Der Einzug der AfD in den Bundestag zeigt bereits jetzt Wirkung: Sie ist das bestimmende Thema nach der Wahl und das noch vor der Frage, wer nun mit wem eine Koalition bilden wird bzw. ob sich FDP und Grüne nach der Absage der SPD für eine Neuauflage der GroKo, für eine Jamaika-Koalition unter Federführung Merkels begeistern können.
Genauso wie die AfD selbst Thema in allen Nachrichtensendungen ist, sind es ihre Wähler. Was hat so viele dazu bewegt, diese Partei wählen? Wie viele davon sind tatsächliche Fremdenfeinde, glühende Anhänger von Höcke und Poggenburg, wer hat aus Protest gewählt und wer aus taktischem Kalkül?
Dieses Ringen darum, das zeichnete sich bereits bei den Umfragewerten für die AfD in den letzten Wochen ab, hat man bekanntermaßen verloren. Mit 33 Prozent fährt die CDU ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 ein. Ein Verlust von 8,7 Prozent gegenüber der letzten Bundestagswahl. Eine Million Wähler gingen allein der CDU an die AfD verloren und damit mehr als bei jeder anderen Partei. Von Einsicht bei der Kanzlerin dennoch keine Spur. „Ich erkenne nicht, was wir jetzt anders machen müssten.“ ließ Merkel bereits einen Tag nach der Wahl bei der Pressekonferenz auf die Frage einer Journalistin, ob sie als Kanzlerin Fehler gemacht hätte, verlautbaren. Zumindest äußerlich versucht Merkel den Eindruck zu erwecken, als ziehe sie keine Rückschlüsse zwischen ihrer Politik und dem schlechten Abschneiden der CDU.
Ohnehin scheint es sich bei den AfD-Wählern für viele Politiker der etablierten Parteien, Vertreter der hiesigen Medien sowie Sozialforscher aller Couleur noch immer um ein großes Rätsel zu handeln. Ist man zumindest unter den halbwegs schlauen Vertretern von Politik und Presse inzwischen davon abgekommen, alles und jeden, der die AfD wählt, als „Nazi“ und „Rassist“ zu verunglimpfen, zeigt man sich in der Analyse der Beweggründe noch immer weitestgehend starr. Es scheint mittlerweile so, als würde es nicht einmal darum gehen, dass man bestimmte Punkte partout nicht ansprechen möchte, nein, viel schlimmer: als würde man nicht in der Lage dazu sein, sie zu überhaupt zu erkennen. Wissenschaft, Politik und Medien bleiben nicht deshalb immun gegen jedwede fundierte und sachliche Ursachenforschung, weil sie den Diskurs darüber bewusst verweigern, sondern weil sie auf Grundlage des eigenen eher linksorientierten Weltbildes außerstande sind, die Innensicht des AfD-Wählers einzunehmen. In der Folge erscheint jede mediale, wissenschaftliche oder politische Analyse in Artikeln oder auch Talkshows stets als eine überhebliche Einschätzung von Personen, die das Phänomen AfD aus ihrer eigenen linken Filterblase heraus beobachten.
Und so wird bis zum heutigen Tage und auch nachdem die AfD mit 12,6 % in den Bundestag eingezogen ist, Kritik am konservativen Islam und einer unkontrollierten Einwanderung aus mehrheitlich islamisch geprägten Ländern noch immer gleichgesetzt mit pauschaler Fremdenfeindlichkeit, mit rassistischen Ressentiments, Hass und Hetze. Der AfD-Wähler als Gegenentwurf zum kosmopolitischen Bürger. Homosexuellenfeind und Hausfrauenfetischist. Pluralitätsgegner und leidenschaftlicher Minderheitenjäger. Irgendwo in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stehengeblieben. Jemand, für den sich die Welt ab einem gewissen Zeitpunkt begonnen hat, zu schnell zu drehen und der jetzt um jeden Preis die Notbremse ziehen will.
Fakt ist, dass es diese Leute gibt. In der AfD selbst noch wesentlich mehr als unter ihren Wählern. Stumpfe Fremdenfeinde, die den „Volkskörper“ rein und die Frau vom Arbeiten fern halten wollen, auf dass sie ihrer eigentlichen „Kernaufgabe“, der Reproduktion, wieder gerecht wird. Leute, die Alexander Gauland und Björn Höcke super finden und an ihren Aussagen nichts Rechtradikales erkennen können, weil man sich außerstande zeigt, dieses Gedankengut überhaupt als rechtsradikales zu identifizieren.
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Der große gemeinsame Nenner unter Wählern der AfD ist und war nie die Fremdenfeindlichkeit. Nicht die Ablehnung der Globalisierung und nicht die fehlende kosmopolitische Einstellung. Vielen von denen, die am vergangenen Sonntag AfD gewählt haben, geht es genau um den Erhalt dieser offenen und der modernen Welt zugewandten Einstellung innerhalb der Bevölkerung. Um die Wahrung eben dieser liberalen, pluralistischen Gesellschaft, die Deutschland aktuell noch ist. Um Gleichberechtigung von Frau und Mann, Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten genauso wie gegenüber Homosexuellen. Es geht um die Bedrohung dieser gelebten Werte durch die unkontrollierte Einwanderung aus mehrheitlich islamisch geprägten Ländern und die immer stärkere Ausbreitung des konservativen Islams auch in der westlichen Welt, der genau im Gegensatz zu diesen Werten steht.
Am Ende des Tages ist es dem großen Teil dieser Wähler völlig egal, wie die AfD im Einzelnen zu anderen Themen steht. Für viele ging es letztlich einzig und allein um eine Fundamentalopposition in Fragen des politischen Islams und der derzeitigen Einwanderungspolitik. Und selbst bei diesen Themen ging es oftmals nicht einmal um eine 100prozentige Übereinstimmung mit den Positionen der AfD. Ja, es mag den überzeugten AfD-Wähler geben – der große Teil sieht die AfD jedoch vornehmlich als Instrument zur Neujustierung des parlamentarisch-politischen Spektrums der Bundesrepublik. Ein Korrektiv vor allem für CDU und Liberale. Für eine Parteien- und Medienlandschaft, die in den letzten 12 Jahren unter Merkel insgesamt nach links gerückt ist und die man einzig aus dem Grund gewählt hat, damit die ehemals konservativen und liberalen Parteien wieder stärker zurück in die Mitte rücken. Wenn alle links von der Mitte stehen, bedarf es einer starken Rechten, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Es ist diese taktische Überlegung, die in der deutschen Medienlandschaft bei der Analyse der Wähler der AfD bis heute wenig bis gar keine Beachtung findet, weil einem Großteil der linksorientierten Vertreter von Presse und Politik eben jener Linksdrall aufgrund der eigenen politischen Überzeugungen überhaupt nicht bewusst ist. Im Gegenteil: Unterhält man sich mit Linken, wird schnell klar, dass die Gesellschaft als Ganzes in der eigenen Wahrnehmung überhaupt noch gar nicht links genug ist.
Manchmal geht es nur um die Verhinderung einer einzigen gesellschaftlichen Entwicklung, für die man alles andere hintenanstellt. Für die man Ewiggestrige und noch deutlich unappetitlichere Personen und Inhalte in Kauf nimmt, weil keine andere Partei sich dazu bereit erklärt, in dieser Frage eine wirkliche Kehrtwende einzuleiten. Wenn eine Gesellschaft durch Einwanderung und falsche Toleranz gegenüber kulturellen und religiösen Gepflogenheiten gezwungen wird, fast nur noch über ehemals selbstverständliche zivilisatorische Errungenschaften zu debattieren, statt einer wirklich modernen, kosmopolitisch und multikulturell eingestellten Gesellschaft entsprechend, über zukunftsorientierte Themen und Gestaltungsmöglichkeiten zu sprechen, wenn die Freiheit der Frau angesichts von massiv gestiegener Anzahl an sexuellen Übergriffen in aller Öffentlichkeit plötzlich wieder zur Verhandlungsmasse erklärt wird; wenn betont werden muss, dass ihre Rechte genauso wichtig sind, wenn das eigene Sozialsystem über kurz oder lang zu kollabieren droht, wenn keiner mehr weiß, wer eigentlich und mit welcher Absicht in diesem Land ist, der kommt irgendwann zu dem Schluss, dass über politische Feinheiten wohl erst wieder gesprochen werden kann, wenn den groben Schäden Einhalt geboten wurde.
Manchmal geht es nicht um das Stimmen für etwas, sondern gegen etwas. Nicht um die eigenen Überzeugungen, sondern um taktisches Kalkül. Nicht um die Themen, die man wirklich gerne einmal besprechen würde, sondern um die Verhinderung des Worst Case um nahezu jeden Preis. Darum, dass man den radikalen Islam einfach für den Gegenentwurf all dessen hält, was andere vermeintlich ausgerechnet gegen die AfD-Wähler zu verteidigen glauben. Nicht um Ablehnung von Vielfalt und Toleranz, sondern um ihre Verteidigung gegen ihre Feinde.
Nein, der kulturell Abgehängte ist zumeist nicht der AfD-Wähler, sondern der, der vergessen hat, dass freiheitliche Werte nichts Selbstverständliches sind. Dass sie aktiv verteidigt werden müssen.