Tichys Einblick
Bauern vor dem kalten Reichstag

„Wenn das durchgeht, brauchen wir gar nicht mehr zurückzufahren“

Demonstrierende Bauern sind seit Wochen in Berlin und versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Doch Politik und Medien ignorieren sie trotz beachtlichem Aufgebot. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und verharren auch in eisiger Kälte. Ein Besuch vor Ort.

IMAGO / Reiner Zensen

Sie kommen aus Württemberg, aus Ostfriesland, dem Emsland, Bayern, Bremen, Thüringen – mit dem Traktor, über 700 sollen es diese Woche in Berlin sein.
Manche erzählen uns, dass sie seit zwei Wochen hier sind und vielleicht nochmal so lange bleiben wollen. Sie parken Nachts in der Nähe des Alexanderplatzes, am Tag fahren sie durch die Stadt und versuchen sich Gehör zu verschaffen. Wer den Klang von hunderten hupenden Traktoren hört, meint, dass das keine allzu schwere Aufgabe sein dürfte. Doch in dieser Stadt schon.

Die Medien berichten zaghaft. Wer herausfinden will, ob und wo gerade ein solcher Protest stattfindet, muss lange recherchieren. Der RBB lässt sich jetzt nach zwei Wochen mal blicken, nachdem die Bauern vor dem Sendegebäude Druck machten. Die meisten anderen kommen gar nicht, besonders von den Öffentlich-Rechtlichen ist man hier enttäuscht.

Dabei ist die Kulisse viel zu spektakulär, um nicht von ihr zu berichten: Hunderte Traktoren direkt vor dem Reichstag, im Schnee. Zu jeder vollen Stunde ein Hupkonzert zwischen Reichstag, Paul-Löbe-Haus und Bundeskanzleramt. Sie wollen eigentlich nur, dass mal einer aus einem dieser Gebäude herauskommt und mit ihnen spricht. Ab und an passiere das auch, eine Staatssekräterin sei mal gekommen. Aber viel Zeit hatte sie nicht. 

Die Lage der Bauern ist ernst, sagen sie. Das neue „Aktionsprogramm Insektenschutz“ droht. Gemäß städtischen Wünschen nach Grundwasser- oder Insektenschutz soll die ohnehin schon stark reglementierte Landwirtschaft weiter beschränkt werden. Die Konsequenz: Auf 1,32 Millionen Hektar kann de facto kein landwirtschaftlicher Anbau mehr stattfinden, rund acht Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen würden entfallen, wenn ein Mindestabstand zu Gewässern eingehalten werden muss.

Niemand habe so Interesse daran, Insekten und die Natur zu schützen wie sie, sagen die Bauern. Ohne Insekten funktioniert schließlich nichts. Aber wenn die Landwirtschaft hier kaputt gemacht wird, müssen Nahrungsmittel aus dem Ausland importiert werden – wo es keine Richtlinien gibt und man womöglich noch die Regenwälder abholzt.

Die meisten hier haben einen fast schon idealistischen Anspruch. Klar, wer diesen Job noch macht, tut es sicher nicht allein um des Geldes willen.

Was in Berlin vor sich geht, kann hier keiner mehr verstehen. Und was ist mit dem Bauernverband? Betretenes Schweigen. Hier fühlt sich keiner mehr repräsentiert. Und die Landwirtschaftsministerin interessiere sich auch mehr für Umwelt-NGOs als für die Landwirtschaft.

Es schneit. Eigentlich ist es zu kalt, zumindest für den üblichen Demo-Rummel. Die Bauern sind da härter im Nehmen, sie wärmen sich an Feuern, grillen und haben vier Fleecejacken übereinander angezogen – kein Scherz, ich habe nachgezählt. Aber selbst für hartgesottene Bauern dürfte das kein Vergnügen sein. „Wenn das hier so durchgeht, brauchen wir gar nicht mehr zurückzufahren“, sagt uns der Veranstaltungsleiter. Sie stehen vor dem Niedergang, viele vor dem Ruin. Deshalb verharren sie hier. Einige sollen Selbstmordgedanken haben, wird mir berichtet.

Sie sind dennoch herzlich, sie freuen sich, wenn jemand kommt und nachfragt. Der Veranstaltungsleiter will einen jüngeren Kollegen und eine Kollegin in den Vordergrund ziehen, er habe genug geredet, er lächelt. Na gut, sagen wir, aber ein paar Worte wollen wir auch von ihm hören (siehe oben).

Oft kämen hier Anwohner vorbei, winken und bringen Heißgetränke. Die Landwirte erhalten viel Zuspruch aus der Bevölkerung. Wir frieren ein wenig, schnell bietet man uns an, in einen der Trecker zu steigen.

Einige Berliner Autofahrer sind genervt, sicherlich, aber die Anliegen der Landwirte könnten sie auch verstehen. Das sind ja genauso normale Leute wie sie. Aber man sieht leider keinen anderen Weg.

Ein Passant sei auf einen Trecker gesprungen, habe die Scheiben eingeschlagen und „Mörder“ geschrien, erzählt uns ein Zeuge. Andere möchten dazu nichts sagen. Man wolle nicht vom Thema ablenken. Wir halten es dennoch für erwähnenswert. 

Die Moltkebrücke zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt ist vereist, alles leer und weiß im Zentrum der Republik. Auf der Spree schwimmen Eisschollen. Nur die Bauern bleiben. Wo sollen sie auch hingehen. 

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