Die neue Wagenknecht-Partei „Vernunft und Gerechtigkeit“ kann weder die Fünf-Prozent-Hürde überwinden, noch mehr als zwei Direktmandate aufbieten, um wegen der Grundmandatsregel von der Sperrklausel verschont zu bleiben. Nach geltendem Recht müssen die Mitglieder der Wagenknecht-Partei schon deshalb den Bundestag sofort verlassen. In § 6 Abs. 3 BWahlG heißt es: „Bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens fünf Prozent der im Wahlgebiet gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben.“
Von den neun Abgeordneten der Wagenknecht-Partei hat keiner ein Direktmandat errungen, auch Sahra Wagenknecht nicht. Sie sitzen vielmehr für die fiktiven Listen von Landesparteien im Parlament, die in keinem der 16 Länder an der Bundestagswahl vom 26. September 2021 teilgenommen haben und offensichtlich auch weniger als fünf Prozent der im gesamten Wahlgebiet gültig abgegebenen Stimmen erhalten hätten. Denn die neun Abgeordneten der Wagenknecht-Partei haben sich von der Partei DIE LINKE abgespalten, die mit 39 Mitgliedern ihrerseits schon nur weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen in Deutschland erreichen konnte.
Weil die drei Grundmandate bei DIE LINKE verblieben sind, verbleibt sie auch nach dem Ausscheiden der neun Dissidenten im Bundestag, verlor aber die Fraktionsstärke. Die neun Mitglieder der Wagenknecht-Partei können nicht so behandelt werden, als hätten sie ein Direktmandat errungen. Sie sind eben gerade nicht direkt gewählt worden, sondern über die Landesliste DIE LINKE in den Bundestag eingezogen. Sie können als gewählte Abgeordnete mit Listenplatz natürlich nur für die Landesliste DIE LINKE im Bundestag verbleiben, für die sie aufgestellt und gewählt worden sind.
Denn die Listenwahl ist eine sogenannte pauschale Blockwahl. Auf dem Stimmzettel wird nicht der Name einer Person, sondern der Name einer Partei gekennzeichnet. Der Wähler hat also mit seinem Stimmzettel keine bestimmte Person, sondern eine bestimmte Partei gewählt. Für die Wagenknecht-Partei gab es aber bei der Bundestagswahl vom 26. September 2021 keine einzige Zweitstimme, und die nicht gewählte Partei sitzt trotzdem im Bundestag. Um das Fass zum Überlaufen zu bringen, ist die Dissidenten-Partei eine sogenannte „Splitter-Partei“ mit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen, die ohnehin für eine ganz andere Partei abgegeben wurden.
Wohlgemerkt ist die Zweitstimme eine Parteienstimme. Wenn ein Abgeordneter aus der Partei ausscheidet, die der Wähler auf dem Stimmzettel gekennzeichnet hat, dann kann er nicht mehr im Bundestag bleiben. Das wäre eine Missachtung des Wählerwillens. Sobald die Mitglieder der Dissidenten-Partei aus dem Bundestag entfernt worden sind, tritt für die Partei DIE LINKE die Vorschrift für die Listennachfolge des § 48 BWahlG in seiner für den 20. Deutschen Bundestag geltenden Fassung in Kraft. Dort heißt es: „Wenn ein Abgeordneter (…) aus dem Bundestag ausscheidet, so wird der Sitz aus der Landesliste der Partei besetzt, für die der Abgeordnete bei der Wahl angetreten ist.“
Kurzum rücken bei DIE LINKE neun Listenanwärter für neun Dissidenten der Wagenknecht-Partei nach, die den Bundestag verlassen müssen.
Der Autor lebt in München und hat in namhaften Fachzeitschriften zahlreiche Online- und Print-Beiträge und mehrere Bücher zum Wahlrecht veröffentlicht. Zu den Fundstellen vgl. hier.