Ich bin gerade in dieser Sekunde ein Held, denn ich sitze zu Hause während ich diesen Satz schreibe. Und wenn Sie diesen Satz gerade in ihrem Schaukelstuhl (oder einer anderen Sitzgelegenheit ihrer Wahl, um nicht zu diskriminieren) bei Ihnen zu Hause lesen, dann Gratulation! Sie sind hiermit auch ein Held. Sie und ich reihen uns damit in eine lange Liste von großen Helden ein – Sophie Scholl, Martin Luther King, Malala und Stauffenber… ah der nicht, aber dazu kommen wir noch später.
Wir sind ein Volk von Helden. Das kann ich ganz ungestraft so sagen, die Bundesregierung tut es ja schließlich auch. Die letzte oskarverdächtige Steuergeldschleuder ist noch nicht lange her, da bricht schon die nächste auf uns herein. Dieses Mal wird uns erklärt, was es heißt, ein Held zu sein – Corona machts möglich. Denn das Land braucht jetzt Helden. Die zweite Welle bricht herein, aber niemand will sich so recht an die Maßnahmen halten. Vor allem die jungen Leute nicht, die trotzdem einfach egoistisch weiter feiern und sich nicht bändigen lassen.
Wie die Medaille mit dem Sofa wahrscheinlich schon vermuten lässt, war seine besondere Leistung, nichts zu tun. Er erzählt uns wie seine Freunde ihn den “faulen Tobi” nannten, weil der schon immer kaum das Haus verlassen hat. Er zockte den ganzen Tag Videospiele, hatte keinen Ehrgeiz im Leben. Es läuft tragische theatralische Geigenmusik im Hintergrund, während er sich daran erinnert, dass er sich von Ravioli aus der Dose ernährte und nicht mal den Anstand besaß, die wenigstens warm zu machen – weil er auch dafür zu faul war. Als Corona ausbrach, blieb er der gleiche und die Welt um ihn änderte sich. Plötzlich war “nichts tun” ein Dienst für die Gemeinschaft, zu diesen “besonderen, schweren Zeiten”. “Aber es war leicht ein Held zu sein”, ist sein Schlusswort und er lächelt in die Kamera, als hätte er uns gerade die tiefsten Abgründe seines menschlichen Daseins geschildert.
Der Regierungssprecher Steffen Seibert hat die drei Videos auf seinem Twitteraccount hochgeladen. Erst zwei am Stück und dann nach einem anderen Post das dritte Video. Der Post, der die drei Heldengeschichten voneinander trennt, ist ein Tweet von der Bundeswehr, den er retweeted hat. Der Text handelt von Volkstrauertag, AKK gedenkt am Ehrenmal den Soldaten “die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben ließen”. Ob die auch als große Helden, Idole oder gar “Musterbürger” bezeichnet wurden? Nein, sie haben ja nicht zu einer Pandemie ins Sofa gefurzt, die Bezeichnung gebührt ihnen also nicht, sie sollten lieber ungestraft weiterhin als Mörder bezeichnet werden. Die tragische Ironie darin ist dem guten Seibert wohl gar nicht aufgefallen.
Gute Helden, schlechte Helden, alle Helden, keine Helden
Zum ersten widerspricht das Ganze dem Sinn des Wortes Held, denn wenn jeder ein Held ist, ist niemand ein Held. So wie auch nicht jeder gleichzeitig reich sein kann, denn dann ist niemand reich. Zum zweiten erinnert mich der Tenor dieser Serie an meinen Kindergarten. Mit ähnlichen Parolen wollte man uns damals zur gesunden Ernährung bringen. “Esst euren Spinat auf, dann werdet ihr groß und stark. Ein wahrer Ritter hätte sicher seinen Spinat aufgegessen. Und ja Elisa, das gilt auch für Prinzessinnen.”
Böse Zungen würden dagegen sagen, dass es sie an den Geschichtsunterricht erinnert (außerhalb von Bremen und Berlin). Denn Orden fürs brav sein kennt man sonst nur aus totalitären Regimes, etwa aus der DDR, damals war man “Held der Arbeit”. Aber das ist schon ziemlich böse, schließlich meint die Regierung es doch nur gut mit uns, nicht wahr?
Eins muss ich allerdings dann doch anmerken: Es gibt schon etwas, was die jungen Leute riskieren, die zu Hause bleiben und nicht rausgehen. Ihre geistige Gesundheit. Auch wenn sie dieses Jahr wahrscheinlich nicht einmal eine Erkältung bekommen, leiden viele daran, komplett isoliert zu leben. Beim ersten Lockdown waren fast alle meine Freunde zu einem gewissen Grad depressiv, wussten nichts mit sich anzufangen. Es ist ja schließlich auch nicht normal in unserem Alter, nichts zu unternehmen. Ja man könnte spazieren gehen, aber wo sollte man denn hin? Nichts hatte auf, wo sollte man sich denn treffen. Das macht uns zwar immer noch bei weitem nicht zu Helden, aber es ist trotzdem ein Problem, das von der Regierung totgeschwiegen und auch in diesen Filmen lächerlich gemacht wird. Dass der Junge im Dunkeln vor dem Fernseher liegt und nicht mal den Kopf hebt, als seine Freundin rein kommt, soll lustig sein. Aber in Wirklichkeit ist es das nicht. Ich kann gut darauf verzichten, unfreiwillig zum Helden erklärt zu werden. Erst nimmt man uns alles weg und wenn wir dann zwangsweise auf alles verzichten, klebt man einen Bienchensticker oben drauf. Wir fühlen uns wirklich toll, danke!