Die Abstimmung der FDP-„Basis“ war am Neujahrstag die Top-Meldung in den Nachrichten. Dabei waren es gerade mal 26.000 Parteipersonen, die diese Meldung ausgelöst haben. Davon haben 13.614 Mitglieder für einen Verbleib der FDP in der Ampel gestimmt. Diese 13.614 Stimmen genügen für eine Mehrheit in einer von drei deutschen Regierungsparteien.
Um das einzuordnen:
17.500 Einwohner hat die Gemeinde Eppelborn im Saarland. Wer sie nicht kennt, einfach mal googlen. Als Ausflugsziel lohnt die Wassertretanlage im Dirminger Wald.
26.000 Fans haben in Garmisch-Partenkirchen das Neujahrsspringen gesehen – die Zuschauer am Fernseher nicht mitgerechnet.
70.000 Bürger kamen ins Berliner Olympiastadion, um dort den Komiker Mario Barth zu sehen.
Mehr als 500.000 besuchen jährlich den Rosenmontagszug – nicht in Köln, sondern in Mainz. In Köln sind es deutlich mehr.
Angesichts solcher Zahlen stellen weder 26.000 Teilnehmer noch 13.614 Stimmen für den Verbleib einen Wert dar, der sonderlich Eindruck hinterlässt. Wie wenig die FDP über eine Basis verfügt, auf der eine inhaltlich überzeugende Arbeit aufgebaut sein kann, zeigt sich bei einem Blick darauf, wie sich die Partei und damit die 26.000 zusammensetzen, die da abgestimmt haben.
Doch muss man nicht unbedingt direkt für eine Partei oder eine Fraktion arbeiten, um beruflich von ihr abhängig zu sein. So stellt eine Partei, die in eine Regierung einzieht, gezielt ihre Mitglieder in Ministerien, Ämtern, Behörden oder Landeszentralen ein. In Führungspositionen, aber auch auf einfachen Referentenstellen. Wenn die FDP in Rheinland-Pfalz mit Kurt Becks SPD verhandelte, brachte sie zu den Gesprächen die legendäre „Lischt“ mit. Auf dieser Liste standen rund 100 Namen. Wurden deren Träger mit öffentlichen Posten versehen, machte die FDP in der Regierung mit.
Bevorzugt bringen die Parteien junge Leute in solche Positionen im öffentlichen Dienst. Als die Grünen 2011 erstmals an der rheinland-pfälzischen Regierung beteiligt waren, suchten sie gezielt nach Mitgliedern zwischen 25 und 30 Jahren für solche Jobs. Der Vorteil liegt auf der Hand: Fliegt eine Partei aus der Regierung oder sogar aus dem Parlament, bleiben diese Geförderten trotzdem noch über Jahrzehnte in ihren Jobs – und beliefern ihre Parteien mit Informationen aus den verschiedenen Ministerien oder Behörden.
Zudem droht ihm als Beamter jederzeit eine Versetzung in ein Amt für Schnickschnack oder eine Landeszentrale für Geldverteilung. Diese siedeln die Länder gerne in Gegenden wie der Eifel, dem Bayerischen Wald oder dem Vogelsberg an. Offiziell dient das der Förderung der ländlichen Infrastruktur. Verantwortliche nutzen solche Ämter fern der Hauptstadt aber auch gerne, um dort in Ungnade gefallene Beamte zu entsorgen.
Diese Praxis, politische Mitarbeiter zu versorgen, ist bei allen Parteien gängig, die an Regierungen beteiligt sind. Doch in diesem Text geht es halt um die FDP. Da nicht nur die Einstellung neuer Mitarbeiter für den öffentlichen Dienst ein Machtfaktor ist, sondern auch der Umgang mit Altgedienten, die auf Beförderungen oder wenigstens auf politischen Schutz hoffen, lässt es sich nur schätzen, wie viele Personen ein persönliches Interesse daran haben, dass die FDP politisch nicht abstürzt und in Regierungen bleibt. Aber 2.600 FDP-Mitglieder als Mitarbeiter im öffentlichen Dienst dürften eher zu niedrig als zu hoch geschätzt sein.
Nun hört sich „selbstständig“ gut an. Das klingt nach „frei“, „unabhängig“ und vor allem nach: „nicht auf den Staat angewiesen“. Das trifft auf einen Großteil dieser 17.000 Selbstständigen auch sicher zu. Doch eben nicht auf alle. Unter diesen Selbstständigen sind PR-Berater, Rechtsanwälte, Unternehmensberater oder Inhaber von Entwicklungsagenturen. Sie können vielleicht auch ohne die Partei leben. Aber gegen einen staatlichen Auftrag sagen sie nichts. Oder gegen einen Gesprächspartner an der Macht, von dem man mal – vorbei am Dienstweg – gewinnbringende Informationen erhält. Eine FDP, die lieber gar nicht regiert, als in der Ampel das Land zu vermurksen, mögen sie für ehrenwert halten – aber sie bringt ihnen persönlich nichts.
Dann gibt es auch noch die Lobbyisten. Dank der täglichen Propaganda von ARD und ZDF – auch in Unterhaltungsformaten – denken die meisten bei dem Begriff Lobbyist an Vertreter ausbeuterischer und umweltverschmutzender Unternehmen, die ihre Interessen über korrupte Politiker durchsetzen. Doch auch die Gewerkschaften, Kirchen oder Sozialverbände gehen mit handfesten, eigenen wirtschaftlichen Interessen auf die Politik zu. Im Fall der FDP sind das vor allem Arbeitgeberverbände sowie Handels- und Industrieverbände. Wenn du als Chef der IHK Krähwinkel, der Dehoga Finsdorf oder der Chemieunternehmer im niederen Oberbayern Mitglied der Partei bist, willst du, dass die FDP Verantwortung trägt. Nur heißt Verantwortung für sie nicht, eine Politik nach liberalen Grundsätzen zu betreiben. Sondern als Interessenvertreter für sie da und gefällig zu sein.
In der FDP gibt es insgesamt mehr als 13.614 Menschen, die ein Interesse daran haben, dass die Partei in der Bundesregierung bleibt: Sei es,
- weil sie unmittelbar für Partei, Abgeordnete oder Fraktionen arbeiten.
- weil ihre Karrieren in Ministerien, Ämtern, Landeszentralen oder Behörden von der politischen Zukunft der FDP abhängen.
- weil sie als Selbstständige von Aufträgen aus der und von Kontakten in die Politik profitieren.
- weil für sie als Lobbyisten Zugang zu Verantwortlichen die wichtigste Währung ist.
Angesichts dieser großen Zahl an Abhängigen in einer kleinen Partei ist es nicht verwunderlich, dass eine Mehrheit für den Verbleib in einer Regierung stimmt. Erstaunlich ist höchstens die niedrige Zahl von 13.614, die sich zu der bequemen Stimmabgabe übers Internet aufgerafft haben. Selbst unter denen, die ein handfestes Interesse am Erhalt der Ampel haben, gibt es nicht mehr viele, die diese unterstützen.
Doch die Abstimmung über die Zukunft der Ampel hat auch was für sich. Den einen mag es kalt lassen, den anderen verblüffen und im nächsten vielleicht sogar Ehrgeiz wecken, denn: 13.615 würden genügen, um eine von den drei Parteien vor sich herzutreiben, die im Bundestag die Regierung tragen. Sollten sich die Berliner Besucher von Mario Barth alle entschließen, in die FDP einzutreten und den Laden zu übernehmen, wird die Politik vielleicht nicht besser – aber dafür hätten wir endlich wieder was zu lachen.
Fußnote: Christian Lindner halten nach einer Forsa-Umfrage für den „Stern“ nur noch 21 Prozent der Deutschen für vertrauenswürdig. Das ist im Vergleich zum bereits niedrigen Wert von April 2023 noch mal ein Rückgang um sechs Prozentpunkte (dts).