Tichys Einblick
Gesinnung ist alles

Wenn aus Helden Täter werden und aus Lappen Helden

Die Bundesregierung erklärt uns alle zu Helden, während alle echten Helden der Geschichte schlechtgeredet werden. Das ist so eine Mischung aus Kindergarten und Totalitarismus.

Ich bin gerade in dieser Sekunde ein Held, denn ich sitze zu Hause während ich diesen Satz schreibe. Und wenn Sie diesen Satz gerade in ihrem Schaukelstuhl (oder einer anderen Sitzgelegenheit ihrer Wahl, um nicht zu diskriminieren) bei Ihnen zu Hause lesen, dann Gratulation! Sie sind hiermit auch ein Held. Sie und ich reihen uns damit in eine lange Liste von großen Helden ein – Sophie Scholl, Martin Luther King, Malala und Stauffenber… ah der nicht, aber dazu kommen wir noch später.

Wir sind ein Volk von Helden. Das kann ich ganz ungestraft so sagen, die Bundesregierung tut es ja schließlich auch. Die letzte oskarverdächtige Steuergeldschleuder ist noch nicht lange her, da bricht schon die nächste auf uns herein. Dieses Mal wird uns erklärt, was es heißt, ein Held zu sein – Corona machts möglich. Denn das Land braucht jetzt Helden. Die zweite Welle bricht herein, aber niemand will sich so recht an die Maßnahmen halten. Vor allem die jungen Leute nicht, die trotzdem einfach egoistisch weiter feiern und sich nicht bändigen lassen.

Hochmut kommt vor dem Fall
Der kalte Hohn der Regierung
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung eine Werbekampagne gestartet, die besonders darauf ausgerichtet sein soll, die widerspenstigen Studenten zu erziehen. Da die Peitsche mit Bestrafungen und Hausarrest nicht funktioniert hat, ist jetzt das Zuckerbrot dran und man versucht die Regeln zu romantisieren. Im neusten der bisher drei Spots, hält ein alter Mann mit weißem Vollbart eine Medaille in die Kamera. “Dieses Stück Blech wurde mir damals umgehangen, im Winter 2020. Kurz vor meinem einundzwanzigsten Geburtstag.” Und was hält er da für einen Orden hoch? Bei genauerer Betrachtung erkennt man die Aufschrift “Du bist ein Held” und die Zeichnung eines Sofas. “Ich wurde für meine besondere Leistung im Kampf gegen Corona ausgezeichnet. Plötzlich war ich ein Held, ein Idol, ein Musterbürger.” Jetzt fragt man sich: Was hat er getan? Hat er ein Heilmittel gefunden? Hat er im Krankenhaus ausgeholfen? Was war es, das ihn zum Helden gemacht hat?

Wie die Medaille mit dem Sofa wahrscheinlich schon vermuten lässt, war seine besondere Leistung, nichts zu tun. Er erzählt uns wie seine Freunde ihn den “faulen Tobi” nannten, weil der schon immer kaum das Haus verlassen hat. Er zockte den ganzen Tag Videospiele, hatte keinen Ehrgeiz im Leben. Es läuft tragische theatralische Geigenmusik im Hintergrund, während er sich daran erinnert, dass er sich von Ravioli aus der Dose ernährte und nicht mal den Anstand besaß, die wenigstens warm zu machen – weil er auch dafür zu faul war. Als Corona ausbrach, blieb er der gleiche und die Welt um ihn änderte sich. Plötzlich war “nichts tun” ein Dienst für die Gemeinschaft, zu diesen “besonderen, schweren Zeiten”. “Aber es war leicht ein Held zu sein”, ist sein Schlusswort und er lächelt in die Kamera, als hätte er uns gerade die tiefsten Abgründe seines menschlichen Daseins geschildert.

Exklusiv-Umfrage:
Corona-Krisenpolitik: Zustimmung von 76 auf 52 % gesunken
Von diesen Prachtstücken gibt es noch zwei weitere. Ein weiterer alter Mann, er kämpfte damals ebenfalls gegen die “unsichtbare Gefahr, die alles bedrohte, woran wir glaubten”. Er erzählt: “Tage und Nächte lang saßen wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Unser Couch war die Front, unsere Geduld war unsere Waffe.” Bei dem Rückblick zu seinem jüngeren Ich, das deprimiert auf dem Sofa fletzt, kommt seine Freundin ins Zimmer – beide salutieren, er nimmt aber weder den Kopf hoch, noch schaut er sie wenigstens an. Seine Freundin, ist die Heldin des dritten Films. Sie schlägt ein dickes Buch auf mit Fotos und einer Maske eingeklebt. Auch sie erklärt uns: “besondere Zeiten brauchen besondere Helden”. #besonderehelden ist auch der Leitbegriff der Kampagne.

Der Regierungssprecher Steffen Seibert hat die drei Videos auf seinem Twitteraccount hochgeladen. Erst zwei am Stück und dann nach einem anderen Post das dritte Video. Der Post, der die drei Heldengeschichten voneinander trennt, ist ein Tweet von der Bundeswehr, den er retweeted hat. Der Text handelt von Volkstrauertag, AKK gedenkt am Ehrenmal den Soldaten “die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben ließen”. Ob die auch als große Helden, Idole oder gar “Musterbürger” bezeichnet wurden? Nein, sie haben ja nicht zu einer Pandemie ins Sofa gefurzt, die Bezeichnung gebührt ihnen also nicht, sie sollten lieber ungestraft weiterhin als Mörder bezeichnet werden. Die tragische Ironie darin ist dem guten Seibert wohl gar nicht aufgefallen.

Gute Helden, schlechte Helden, alle Helden, keine Helden

Zum ersten widerspricht das Ganze dem Sinn des Wortes Held, denn wenn jeder ein Held ist, ist niemand ein Held. So wie auch nicht jeder gleichzeitig reich sein kann, denn dann ist niemand reich. Zum zweiten erinnert mich der Tenor dieser Serie an meinen Kindergarten. Mit ähnlichen Parolen wollte man uns damals zur gesunden Ernährung bringen. “Esst euren Spinat auf, dann werdet ihr groß und stark. Ein wahrer Ritter hätte sicher seinen Spinat aufgegessen. Und ja Elisa, das gilt auch für Prinzessinnen.”

Böse Zungen würden dagegen sagen, dass es sie an den Geschichtsunterricht erinnert (außerhalb von Bremen und Berlin). Denn Orden fürs brav sein kennt man sonst nur aus totalitären Regimes, etwa aus der DDR, damals war man “Held der Arbeit”. Aber das ist schon ziemlich böse, schließlich meint die Regierung es doch nur gut mit uns, nicht wahr?

Gestiegene Suizidraten, Depressionen etc.
Die dramatischen psychischen Folgen des Lockdowns
Und es gibt doch auch eine gute Nachricht, denn wenigstens ist es jetzt staatlich anerkannt, wieder leicht ein Held zu sein. Ich dachte immer, um ein Held zu sein, muss man etwas riskieren. Aber Taten, Risiko und Mut haben damit gar nichts zu tun – Stauffenberg opferte zwar sein Leben für den Versuch, Hitler zu töten, wie man im modernen Deutschland aber weiß, ist er trotzdem kein Held, er tat es schließlich aus den falschen Gründen. Denn einerseits soll es so einfach sein, ein Held zu werden, auf der anderen Seite war es noch nie schwerer, ein Held zu sein. George Washington könnte ein Lied davon singen. Ja er ist über den Delaware gegangen, um die erste Republik seiner Zeit zu errichten, aber das ist nichts Besonderes mehr, denn er war ja schließlich Sklavenbesitzer, also lasst uns die Statuen niederreißen.

Eins muss ich allerdings dann doch anmerken: Es gibt schon etwas, was die jungen Leute riskieren, die zu Hause bleiben und nicht rausgehen. Ihre geistige Gesundheit. Auch wenn sie dieses Jahr wahrscheinlich nicht einmal eine Erkältung bekommen, leiden viele daran, komplett isoliert zu leben. Beim ersten Lockdown waren fast alle meine Freunde zu einem gewissen Grad depressiv, wussten nichts mit sich anzufangen. Es ist ja schließlich auch nicht normal in unserem Alter, nichts zu unternehmen. Ja man könnte spazieren gehen, aber wo sollte man denn hin? Nichts hatte auf, wo sollte man sich denn treffen. Das macht uns zwar immer noch bei weitem nicht zu Helden, aber es ist trotzdem ein Problem, das von der Regierung totgeschwiegen und auch in diesen Filmen lächerlich gemacht wird. Dass der Junge im Dunkeln vor dem Fernseher liegt und nicht mal den Kopf hebt, als seine Freundin rein kommt, soll lustig sein. Aber in Wirklichkeit ist es das nicht. Ich kann gut darauf verzichten, unfreiwillig zum Helden erklärt zu werden. Erst nimmt man uns alles weg und wenn wir dann zwangsweise auf alles verzichten, klebt man einen Bienchensticker oben drauf. Wir fühlen uns wirklich toll, danke!

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