Tichys Einblick
Justiz-Irrtum

Wenn eine Justizministerin weder Grammatik noch Recht versteht

Freut Euch, Männer: Zukünftig gelten Geschwindigkeitsbegrenzungen nur noch Autofahrerinnen. Justizministerin Lambrecht verwechselt erst Grammatik mit Geschlecht und setzt dann Eindeutigkeit und Allgemeingültigkeit des Rechts aus. Die Analyse von Romy-Josefine Mann:

imago images / photothek

Seit einigen Tagen erregt der jüngst vorgelegte Referentenentwurf aus dem Justizministerium Aufsehen. Anlass dafür ist der Umstand, dass Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) entschieden hatte, den Text ausschließlich mit dem generischen Femininum zu veröffentlichen, was heißt, dass jedwede Form der geschlechtlichen Darstellung eines Wortes in ihrer weiblichen Ausprägung verwendet wurde – Gesellschafterin, Geschäftsleiterin, Gläubigerin, Schuldnerin, etc.

Auf Nachfrage der BILD-Zeitung erklärte die Ministerin: „Es ist zutreffend, dass der veröffentlichte Referentenentwurf (…) häufig feminine Bezeichnungen insbesondere für juristische Personen wie die GmbH enthält.“ Abgeschlossen sei die Rechts- und Sprachprüfung des Referentenentwurfs jedoch noch nicht, weswegen es bis zur Vorlage im Kabinett womöglich nochmals zu Änderungen kommen könnte.

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Das generische Femininum in allen Ehren, in die Rechtssprache gehört es gewiss nicht. Und wenn überhaupt, dann jedenfalls nicht in dieser Art und Weise. Auch wenn ein Großteil der Verfechterinnen von Frauenrechten den Entwurf der Justizministerin bejubelt hat und dafür zum Anlass nehmen möchte, eine neue Ebene der Gleichstellung zu avisieren, ist die Rechtsordnung ohne Wenn und Aber die falsche Spielweise für derlei Ambitionen. Um es höflich zu formulieren: Es lässt sich nicht einfach mit Rotstift bei der Rechtsordnung ansetzen und hier wie andernorts tollwütig eine „geschlechtergerechte” Sprache in Anwendung bringen.

Die Juristerei lebt neben ihrer ganz spezifischen Art von Wissenschaftlichkeit vor allem auch von einer sogenannten „Rechtsförmlichkeit“. Bei dieser spezifischen juristischen „Förmelei“ geht es vereinfacht gesagt (ebenso wie in vielen anderen Bereichen) um eine schlichte Form von Standesgepflogenheiten und grundlegendem Arbeitsniveau – insbesondere für den Bereich des öffentlichen Rechts sollte die Rechtsförmlichkeit als Grundtugend von tragender Bedeutung sein und das ist sie normalerweise auch. Dennoch fühlt sich die Justizministerin mit ihrer Publikation daran augenscheinlich nicht gebunden und dies hat nicht nur in Fachkreisen für Erstaunen bis hin zu Erregung gesorgt.

Und das ist auch glücklicherweise so, möchte man sagen, wenn man vom Fach ist. Denn leid tun dürften einem fortan all diejenigen, die in ihrer beruflichen Praxis mit derartigen verbalen Ungetümen konfrontiert wären, wie sie durch den Referentenentwurf voraus gedeutet werden. Man versuche, sich Paragrafen vorzustellen, in denen nicht mehr nur Schuldner, sondern „Schuldner*innen“ resp. „Schuldern:innen“ oder „Schuldner/innen“ Erwähnung fänden – und um hier anderen Formen der Diskriminierung gleichsam Einhalt zu gebieten, müsste man der Korrektheit halber auch noch eine passende Bezeichnung für das dritte Geschlecht finden – aber wem fällt spontan eine diverse Geschlechterbezeichnung für den Schuldner oder den Gläubiger ein?

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Um im Weiteren nicht zynisch zu werden, sei gestattet, auf ein hilfreiches Buch zu sprechen zu kommen, das den Titel „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ trägt. Es dient dazu, die Qualität der Rechtsvorschriften in der Bundesrepublik zu gewährleisten und soll ein Nachschlagewerk für all diejenigen sein, die mit den Themen rund um Gesetzgebung beschäftigt sind. So beschreibt die damalige SPD-Justizministerin Brigitte Zypries die Aufgabe des Handbuchs im Vorwort wie folgt:

„Dabei geht es vor allem um die Frage, ob sich die neuen Normen widerspruchsfrei in die bestehende Rechtsordnung einfügen. Ist die Regelung verfassungsgemäß? (…) Passt sie zu den bestehenden Vorschriften gleichen Ranges? (…) Wenn sie die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und die Rechtsanwender erreichen soll, muss die Norm auch übersichtlich gestaltet, klar und verständlich formuliert sein. Um all dies zu erreichen, ist ein einheitlicher Maßstab erforderlich. (…) Ich wünsche allen, die in Gesetzgebung und Rechtsprüfung arbeiten, dass das neue Handbuch ihre Arbeit erleichtert, und dass es dazu beiträgt, juristisch stimmige und verständliche Vorschriften zu schaffen.“

Ob die Justizministerin das Nachschlagewerk bei ihrem jüngsten Entwurf zur Hand genommen oder es schlicht ignoriert hat, kann dahinstehen. Fakt ist jedoch, dass es gewisse Leitlinien gibt, an denen sich Gesetzgebung und terminologische Ausgestaltung von Rechtsnormen orientieren können und sollen.

So heißt es in Teil B „Allgemeine Empfehlungen für das Formulieren von Rechtsvorschriften“ unter 1.8:
„Gesetzentwürfe sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen (§ 42 Absatz 5 Satz 2 GGO, § 1 Absatz 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes). Werden in Vorschriften Personen bezeichnet, stimmt das grammatische Geschlecht der gewählten Personenbezeichnungen jedoch nicht immer mit dem natürlichen Geschlecht der benannten Personen überein. Herkömmlich wird die grammatisch maskuline Form verallgemeinernd verwendet (generisches Maskulinum). In Fällen, in denen das Geschlecht nicht bekannt oder für den jeweiligen Zusammenhang unwichtig ist, kann das gerechtfertigt sein. So können mit den Bezeichnungen „der Eigentümer“, „der Verkäufer“, „der Mieter“ männliche und weibliche, aber auch juristische Personen gemeint sein.“

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Auch den Staats- und Verfassungsjuristen liegt Geschlechtergerechtigkeit und Gleichbehandlung am Herzen, sonst würden viele von ihnen nicht tagtäglich um die Grundsätze aus Artikel 3 des Grundgesetzes streiten. Es muss aber auch klar sein, dass die maskuline Form der Grammatik DIE etablierte Form von deutschem Sprachgebrauch und insbesondere der juristischen Formalsprache war und ist und hoffentlich auch in Zukunft sein wird. Mögen sich die Frauen dessen bewusst sein, dass es hierbei nicht nur um Gleichbehandlung und Geschlechtergerechtigkeit geht, sondern um Praktikabilität, Formalität und juristisches Arbeitsniveau. Auch, wenn es einigen aufstoßen mag, dass sich die Rechtsordnung nicht von einem mitunter völlig vergaloppierten Gender-Wahnsinn infiltrieren lässt, so sollten diese Parteien sich damit trösten können, dass es nur den Frauen vorbehalten ist, sich sowohl vom femininen wie maskulinen Genus angesprochen fühlen zu können. Die Männer müssen sich schlicht mit der maskulinen Form begnügen, unter der sie sich angesprochen fühlen dürfen.

Berechtigerterweise heißt es im Handbuch der Rechtsförmlichkeit weiter:
„Personenbezeichnungen, die nur feminin sind, gibt es selten (z. B. die Waise, die Geisel, die Person). Aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes) folgt, dass sich Vorschriften in der Regel in gleicher Weise an Männer und Frauen richten. Allerdings kann die Häufung maskuliner Personenbezeichnungen den Eindruck erwecken, Frauen würden übersehen oder nur „mitgemeint“.“

Die Problematik ist natürlich nicht unbekannt, sie wird aber nicht einfach übersehen, geschweige denn übergangen – sie wird klar anerkannt, aber auch in Zeiten von „Female Empowerment“ muss es im Sinne der praktischen Konkordanz einen Interessenausgleich in diesem bestehenden Spannungsverhältnis geben. Und der darf ungeachtet aller anderen gesellschaftlichen und sozialen Lebensbereiche nicht zugunsten einer Sprache im Sinne der aktuellen Gender-Thematik ausfallen.
Trefflich formuliert das Handbuch hierzu:

„In Vorschriftentexten darf die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern jedoch nicht auf Kosten der Verständlichkeit oder der Klarheit gehen. Daher gelten für Rechtstexte folgende Grundsätze:

• Die Personenbezeichnung muss eindeutig sein (nicht: „der Käufer und/oder die Käuferin“).
• Der Text muss so formuliert sein, dass er auch dann verständlich ist, wenn er vorgelesen wird.
• Der Text muss übersichtlich bleiben.
• Die Formulierung sollte nicht zu sehr vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen.“

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Ich erlaube mir hinzuzufügen, dass die sprachliche Gleichbehandlung zusätzlich dazu auch nicht auf Kosten der Praktikabilität, Seriosität und Authentizität der deutschen Rechtsordnung gehen darf. Auch die deutsche Rechtsförmlichkeit ist ein Gut ersten Ranges, wodurch unsere Jurisprudenz national wie international das Ansehen genießt, das ihr würdig ist.

Es wäre wünschenswert, wenn das Bundesjustizministerium als „die zentrale Stelle innerhalb der Bundesregierung, die Gesetz- und Verordnungsentwürfe aus allen Ressorts in rechtlicher und förmlicher Hinsicht überprüft und die Bundesministerien bei der Vorbereitung ihrer Rechtsetzungsvorhaben berät“ (cf. Vorwort Handbuch der Rechtsförmlichkeiten), seiner so bezeichneten Aufgabe nachkommt und auch als zentrale Stelle zur Wahrung der Rechtsförmlichkeit agiert. Sehr geehrte Frau Ministerin Lambrecht, nehmen Sie sich die Zeilen Ihrer geschätzten Parteigenossin Zypries zu Herzen und nehmen Sie im Zweifel das Nachschlagewerk zur Hand, wenn Sie Entwürfe erstellen. Es wird Ihnen garantiert dabei helfen, Normen auf den Weg zu bringen, die sich unproblematisch in das bereits bestehende System einfügen lassen und dazu beitragen, Schlagzeilen wie die der letzten Tage zu vermeiden.

 

Headline und Vorspann stammen von der Redaktion

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