerknirschte Relativierung der Aussage durch Günther selbst folgten auf dem Fuß. CDU-Generalin Annegret Kramp-Karrenbauer twitterte: „Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit Linken und AfD weiterhin klar ab. Es reicht nicht, wenn da der eine oder andere pragmatische Kopf dabei ist.“ Zuvor waren die CDU-Vizes Strobl und Bouffier auf Distanz zu Günther gegangen. „Die Christlich Demokratische Union macht nichts mit Extremisten, nichts mit Links-, nichts mit Rechtsradikalen“, sagte Strobl der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Er wolle das Thema bei der CDU-Präsidiumssitzung am 20. August ansprechen, so Strobl. Hessens Ministerpräsident Bouffier äußerte gegenüber dpa, CDU und Linkspartei trennten Welten: „Deshalb ist das für die Union und erst recht für die CDU Hessen keine Option.“ Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der sich am 1. September 2019 den Landtagswahlen stellen muss, verbreitete über Twitter, die Positionen von CDU und Linken seien „unvereinbar“. Alexander Dierks, Generalsekretär der sächsischen CDU, schimpfte: „Langsam wird es verrückt.“ Der vormalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wies Günther ebenfalls zurück. „Teile der CDU scheinen völlig die politische Orientierung zu verlieren“, schrieb er bei Twitter. SPD-Vize Ralf Stegner und FDP-Chef Christian Lindner hielten Günther inhaltliche Beliebigkeit vor. „Früher rote Socken-Kampagnen gegen die SPD veranstalten, heute aus purem Machterhalt inhaltliche Beliebigkeit bis zum Abwinken sowie gerade im Osten Kapitulation vor den elenden Rechtspopulisten“, twitterte Stegner. Lindner sagte: „Wenn die Partei von Adenauer und Kohl mit der Partei des ‚demokratischen Sozialismus‘ koaliert, verliert sie ihre Seele. Und wer mit der FDP koaliert und zugleich mit der Linken liebäugelt, erreicht den Gipfel der Beliebigkeit.“ Stegner und Linder einig wie selten!
Nach Protest aus seiner Partei erläuterte Günther am Samstagnachmittag seine Ausführungen: „Eine Koalition mit der Linkspartei lehne ich entschieden ab.“ Aha! Seine Äußerungen hätten sich, so Günther, auf den Fall bezogen, dass nach einer Landtagswahl keine Mehrheiten gegen Linke und AfD möglich seien. Rückzieher freilich sehen anders aus.
Nur, was ist aus dieser CDU im Land zwischen den Deichen geworden? Barschel hin oder her: Da gab es in den 1970ern bis Mitte der 1980er Jahre einmal eine Nord-CDU mit Ergebnissen um die 50 Prozent. Selbst 2005 noch erreichte sie etwas über 40 Prozent. Nun aber scheint der „Hoffnungsträger“ Günther mit den 32,0 CDU-Prozenten der Landtagswahl 2017 zufrieden. Hauptsache ist für ihn wohl, nach allen Richtungen anschlussfähig zu sein. Windschnittigkeit, Prinzipienlosigkeit, Beliebigkeit, zeitgeschichtlicher Analphabetismus in Sachen SED-Nachfolger sind angesagt. Und ganz nebenbei werden immer noch mehr vormalige CDU-Wähler in die Arme der AfD getrieben. Bravo, weiter so, wird man sich dort angesichts solchen Kollateralnutzens ins Fäustchen lachen.