Tichys Einblick
Streiten in Zeiten des Populismus

Wenn ein Oberbürgermeister einem SPIEGEL-Reporter sachlich überlegen ist

Der SPIEGEL-Journalist dokumentiert mit zwei, drei, Kernsätzen, worum es ihm auf dem Podium geht. Nämlich seinem Gegenüber subtil die falsche Haltung zu attestieren. Giovanni Deriu berichtet über die Veranstaltung.

© Thomas Niedermueller/Getty Images

Großes Kino in Tübingen. Der Osiander-Buchhandel hatte zu seiner Veranstaltungsreihe eingeladen, denn zwei streitbare Persönlichkeiten saßen sich zum Thema „Streiten in Zeiten des Populismus“ im Kino Museum quasi gegenüber. Der eine, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, genauso Social-Media-affin wie sein Gegenüber, der Publizist und SPIEGEL-Journalist, Hasnain Kazim.

(Das Video des Streitgespräches ist von Campus-TV auch auf youtube zu sehen.)

Schade, das Filmtheater war nicht bis auf den letzten Platz gefüllt, dafür aber saßen die Interessierten, darunter etliche Studenten, recht nah an den Protagonisten.

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Dass Palmer polarisiert, ist bekannt. Doch womit eigentlich, und ist er bereits ein „Rechtspopulist“, dass er so viele Leute auf die Palme treibt und ihm die eigenen „Parteifreunde“ sogar dazu raten, die Grünen in Richtung der AfD zu verlassen.

Boris Palmer beschreibt (für manch einen, leider) die Alltagsrealität seit 2015 – als Kanzlerin Merkel quasi alle „Flüchtlinge“ willkommen geheißen hat. Nie hat Palmer geleugnet, dass es eine humanitäre Aufgabe sei, den bedürftigen Asylsuchenden zu helfen, nur, es kamen, das wissen wir heute, nicht nur Schutzsuchende, nicht nur Bedürftige. Mit den hinzugekommenen Männern stieg auch die Kriminalitätsrate an, sowie Delikte und schwere Gewalttaten mit Todesfolge. Doch als Boris Palmer knapp ein Jahr nach der unkontrollierten Zuwanderung mit seinem Buch, „Wir können nicht allen helfen“, aufwartete, da hatte der schwäbische OB mit seiner Stadtverwaltung bereits das Unmögliche möglich gemacht, und über tausend Migranten Obhut gewährt. Er schuf unbürokratisch Raum und Platz, in einer Universitätsstadt, wo auch Wohnungs- und Zimmerknappheit herrschte. Die Bürgerschaft stand hinter ihrem OB Palmer.

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Dem schwäbischen Politiker also irgendwelche Ressentiments vorzuwerfen, ist schlichtweg unredlich, denn dessen Philosophie und Ansatz hieß stets, wir werden den echten Flüchtlingen „nicht gerecht“, wenn wir auch diejenigen, vorwiegend alleinreisende Männer, hineinlassen, die auf unsere Gesetze pfeifen und nur Sozialleistungen abschöpfen möchten. Allein das reicht aus, um Palmer mit Nazis gleich zu setzen.

Hasnain (Niels) Kazim, SPIEGEL-Reporter und ausgebildeter Marineoffizier, studierte an der Bundeswehr-Universität einst Politikwissenschaft. Und man kann schon sagen, dass Kazim, Sohn indisch-pakistanischer Eltern, eigentlich ein moderner „neuer“ Deutscher ist. Ausländische Wurzeln, aber hier geboren (Oldenburg) und sozialisiert, ohne seine Herkunft verleugnen zu müssen. Ausgebildet und anerkannt in einem liberal-offenen Deutschland, zudem Fuß gefasst in einem anerkannten wie angesehenem Beruf. Hasnain Kazim ist deutscher Staatsbürger und integriert, wie viele andere Söhne und Töchter, in der dritten und vierten „Gastarbeitergeneration“ eben auch. Als Integration noch gar kein öffentliches Thema war, sondern „gelebt“ wurde. Und, die meisten der eingereisten Eltern wollten es selbst, sich richtig zu integrieren. Da war nichts „anrüchiges“ dran.

Hasnain Kazim könnte eigentlich zufrieden und ausgeglichen sein – wie Palmer. Stattdessen, warum auch immer, vielleicht täuscht auch der Eindruck, wirkt Kazim angestrengt. Der Journalist will authentisch wirken, und wirkt doch wie ein anderer. Bei Markus Lanz hat der Autor den Reporter und Korrespondenten erlebt, und nun die Bilder und sein Auftreten in Tübingen. Angestrengt versucht er in Tübingen Pointen zu setzen, wo Boris Palmer sachlich ernst bleibt. Man könnte fairerweise zum Titel des Themenabends auch sagen – zwei Populisten unter sich, nur, der eine ist eben Journalist beim „Krisen-SPIEGEL“.

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Eigentlich verrät der SPIEGEL-Mann und (wie Claas Relotius auch) Preisträger des CNN-Journalisten-Awards, Hasnain Kazim, mit zwei, drei, Kernsätzen, worum es ihm auf dem Podium geht. Nämlich seinem Gegenüber subtil die falsche Haltung zu attestieren. Ganz getreu dem Motto, Boris Palmer würde mit seinen Aussagen all jenen zuarbeiten, die für rechten Populismus, und ja, für Rechtsextreme stünden. Kazims Buch, „Post von Karlheinz“, ist als Handlungsanweisung oder auch „Selbstlob“ zu verstehen, wie man auf „hasserfüllte Emails“ kontert, und es soll noch eines zeigen: die Gefahr lauert nur von Rechts. Selbst, wenn die Post von wahren braunen Dumpfbacken kommt, denen Hasnain Kazim intellektuell haushoch überlegen ist. Es ist genau das, fast wie auch bei Dunja Hayali, man nimmt ihnen weniger das Geschocktsein darüber ab, als vielmehr die Koketterie damit. Seht her, das ist das Deutschland von heute, und wir warnen vor euch. Rassistisch und braun. Seltsamerweise teilen gerade diese Sichtweise nicht die Zuwanderer und Flüchtlinge, die es im Verhältnis am meisten nach Deutschland zieht. Für sie ist Deutschland sehr offen und (fast zu) liberal.

So meinte der Journalist Kazim im Tübinger Kino, stets einen Tick zu ironisch oder leicht infantil, über Palmers Art: „… man müsse Worte schon sorgsamer auswählen. Ich kann ja Sorgen und Nöte [der Leute] schon nachvollziehen, wenn man sie denn sorgsam formuliert“, und weiter in Richtung Palmer, „die meisten jedoch, argumentieren nicht so sachlich über ihr Unbehagen, wenn in der Nähe ein Flüchtlingsheim ist“, nein, und hier verallgemeinert Kazim von den Emails und der Wortwahl darin, auf alle anderen, „die meisten tun es nicht! Die meisten sagen, wir müssen sie an der Grenze abknallen – fünf Ausrufezeichen. Wir müssen sie aufs nächste Schlauchboot setzen, raus aufs Mittelmeer, am besten mit ’nem Loch drin…“, so die Ausführungen Kazims.

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Sind solche Leute tatsächlich der Maßstab, vor dem sich ein starkes Deutschland in Acht nehmen muss? Wo doch gegen jede Art von derartiger Volksverhetzung auch Anzeige erstattet werden kann? Laut des SPIEGEL-Reporters tun es immer mehr Leute ganz offen, verbal zu hetzen. Auch ihm gegenüber. Anscheinend auch in seinem näherem Umfeld, auf dem Weg zur Arbeit, im Zug. Das andere Deutschland.

Und zurück zu Palmer, „wenn der etwas kritisiert oder so sagt“, fühlten sich Leute von der Pegida dazu berufen, noch viel schlimmere Dinge zu rufen („absaufen, absaufen“). Wir wundern uns wirklich, wie ein gestandener Autor eines großen Nachrichtenmagazins so einfältig argumentieren kann. Bei allem Respekt, wenn das kein linker Populismus ist?

Palmer würde „ein Klima schaffen“, dass Leute so tickten. Boris Palmer nippte am Wasserglas, während sich Kazim auch Ministerpräsident Kretschmann vornahm. Denn dessen Ausspruch, „wir schicken alle in die Pampa“, sei sowieso „Blödsinn“, und schüre nur Agressionen. Immerhin gab der Journalist zu, dass auf dem Lande Integration besser gelingen könne, vorausgesetzt, es gebe dort genügend Leute, die die Flüchtlinge „an die Hand“ nehmen.

Immerhin wies der Moderator darauf hin, dass der „Politikersprech“ nicht immer so akkurat sei, vielleicht auch emotionaler, um von allen verstanden zu werden.

TE 06/2018
Boris Palmer: „Die Nazikeule zieht nicht mehr“
Kazim gehe es um die vernünftige Form. Boris Palmer, das Handy zur Hand, erlaubte sich den Einwand, dass er genauso ein Buch, wie Kazims „Post von Karlheinz“, jedoch mit Emails von „Sabine“ veröffentlichen könnte, weil die Antifa oder linken Sektierer „genauso“ niveaulos schreiben, und damit zusätzlich die Rechte sowie die „AfD“ stärken würde.

Palmer und Kazim waren sich jedoch einig, dass es im großen Pulk der „Facebook-Schreiber“ stets einen Kern an Leuten gibt, die man nicht „erreichen“ könne. Extremisten auf jeder Seite (links, rechts, islamistisch), Nazis und Rassisten. Beide versuchen manchmal, mit den frustrierten Schreibern zwar ins Gespräch zu kommen, doch wenn Moral und Anstand fehlten, ende die Konversation bei Kazim schon einmal mit einem „Leck mich am Arsch!“

Dass Hasnain Kazim dann noch die Geschichte mit dem „Studenten auf dem Fahrrad“ (es war ein Afrikaner) und Palmers Insistieren spätabends bei einem Studentenpärchen (wegen einer Beleidigung und Ruhestörung), das ihn dann auch noch anzeigte, verwechselt und vermischt – geschenkt. Boris Palmer lächelt großzügig, stellt die Geschichte klar, und Kazim kann seinen „extra mitgebrachten“ Ausweis stecken lassen. Glück gehabt.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.

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