Die Eingliederung der derzeit 67.000 unbegleiteten minderjährigen Migranten gehört zu den schwierigsten Aufgaben, die der Integrationsmotor zu leisten hat. Sonst erwächst ein Prekariat, dessen soziale Nachbeben die Gesellschaft noch lange spüren wird. Die jährlichen Gesamtkosten allein für diesen Block werden derzeit auf bis zu 4 Milliarden (!) Euro geschätzt. Die Angaben der jungen Migranten zu Alter und Herkunft sind vielfach zweifelhaft, ihr soziales Startkapital ist oft erbarmungswürdig. Ihre Integration steht unter keinem guten Stern. Ob sie gelingen kann, dazu legen selbst Professionals im Moment Skepsis an den Tag.
Klemens Volkmann dokumentiert die Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag einer Sozialpädagogin bei der Betreuung mit unbegleiteten Minderjährigen. Die andere Seite der Willkommensmedaille.
Laura * ist 24 Jahre (* Name und Alter sind aus Quellenschutzgründen verändert) und nach ihrem Diplom seit vielen Monaten in einer Einrichtung für Jugendliche in einer bundesdeutschen Großstadt angestellt. Sie hat miterlebt, wie die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge, die alleine reisen, seit Ende vergangenen Jahres sprunghaft angestiegen ist. „Bei uns sind nur syrische Jungen angekommen“, sagt sie, „ich glaube nicht, dass auch Mädchen ohne Eltern unterwegs sein sollen, es sei denn, man wurde auf der Reise etwa durch Tod der Bezugspersonen oder andere Umstände getrennt.“
„Man spricht nach außen nicht gern darüber, aber es ist in Fachkreisen ein offenes Geheimnis, dass viele Jungen vorgeschickt wurden, um die Sippe nachzuholen. Diese Jungen stehen meiner Ansicht nach unter enormem Druck. Sie befinden sich altersbedingt in einer sozialen Stressphase, sie sprechen kein Deutsch, haben kaum Bildung, die meisten erleben einen regelrechten Kulturschock und sie sollen gleichzeitig die Erwartungen der Zurückgebliebenen auf Nachzug erfüllen. Auch Nichtfachleute können sich denken, was das für einen jungen Menschen bedeutet, der sich mitten in der Pubertät befindet. Meine Kolleginnen und Kollegen sind alle sehr engagiert. Insgeheim kommen mir manchmal Zweifel, ob man diesen Jugendlichen mit den Willkommenssignalen, die offenbar auch im tiefsten Arabien via Internet als Einladung aufgefasst wurden, wirklich einen Gefallen getan hat.“
Bei der Altersfeststellung wird angelernt getrickst
„Die Probleme fangen mit der Altersfeststellung an“, berichtet Laura. „Ich bin dafür, dass man einen Neustart mit Wahrheit und Ehrlichkeit beginnen sollte. Aber was soll man von den Angaben eines jungen Menschen halten, der starken Bartwuchs hat und angibt, er sei erst 14 Jahre. Man kann sich denken, dass die mögliche Schutzbehauptung vor allem dem Zweck dient, das Asylverfahren zu umgehen und einen Familiennachzug zu erzwingen. Das Alter wird dann ganz schnell zur Schicksalsfrage. Minderjährige Flüchtlinge können praktisch nicht abgeschoben werden, sind in Obhut der Jugendämter und erhalten umfangreiche individuelle Hilfen und Unterkunft. Es ist gleichermaßen naheliegend anzunehmen, dass den Jungen die begünstigende Altersangabe zuhause oder unterwegs eingebläut wurde. In einem Fall z.B. änderte ein Junge, als er wegen einer Straftat unter Druck geriet, sein kindliches Alter plötzlich auf 17 Jahre.“
„Ich weiß, es klingt für Außenstehende hart: aber ich schätze, dass alle Jungen, die ich in meinem Bereich hatte, ihr Alter für zwei Jahre nach unten angegeben haben. Ich habe den Vergleich zu den in Deutschland geborenen Ausländern.“ Laura dürfte nicht falsch liegen. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 erklärte z.B. die Hamburger Jugendbehörde 70 Prozent der jungen Flüchtlinge im Zweifelsfall für volljährig.
„Eine Beweisführung zur annähernden Altersbestimmung wäre möglich“, sagt Laura, „ist aber schwierig und letztlich von den zuständigen Behörden wohl auch nicht erwünscht. Denn auch berechtigte Zweifel an Altersangaben werden ignoriert und von den Ordnungsbehörden jedenfalls bei uns nicht hinterfragt bzw. stringent verfolgt, obwohl das richtige Alter spätestens bei der Beschulung oder evtl. Straftatenbemessung von enormer Wichtigkeit ist. Ich will niemandem zu nahetreten, aber ich denke mir, dass Bund und Land politisch eine ‚Erfolgsstory’ wollen und die nachgeordneten Behörden dies lethargisch und vorauseilend ausführen. Hinzu kommt, dass die Behörden von der Masse der Zuwanderer selbst überfordert sind.“
Alle sind angeblich Syrer
„Ein zweites Grundproblem ist die Angabe der Nationalität. Natürlich ist derjenige Junge asylrechtlich bevorzugt, der Syrer ist. Jedenfalls stufen sich die jungen Flüchtlinge, die keine Papiere haben, selber als jugendliche Syrer ein. Sie sprechen auch arabisch, was nicht heißt, dass sie auch aus Syrien stammen müssen. Es ist durch echte Syrer bekannt geworden, dass sich z.B. nicht syrische Flüchtlinge von Syrern ’landeskundliche’ Besonderheiten und Lebensumstände erfragt haben, um mögliche Kontrollen zu bestehen. Gravierende Unterschiede gibt es im Hinblick auf die unterschiedlichen Dialekte der Araber, die je nach Land verschieden sein sollen.
Sprachlich lässt sich dieser Umstand durch arabisch-sprachige Dolmetscher überprüfen, sofern diese ein ehrliches Spiel spielen, nicht ihre ‚eigene Suppe kochen’ und in ausreichender Zahl vorhanden sind. Als solche kämen eigentlich nur nicht-muslimische Übersetzer infrage, was aber wohl nicht gewünscht wird oder nicht möglich ist.“
„Allerdings gibt es meiner Meinung nach eine ziemlich treffsichere Methode, um die wirkliche Herkunft zu hinterfragen“, sagt Laura. Da die Jugendlichen internetfähige Handys besäßen, manchmal moderner noch, als die Betreuer sie hätten, und weil sie ständig mit Bezugspersonen chatten würden, wäre z.B. ein Auslesen der Kontaktdaten eine gute Möglichkeit, auf die Herkunftsorte der Jungen zu stoßen. Aber das wolle bisher Keiner, auch sie hielte eine permanente Misstrauenskultur für nicht gerade zielführend.
„Andererseits sage ich mir folgendes: Wenn die jungen Flüchtlinge die ständige Erfahrung machen, ob unehrlich oder nicht, dass man zu seinem Vorteil problemlos manipulieren und die Unwahrheit sagen kann und damit durchkommt – wie sollen bei ihnen dann Respekt und Achtung vor den Behörden und der neuen Gesellschaft wachsen, von der sie aufgenommen und integriert werden sollen? Meiner Meinung fängt bei aller Rücksichtnahme auf die Schicksale der Kinder und Jugendlichen eine erfolgversprechende Integration unbedingt bei Ehrlichkeit und gegenseitigem Respekt an. Die Spielregeln muss der Staat aber von Beginn an konsequent einfordern und kompromisslos durchsetzen wie in der Schule, sonst läuft was schief.“
- Einschub: Altersbestimmung
Medizinisch ist eine ungefähre Altersbestimmung über das Röntgen der Handwurzelknochen, Schlüsselbeingelenke und des Zahnalters sowie anhand der Untersuchung der sekundären Geschlechtsmerkmale möglich, wird aber für Altersbestimmungen im Asylbereich regelmäßig unbeachtet gelassen. Gründe: medizinisch und damit rechtlich nicht indiziert, zu ungenau, zu entwürdigend für junge Menschen, die sich nackt untersuchen lassen müssen. Erfolgreich wäre eine gründliche und dadurch langwierige Anamnese durch Kinderärzte und Jugend-Psychologen. Deshalb wird von den Behörden meistens dem Verfahrensgrundsatz der Gerichtsbarkeit gefolgt: Im Zweifel für die Minderjährigkeit.
Dennoch will Laura ihren Job professionell sehen: „Ob ‚echter jugendlicher Syrer’ oder nicht, es geht in jedem Fall um Integration, die gelingen muss und soll.“ Das sei schließlich ihre Aufgabe. Und da sei genug zu tun. “Das fängt an mit der mangelnden Wertschätzung gegenüber weiblichen Betreuern. Die Jugendlichen haben Defizite bei der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Sie haben keine Probleme damit, männliche Erzieher als Ansprechpartner zu akzeptieren, diese männlichen Erzieher beurteilen die Syrer entsprechend positiver als die weiblichen Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen. In Folge werden die syrischen Jugendlichen dem weiblichen Personal (aber auch Mädchen, die in der Auffangeinrichtung sind) gegenüber vielfach ausfallend, zeigten unverschämtes Benehmen und betrachten sie nicht selten als Sexobjekte.“
Männliche Erzieher bestärken die Männerrolle
„In einem Fall wurde ein Syrerjunge, von der Altersangabe her fast noch ein Kind, gegenüber einer Heimmitarbeiterin sexuell schwer übergriffig. Das war schlimm. Wir waren aber erneut entsetzt, als dieser Syrer, der das Heim verlassen musste, später wieder auftauchte und seinem verletzten und fassungslosen Opfer über den Weg lief. Das sind Momente, in denen man am Integrationsgelingen zweifeln kann. Die Öffentlichkeit erfährt davon gewöhnlich nichts. Es gelten Jugendschutzbedingungen.“
Laura hofft, dass sich andere offen zutage tretende Defizite der minderjährigen Flüchtlinge vielleicht nach und nach beheben lassen. Als da sind die Akzeptanz unterschiedlicher Rassen, Kulturen und Religionen. Als ausgesprochen integrationshemmend zeigt sich der Umgang der Jungen im Alltag. „Sie haben fast ausschließlich Kontakte zu ihrer arabisch-sprachigen Peergroup, also von Menschen ähnlichen Alters und sind via Internet gut vernetzt mit Peergroups im Ausland. Moscheen, Dolmetscher, andere „unbegleitete“ junge Männer und Jugendliche sind ihre bevorzugte Umgebung. Sie sind bestens informiert im Hinblick auf Einforderung von Kleidung und Taschengeld und über alternative Unterbringungsmöglichkeiten. Schon nach kurzer Zeit fordern sie massiv diese Zahlungen mit Hilfe eines Dolmetschers oder hiesigen Arabern ein.“
- Einschub: 4 Milliarden Euro Gesamtkosten pro Jahr
Deutschlandweit befinden sich 67.194 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut der Jugendhilfe, alleine in den Wochen zwischen dem 1. November und dem 18. Januar kamen 21.301 junge Ausländer in die Zuständigkeit eines Jugendamtes, wie das Bundesverwaltungsamt der „Welt“ mitteilte. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2014 nahmen die Jugendämter 11.642 unbegleitete Ausländer in Obhut, 2008 waren es erst 1.099. Die Zahlen haben sich in einem Jahr mehr als verdoppelt. Berechnungen zufolge, berichtet die „Welt“, kostet je nach Bundesland einer dieser Jugendlichen zwischen 40.000 und 60.000 Euro pro Jahr, mithin 4 Milliarden Euro insgesamt. Im Asylpaket 2 wurde kürzlich der Familiennachzug für minderjährige Flüchtlinge auf zwei Jahre ausgesetzt.
Höchste Zweifel an einer gelingenden Integration kommen der Sozialpädagogin aber aufgrund der Bildungsdefizite der geschilderten Flüchtlingsklientel gegenüber deutschen Schulkindern. Eine Integration könne nur über die Sprache, d.h. das Sprachlernvermögen erfolgen. Hier aber haben viele Jungen größte Defizite, sagt Laura. „Einige dürften jahrelang nicht zur Schule gegangen sein, falls überhaupt. Ein Schulbesuch, auch nach dem Lernen in Deutschlernklassen, erscheint für viele der Zugereisten nicht erfolgreich zu werden.“
Skeptisch sieht sie die Alphabetisierungskurse in Moscheen, wie sie jetzt vom Bund gefördert werden: „Da steht dann das Tor zur Parallelgesellschaft ganz weit offen.“
Unüberwindbare Sprachlernbarrieren
Eine Integration könne wohl im Grundschulalter nach entsprechenden Sprachkenntnissen gelingen. Nur sei diese Altersgruppe nicht die Altersgruppe, die hier unbegleitet zuwandert. Nach Lauras Ansicht gebe es in ihrem Bundesland im Moment keine wirklichen Bildungskonzepte für eine wirksame Integration, lediglich Improvisation. Sinnvoll wäre es, die Vorkenntnisse der Schüler in einem Schultest festzustellen und dann objektiv über Schulform und Klassenstufe zu entscheiden.
Lauras Fazit: „Wir arbeiten alle am Limit. Das Integrationswollen ist da. Aber für eine wirksame Integration ist die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen viel zu hoch. Die Einrichtungen sind vielfach überfordert.“
Wie unkoordiniert und fehlerhaft ein überforderter Staat mit dem Integrationsproblem umgeht, zeigt dieser Tage das Beispiel Hannover. Wohl nach dem Motto “Vornehm geht die Welt zugrunde“ kaufte die Stadt eine 1,6 Millionen Euro teure Villa für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Stadt hatte die soziale Einrichtung in einem reinen Wohngebiet eröffnet, was laut Baurecht aber nicht erlaubt ist. Auf diese Tatsache hatte das Verwaltungsgericht Hannover hingewiesen, nachdem ein Nachbar einen Eilantrag gegen das Wohnheim gestellt hatte. Die Verwaltung bleibt nun auf der leeren Immobilie sitzen und will den Bebauungsplan entsprechend anpassen, was nicht vor Jahresfrist zu erwarten sein dürfte.