Im oberfränkischen Hirschaid, einem Städtchen mit etwas über zwölftausend Einwohnern, kam es kürzlich zu einem Ereignis, über das etliche überregionale Medien breit berichteten. Bundespolitiker äußerten sich, demnächst beschäftigt sich das bayerische Parlament mit dem Vorfall, möglicherweise auch der Bundestag. Das Menetekel von Hirschaid bestand darin, dass etwa 300 Landwirte auf der Straße protestierten, während der Kreisverband der Grünen im geschlossenen Raum tagte.
Die Versammlung konnte stattfinden, nur eben nicht ganz ungestört. Einige Landwirte betätigten die Hupe an ihrem Traktor, jemand zündete einen Böller, und wie es im Polizeibericht hieß, kam es außerdem noch zum „Leuchten mit Scheinwerfern und Hineinfilmen in den Veranstaltungsraum“, außerdem noch zum „Klopfen an den Fenstern“. Die Klopfgeräusche stammten also anders als in dem Lied der „Comedian Harmonists“ nicht vom Regen, der metaphorisch für den Verehrer steht, sondern von verstimmten Bauern, die in Hirschaid stellvertretend für viele andere Grüße von der Außenwelt bestellten. Seine Parteifreunde, sagte der Grünen-Kreisvorsitzende Tim-Luca Rosenheimer, hätten an diesem Abend „extreme Angst“ verspürt. Bevor es in diesem Text weiter um Angst, Unmut und die Veränderungen im Land geht, soll hier noch ganz kurz das Thema ‚Versammlungsstörung‘ gestreift werden.
Vor gar nicht allzu langer Zeit sprengten linksradikale Aktivisten und Hamas-Anhänger an der Humboldt-Universität eine Diskussionsveranstaltung, an der eine Vertreterin des Obersten Gerichts von Israel teilnahm, oder besser, teilzunehmen versuchte. Das oberste Gericht Israels, das nur nebenbei, liegt über Kreuz mit der Regierung Netanyahu, wer also nur dessen Kurs kritisieren wollte, hätte in ihr vermutlich eher eine Unterstützerin. Darum ging es denjenigen nicht, die alles, was die Juristin zu sagen versuchte, mit ihrem Gebrüll erstickten. Sie wollten jede Debatte mit einer Vertreterin Israels verhindern, völlig unabhängig von ihren Positionen.
Etwas ganz Ähnliches passierte bei einer Lesung aus Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ im Hamburger Bahnhof in Berlin. Der Abend endete schnell, weil die üblichen Postkolonialisten, Kritischen Rassentheoretiker und Generalankläger, wie sie Universitäten mittlerweile in Serie auf die Gesellschaft loslassen, die Vorleserin so lange niederschrien, bis sie aufgab.
Die Leitung der Humboldt-Universität erklärte die antisemitischen Brülltruppen in ihrem Haus zu „propalästinensischen Aktivisten“, ansonsten zeigte sie sich weder sonderlich überrascht noch empört.
Weder in dem einen noch dem anderen Berliner Fall meldeten sich auch nur annähernd so viele Politiker zu Wort wie nach der wegen einiger Demonstranten abgesagten Aschermittwochsveranstaltung der Grünen in Biberach und dem Fensterklopfterror von Hirschaid. Es befassten sich auch sehr viel weniger überregionale Medien damit. Schon gar nicht erschien in der ZEIT ein Aufruf, jetzt müssten sich alle zum Schutz von Veranstaltungen unterhaken, die irgendwelchen identätspolitischen Empörungssturmabteilungen nicht passen.
In der Vergangenheit konnten außerdem Veranstaltungen an mehreren Universitäten wegen angedrohter Störaktionen nicht stattfinden, beispielsweise ein Vertrag des Historikers Jörg Baberowski an der Universität Bremen, ein Auftritt des Polizeigewerkschaftlers Rainer Wendt an der Universität Frankfurt und eine populärwissenschaftliche Vorlesung der Biologin Marie-Luise Vollbrecht über den Unterschied zwischen biologischen Geschlechtern (zwei) und Geschlechtsrollen (variabel) an der Humboldt-Universität.
In jedem dieser Fälle drohten diejenigen, die nicht diskutieren, sondern verhindern wollten, mit etwas mehr als bloßen Klopfgeräuschen am Fenster. Und in keinem einzigen Fall empörte sich ein Jürgen Trittin, ein Robert Habeck, eine Claudia Roth und andere, die jetzt gerade wegen Biberach und Hirschaid die Demokratie wanken sehen, über Methoden dieser Art, die wie erwähnt ein bisschen über Hirschaid hinausgingen. Es findet sich in den Archiven einfach nichts dazu.
Dafür aber etwas anderes, wenn es um Blockade und Sprengung von Versammlungen der Pariapartei ging und immer noch geht, für die nach grüner Einschätzung auch nach Hirschaid andere Regeln gelten. Im Grunde genommen gar keine außer der, dass alle Mittel erlaubt sind. Nach erfolgreicher Blockade eines AfD-Parteitags in Niedersachsen etwa berichtete der damalige Vorsitzende der Grünen Jugend Timon Dzienus 2021 auf Twitter Vollzug: „Niemand kommt aufs Gelände, keiner mehr weg.“
In den Handreichungen der Organisation „Aufstehen gegen Rassismus“ – zu den tragenden Mitgliedern gehören Jusos, Linke, IG Metall, ver.di und der Zentralrat der Muslime – heißt es zu Aktionen gegen die AfD:
„Wenn ihr nicht verhindern könnt, dass die Veranstaltung stattfindet, könnt ihr trotzdem dafür sorgen, dass die AfD ihre Propaganda nicht ungehindert verbreiten kann. Vielleicht schafft ihr es, euch mit mehreren Leuten in die Veranstaltung hineinzuschummeln. Drin könnt ihr z.B. mit Zwischenrufen, Sprechchören, einer versteckten Bluetooth-Box oder Trillerpfeifen für Ablenkung sorgen oder die Veranstaltung sogar komplett verhindern.“
Aber das, antworten Grüne und wohlgesinnte Medienvertreter, sei doch wohl nicht das Gleiche oder vergleichbar, auf der einen Seite das Niederbrüllen von Podiumsdiskussionen, die Drohungen gegen unerwünschte Redner an Universitäten, das etwas robuste Vorgehen gegen die Partei der Unberührbaren sowieso, und auf der anderen Seiten Hup- und Klopfkonzerte, wenn Grüne sich zur Beratung zusammensetzen. In gewisser Weise stimmt das auch. Keine israelische Richterin und kein als rechtsradikal verleumdeter Professor entwirft Paragraphen, um bis in die Heizungskeller von Normalbürgern hineinzuregieren, das Bauen zu verteuern oder ganz zu verunmöglichen, keiner erklärt die gerechte Verteilung häuslicher Arbeit zur staatlichen Aufgabe, kündigt eine Energieversorgung nach Wetterlage an, vertritt eine Migrationspolitik, die das Land zerreißt, zieht bisher gut bezahlten Industriebeschäftigen die Arbeitsplätze unter den Füßen weg, keiner regt in Wir-haben-Platz- und Zusammenland an, die Alten aus ihren zu großen Behausungen zu treiben.
Niemand aus diesem Personenkreis vertritt die Ansicht, Wohlstand müsste in Zukunft eben anders definiert werden, nämlich nicht mehr so materiell, vor allem, solange es andere betrifft. Auch die AfD tut es nicht. Und selbst wenn sie es täte, würde dieser Partei, die bisher nur einen Landrat und eine knappe Hand voll Bürgermeister stellt, die Macht dazu fehlen, tatsächlich auf Land und Leute einzuwirken.
Vor allem fordert kein einziger aus der oben bezeichneten und sehr heterogenen Gruppe, bei der es sich eigentlich gar nicht um eine wirkliche Gruppe handelt, die Normalbürger müssten jetzt endlich einmal ihre Angst vor Veränderungen überwinden, sie halten also keine Anfeuerungsreden wie Hedwig Richter, Professorin an der Bundeswehruniversität München, die meint, bei der Transformation könnte es gesellschaftlich hier und da ein bisschen ruckeln, am Ende würden die Menschen sich glücklich schätzen, wenn sie endlich jemand von dem Zwang befreit, ein Auto zu besitzen.
Original hier (ab 14 min. 30s). Oder ein Ausschnitt hier:
Auch Sätze wie die von Katrin Göring-Eckardt dringen zuverlässig nur aus einer Richtung in die Restgesellschaft: „Meine Partei steht eben wie keine andere für Veränderung. Und die ist immer schwer, vor allem, wenn sie konkret wird und es um einen selbst geht. In Ostdeutschland ist die Veränderungsmüdigkeit wahrscheinlich tendenziell größer als in Westdeutschland.“
Nun wenden manche vielleicht ein, Robert Habeck und Göring-Eckardt gehörten zwar zweifellos zum grünen Politikpersonal, Hedwig Richter sei aber Wissenschaftlerin, und den Vorschlag, Alte mit einer „Alleinwohnsteuer“ aus ihren zu großen Räumen zu treiben, um Platz für andere zu schaffen, sei in der Süddeutschen erschienen.
Allerdings nehmen sehr viele Menschen an dieser Stelle nicht mehr getrennte Mächte wahr, sondern einen politisch-akademisch-medialen Komplex von ziemlich einheitlicher Färbung. Wenn Personen und Institutionen so eng zusammenrücken, ergibt die Differenzierung irgendwann keinen Sinn mehr.
Wahrscheinlich facht nichts die Wut von Normalbürgern mehr an als die Unterstellung, sie klammerten sich zu sehr an das Gewohnte, und sie fürchteten sich unsinnigerweise vor Veränderungen. So gut wie niemand wehrt sich gegen Veränderungen zum Besseren. Eine Mehrheit empfindet sogar schon Dankbarkeit, wenn sich ihre Lebensverhältnisse nicht weiter verschlechtern. Was für sie als Verbesserung beziehungsweise Verschlechterung gilt, entscheiden die Betroffenen am liebsten selbst. Sie lassen es sich besonders ungern von Bundestagsvizepräsidentinnen und verbeamteten Professorinnen erklären, also Transformationstechnikern mit üppiger Pensionsberechtigung. Oder von Journalisten, die bei nächster Gelegenheit den Steuerzahler um Stütze angehen.
Bei der Entwicklung, die neuerdings auch Auftritte und Zusammenkünfte von Grünen ungemütlich macht, handelt es sich zweifellos um eine Veränderung. Und zwar eine, die das Leben und Wirken grüner Politiker verschlechtert. Wenn sich eine Gesellschaft auf Geheiß von Amtsträgern fundamental wandelt, dann ändern sich auch ihre Bürger. Vor allem dann, falls die Transformation ihnen nicht nützt, sondern objektiv schadet. Eher friedfertige und in politischen Angelegenheiten behäbige Zeitgenossen verwandeln sich ab einem bestimmten Punkt der eigenen Betroffenheit in wütende Subjekte, die sich auf einmal zu Aktionen bereitfinden, die ihnen in Zeiten der alten ausgleichenden Wohlstandsbundesrepublik nie in den Sinn gekommen wären.
Diejenigen, die schon länger unter dem Verschlechterungswandel leiden, können den Grünen jetzt völlig zurecht zurufen, sich bitte weniger fragil zu benehmen und keine Veränderungsmüdigkeit vorzuschützen. Was soll denn aus der großen Transformation werden, die keinen Stein mehr auf dem anderen lässt, wenn die Transformationstreiber schon jetzt schwächeln, bloß weil ihnen jemand ans Fenster klopft? Die fragenden Bürger könnten außerdem die Worte der ZDF-Frontfrau Dunja Hayali vom 29. Januar 2021 zitieren: „Man kann in Deutschland eigentlich alles sagen. Man muss dann halt manchmal mit Konsequenzen rechnen.“
Andere aus sicherer Position für ihre mangelnde Veränderungsbegeisterung verspotten, wenn sie in Wirklichkeit nur Verschlechterungen abzuwehren versuchen – mehr Verachtung geht kaum. Wenn es ein Juste milieu gibt, das für sich selbst die Macht- und Einkommensverhältnisse zu zementieren wünscht, dann die Triade progressiver Berufspolitiker, staatsgeldversorgter Neoregierungsorganisationen und in irgendeiner Weise bezuschusster Medienvertreter. Und wenn jemand weiß, wie man sich weitgehend klaglos durch Veränderungen navigiert, dann am ehesten Mittelständler, Landwirte, Handwerker, Gewerbetreibende, Selbstständige und generell Leute, die ihr Geld in der freien Wirtschaft verdienen.
Vor einigen Jahren besuchte ich eine Firma in Baden-Württemberg, das damals gerade sein hundertjähriges Bestehen feierte. Das heißt: ‚feiern‘ musste eher metaphorisch verstanden werden. Der Chef, Unternehmer der vierten Generation, erwähnte den runden Jahrestag gar nicht, als er mich über das Gelände führte. Die Rolle des schwäbischen Kapitalisten verkörperte er mit allem Drum und Dran, ausgeprägter Dialekt, Hingabe an die technischen Feinheiten seiner Produkte, dazu das Bedürfnis, sich ausgiebig über Politiker aufzuregen, die nichts von seinem Geschäft verstünden, aber ständig neue Vorschriften dafür erfinden würden. Das Mittelstandsunternehmen baute Wechselrichter, also Anlagen, die Gleich- in Wechselstrom verwandeln. Der Exportanteil lag damals bei fünfzig Prozent.
Als seine Vorfahren die Fabrik gründeten, begannen sie mit der Herstellung von Verstärkerröhren, dann folgten allerlei Teile für Radioapparate, später wieder etwas anderes, und schließlich eben Wechselrichter, hauptsächlich für Solaranlagen. In Gegenden Afrikas und Indiens fernab vom Stromnetz, erzählte der Chef, sei Solartechnik zur Versorgung von Siedlungen eine gute Idee, bei der Sonnenscheindauer und Strahlungsintensität funktioniere sie dort ohne Subventionen, und es müssten auch keine teuren Leitungen gebaut werden. Dass die Firma nach einem Jahrhundert existierte, verdankte er der enormen Anpassungsfähigkeit seiner Vorgänger, die ganz selbstverständlich von der Veränderung als einziger Konstante im Geschäftsleben ausgingen.
Wenn er über die Politik schimpfte – wobei er schwäbische Wendungen benutzte, deren Bedeutung ich nur ahnen konnte – dann erfüllte er vermutlich alle Haldenwang’schen Kriterien für Staatswohlgefährdung. Die gab es damals noch nicht, genauso wenig wie eine Bundesvorsitzende Ricarda Lang, die idealtypische Repräsentantin des gesamtgrünen Komplexes. Sie meinte vor wenigen Tagen in einer Talkshow, sie und andere führende Köpfe ihrer Partei müssten Unternehmen „bei der Modernisierung unterstützen“, ihnen also überhaupt erst einmal erklären, wie sich Technologien und Märkte demnächst entwickeln. Als FDP-Chef Christian Lindner in der Sendung seine Skepsis andeutete, ob Staatsvertreter darüber tatsächlich so gut Bescheid wüssten, machte Lang ihm die Verhältnisse deutlich: „Wir kommen aus verschiedenen Denkschulen.“
Der schwäbische Mittelständler kannte, wie erwähnt, viele Wechselfälle und hielt prinzipiell alles für möglich. Aber unter keinen Umständen würde es ihm einfallen, jemand wie Lang zu fragen, wohin er seine GmbH entwickeln sollte. Nie würde er sie um Hilfe bei der Planung bitten, sondern vermutlich sagen: Helfen Sie mir nicht, allein ist es schon schwer genug. Leute wie dieser Unternehmer halten es für Wahnwitz, wenn Politiker wie Ursula von der Leyen, Robert Habeck, Lang und andere den Energieerzeugungsmix bis 2050 und die Antriebstechnologie für Fahrzeuge ab 2035 festlegen oder bestimmen wollen, dass bis 2030 dreißig Prozent aller Lebensmittel in Deutschland aus Bioanbau stammen sollen. Der Firmenbesitzer könnte ihnen erklären, dass er selbst nicht weiß, wie sein eigener Markt in zehn Jahren aussieht, und demzufolge, was sein Unternehmen dann tut, um weiter zu überleben. Und warum er nie Haus und Hof darauf verwetten würde, dass sich bestimmte Szenarien irgendwelcher Energiewende-Thinktanks ein Jahrzehnt später genau so verwirklichen wie auf dem Planungspapier von Abgeordneten, Professoren und Lobbyisten, die noch nie im Leben für irgendetwas haften mussten.
Unternehmer dieser Sorte, aber auch ihre Angestellten macht es deshalb außerordentlich wütend, mindestens so sehr wie Demonstranten von Biberach und Hirschaid, wenn ihnen eine Berufsfunktionärin, die weder über einen Abschluss in irgendeiner Denkschule noch eine einzige Lebenssekunde Erfahrung in einem beliebigen Unternehmen verfügt, sie über den Inhalt ihrer Hosentaschen belehren möchte. Es macht sie sehr unwirsch, wenn ihnen eine andere ungelernte Steuerzahlerkostgängerin den Unwillen gegen künftige Verschlechterungen wegzutherapieren versucht.
Hier stehen nicht verschiedene Denkschulen gegeneinander, sondern Erfahrungswelten, wobei sich die Erfahrung sehr, sehr ungleich verteilt. Auf der einen Seite stehen Normalexistenzen, die gar nichts anderes kennen als die Kunst, unentwegt Veränderungen mitzumachen und dabei irgendwie ihre Interessen zu schützen, auf der anderen eine Kaste, deren Mitglieder nie etwas gründen, nie etwas Nützliches produzieren, sich nie dem Markt aussetzen und nie dafür bezahlen, wenn ihre Entscheidungen sich als falsch herausstellen. Die Wut der einen auf die anderen übertrifft bei weitem die Aufregung über Details wie Agrardiesel, CO2-Steuererhöhung, die Steuern überhaupt, alleserstickende Vorschriften und die Außenministerinnenbemalung auf Staatskosten.
Ich stehe auch aus biografischen Gründen auf der Seite des schwäbischen Firmenchefs. Mein kleines Flexbilitätsgen stammt wahrscheinlich von meiner Urgroßmutter, die einen Dorfladen führte, also ein Geschäft für fast alles außer Lebensmittel. Sie steuerte das winzige Unternehmen durch den Ersten Weltkrieg, Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg und sogar noch die Anfangsjahre der DDR. Dabei erwies sie sich als Meisterin des permanenten Wandels, obwohl sie das Dorf in ihrem langen Leben nur selten verließ.
Apropos Wandel: Die Arbeitsplatzverluste in der Industrie beginnen erst. Schon 2023 fiel die Wertschöpfung in der chemischen Industrie auf den Stand von 1993. Für das aktuelle Jahr und die folgenden kündigte BASF-Chef Martin Brudermüller die Stilllegung weiter Anlagen im Stammwerk Ludwigshafen an, und kommentierte das mit dem Satz: „Wir müssen uns davon verabschieden in Deutschland, dass die guten alten Zeiten wiederkommen.“ Von den 27.000 Jobs in der Autozulieferersparte hängen achtzig Prozent am Verbrenner. Bleibt das Verbot auf EU-Ebene, verschwinden die meisten davon. Der Wohnungsbau erreicht 2024 wahrscheinlich den historischen Tiefstand von 2009. Es verlieren in den kommenden Monaten und Jahren auch bisher gutverdienende Facharbeiter ihr Auskommen, Ingenieure und leitende Angestellte eingeschlossen.
Wenn sich die Wut der Bauern, der Spediteure und Gastronomen mit der von Arbeitern verbindet, dann, so lautet meine Prophezeiung, die sich jeder grüne Kreisverband ausdrucken und ins Büro hängen sollte, kommen Verhältnisse, gegen die sich das Böllerzünden in Biberach und das Fensterklopfen von Hirschaid wie ein leichtes Säuseln ausnehmen werden, eine freundliche Warnung, ein Präludium. Kurzum, Zustände wie in Hirschaid, das werden für die Grünen dann die guten alten Zeiten von gestern sein, die ebenfalls nie zurückkehren. Dann kommt womöglich eine Ära, in der viele Abgeordnete, Angestellte und Projektmacher des grünen Komplexes ihre Anpassungsfähigkeiten zum ersten Mal im Leben beweisen müssen, weil Mandate, Verträge und Geldflüsse enden.
Ein Redakteur der „Süddeutschen“, eben noch obenauf mit seinen Deportationsplänen für platzraubende Alte, später dann wirtschaftsbedingt vielleicht ohne Redakteursstelle und Budget für die Altbauwohnung, dürfte dann die Existenz von Archiven verfluchen. Nicht jeder Vermieter und jeder Arbeitgeber findet solche Leute sympathisch, auch wenn sie versichern, sie hätten es ja gar nicht so gemeint.
Und was die Hoffnung angeht, zusammengetrommelte breite Bündnisse auf den Straßen könnten den Grünkomplex vor den Wütenden schützen: Sehr viele von denen, die gerade auf die öffentlichen Sophie-Scholl-Ähnlichkeitswettbewerbe gehen, gehören in irgendeiner Form zu den Gewinnern der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse, ob als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes oder staatlich durchfinanzierter Organisationen, oder als Postkolonialismus- und Politikstudenten, die noch selbstverständlich davon ausgehen, einen steueralimentierten Arbeitsplatz zu finden. Es könnte der Augenblick kommen, cito et velociter, an dem sich dieser Anhang einfach nicht mehr finanzieren lässt. Das nennt sich Wandel. Die Betroffenen sollten ihm aufgeschlossen begegnen. Ich drohe nicht. Ich klopfe nur ganz sacht an. Und will nur anmerken, dass es von der Antike über die Renaissance bis in die Neuzeit immer wieder Augenblicke gab, in denen Heerführer und ganze Regionalmächte ihre Landsknechte nicht mehr bezahlen konnten. Die suchten sich dann andere Tätigkeitsfelder, auf denen sie ihre Verwüstungsspuren zogen, zausten aber meist ihre alten und nunmehr bankrotten Auftraggeber noch gehörig, bevor sie sich verabschiedeten.
Der elfenbeinturmhohe Überbau steht immer auf einem materiellen Fundament, um das sich andere kümmern. Wenn dort unten die Wutströme zusammenlaufen, bleiben die Oberen meist nicht unberührt. Schon im deutschen Sozialismus ohne Westgeld waren Arbeiter und Bauern bekanntlich die Problembären. Und nicht die Funktionäre, die Wirtschaftsplaner, die hunderttausendfachen Inspekteure, Kontrolleure, die Kultur- und Medienschaffenden. Als deren hoher Bau am 17. Juni 1953 schon einmal gefährlich wackelte, saß Bertolt Brecht angeblich zusammen mit Kurt Barthel im Gebäude des Schriftstellerverbandes. Kurt Barthel nannte sich übrigens Arbeiterschriftsteller und – so lautete sein Künstlername – Kuba. Kein vernünftiger Arbeiter fasste seine Bücher an. Als beide die Rufe der Demonstranten hörten, die dem Gebäude näherkamen, meinte der Dialektiker Brecht: „Kuba, deine Leser kommen.“
Ich mache grundsätzlich nichts anderes als Richarda Lang, Robert Habeck, Marcel Fratzscher und Patrick Graichen. Ich prognostiziere. In zehn oder auch nur fünf Jahren vergleichen wir die jeweilige Stichhaltigkeit unserer Voraussagen. Für das, was kommt, so meine jedenfalls ich, sollten sich die Grünen und ihr Umgebungsmilieu entweder einen sehr viel festeren Gemütspanzer zulegen als bisher, am besten nach Vorbild der Chavistas in Venezuela. Oder sich überlegen, ob sie nicht besser doch ein bisschen Veränderungsbereitschaft zeigen, was ihren Kurs angeht. Anderenfalls sammelt sich draußen vor dem grünen Haus irgendwann eine Menge, die nicht nur auf ihre Weise fensterln will.
Dann heißt es: „Katrin, Ricarda, Robert: Da kommen die Menschen, die ihr immer in die Zukunft mitnehmen wolltet.“